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Zu viel Stress: Spritmangel in Piaggio FW P 149D
Spritmanagement ist bei Langstreckenflügen besonders wichtig. Volltanken allein reicht aber nicht immer aus, um sicher ans Ziel zu kommen
Wer schon mal zu wenig Treibstoff im Tank und keinen Flugplatz in Sicht hatte, weiß, was das bedeutet: Herzrasen, Atemlosigkeit, Kehle und Brust werden eng, Muskeln spannen sich unkontrolliert an, Adrenalin schießt durch die Adern; kurz: Stress. Der Körper schaltet auf Notfall. Und da soll man nun ruhig und rational handeln?
Kritische Situationen tragen naturgemäß das Risiko in sich, zu eskalieren. Mögliche Notfälle sollte man deshalb immer mal wieder vorab in Gedanken durchspielen, denn so lassen sich Panikreaktionen vielleicht vermeiden, wenn es zum Ