Zufällig überlebt: Cessna Citation 501 SP entgeht nur knapp einem Absturz in Zürich
Natürlich will kein Pilot als fliegender Tanker unterwegs sein, doch ein üppig dimensioniertes Spritpolster ist Nerven beruhigend. Die Tankwarte am Verkehrsflughafen Zürich dürften daher nicht schlecht gestaunt haben, als sie die Tanks einer Cessna Citation gefüllt haben
Zufall, so lautet eine gängige Definition, ist der Begriff für alles, was nicht notwendig oder beabsichtigt geschieht; das Zusammentreffen nicht absehbarer Ereignisse. Vorgänge, die durchaus ihren Reiz haben können. Den Zufall als absolut unbestechlichen Schiedsrichter über Gewinnen oder Verlieren entscheiden zu lassen ist vermutlich ein Grund, warum Menschen ins Casino gehen. Roulette zum Beispiel: Als Gewinn kann der ein- bis 35-fache Einsatz eingestrichen werden.
Was können Piloten durch einen unwägbaren Faktor wie den Zufall gewinnen? Oder ist er eine Kategorie, die in der Fliegerei keine Rolle spielen darf und nur stillschweigend akzeptiert wird, wenn diese schicksalhafte Macht – wie bei einem Münzwurf – zu dem gewünschten Resultat führt?
Am 14. März landet ein Pilot mit einer Cessna 501 SP auf dem Verkehrsflughafen München. Ein Tankflug, denn in Mainz-Finthen, woher die Citation kommt, gibt’s kein Jetfuel. Nach eigenen Angaben tankt der 53-Jährige die Citation voll. 48 Minuten dauert laut Flugbuch des Piloten, der die Instrumentenflug-Berechtigung besitzt, der Flug zurück nach Mainz-Finthen. Acht Tage später hebt der zweistrahlige Jet um 8.10 Uhr in Mainz-Finthen zu einem Flug nach Zürich ab. Als Grundlage für den Spritverbrauch rechnet der Pilot mit einer Flugzeit von 40 Minuten zuzüglich 15 Minuten für die Warteschleife.
Als Ausweichplatz wählt er St. Gallen-Altenrhein, für den Flug dorthin kalkuliert er 15 Minuten. In Treibstoffmengen ausgedrückt umfasst die Planung Trip Fuel von 431 Kilogramm, Holding Fuel von 159 Kilo, Alternate Fuel von 113 Kilo, fürs Rollen in Zürich veranschlagt der Pilot 45 Kilo. Macht unterm Strich 748 Kilo Turbinensprit, die für den Trip nach Zürich in den Tanks hätten schwappen müssen und den Berechnungen des Citation-Piloten nach für ungefähr 70 Minuten Flugzeit reichen würden.
Am 14. März landet ein Pilot mit einer Cessna 501 SP auf dem Verkehrsflughafen München
Nach rund 36 Minuten meldet sich der Pilot bei der Flugverkehrsstelle Zürich Arrival East, der Jet sinkt auf Flugfläche 130. Nach sieben Minuten im Holding RILAX wird die Cessna stufenweise auf eine Höhe von 6000 Fuß QNH freigegeben, um neun Uhr erhält der Pilot die Freigabe für einen Standard VOR/DME Approach auf die Piste 28, der in Eigennavigation – das heißt normalerweise ohne Anweisungen von den Lotsen – durchgeführt wird. Damit hat der Pilot so seine Probleme, wie der weitere Flugverlauf offenbart. Nicht nur dass er sich offensichtlich unzureichend auf den Anflug vorbereitet hat, auch mit der Umsetzung der auf dem Anflugblatt vorgeschriebenen Navigationsvorgaben scheint es zu hapern: Mehrmals fordert ihn der Lotse auf, den Kurs zu korrigieren.
Unter anderem als es darum geht, das Radial 095, das den Endanflugkurs für die „28“ darstellt, anzuschneiden: „VXX, start right turn to intercept final radial 095 Kloten for final approach.“ Der Pilot bestätigt die Anweisung, muss aber nach dem Radial fragen. Mit einem kleinen Seitenhieb kommt es vom Lotsen: „VXX, according to the chart, Radial 095 Kloten“. Als der Jet bei einer Schrägdistanz von ungefähr fünf Meilen zum Kloten VOR immer noch mehr als 1000 Fuß über dem vorgesehenen Sinkprofil und knapp zwei Meilen südlich des Endanflugkurses von 275 Grad mit südwestlichem Kurs unterwegs ist, reicht es dem Lotsen: Er entzieht der Citation die Anflugerlaubnis und schickt ihren Piloten mit einem Heading von 270 auf 6000 Fuß QNH.
Einen Business-Jet nach IFR zu steuern ist selbst bei günstigen Umständen für einen alleinfliegenden Piloten eine anspruchsvolle Angelegenheit
Anschließend schlägt sich die Flugverkehrsleitstelle Zürich Departure mit dem deutschen Piloten rum, muss Kursgenauigkeit anmahnen. Der Pilot indes verwechselt Track mit Heading und bekommt einen Anflugpunkt buchstabiert. Daraufhin verlangt er Radarführung durch Kursanweisung, die er auch erhält. Einen Business-Jet nach IFR zu steuern ist selbst bei günstigen Umständen für einen alleinfliegenden Piloten eine anspruchsvolle Angelegenheit. Der Citation-Pilot ist vermutlich aus einem weiteren Grund nervös und macht einen überforderten Eindruck: Sein Sprit geht langsam zur Neige. Zum Zeitpunkt des Durchstartens ist der Jet bereits 60 Minuten in der Luft …
Umgehend wird die Maschine aus dem Holding herausgeholt und ihr Pilot gefragt, ob er mit einem Flugweg von 50 Meilen bis zur Landung einverstanden sei. Um 9.42 Uhr setzt die Citation nach einer Flugzeit von einer Stunde und 32 Minuten auf der „28“ auf. Die Untersucher des Büros für Flugunfalluntersuchungen gehen die Spritkalkulation des Hasardeurs durch: Wenn sich tatsächlich wie von ihm angegeben 907 Kilo an Bord befanden, hätte den verwendeten (und durchaus realistischen) Verbrauchswerten zufolge der Treibstoff für etwa eineinhalb Stunden gereicht (tatsächlich waren es 92 Minuten).
10 Liter Jetfuel hätten nur für knapp eine weitere Minute gereicht
Schwer nachvollziehbar bleibt indes, warum der Pilot gemäß ATC-Flugplan mit einer Höchstflugdauer von zwei Stunden rechnete. Selbst ohne Durchstarten hätte die Maschine für die Strecke Mainz-Finthen/Zürich 55 Minuten benötigt. Als die Citation, deren Spritkapazität 2120 Liter Jetfuel beträgt, betankt wird, stehen auf der Zähleruhr 2110 Liter, die in die Tanks des Flugzeugs geflossen sind. Mit gerade mal zehn Liter Sprit an Bord kam die Cessna also zum Stehen – eine Menge, mit der sich die Turbinen nicht mal für eine Minute am Leben erhalten lassen …
Am Ende ihres Berichts kommen die Untersucher zu einem nüchternen Resultat: „Die vorliegenden Tatsachen lassen den Schluss zu, dass die VP-XXX den Flughafen Zürich nur noch zufällig aus eigener Kraft erreicht hat“. Diese Feststellung mag sachlich betrachtet profan wirken, für den Piloten ist sie jedoch eine schallende Ohrfeige – es sei denn, sein Selbsterhaltungstrieb war auf das gleiche Niveau abgesunken wie sein Tankpegel.
Text: Markus Wunderlich, fliegermagazin 10/2005
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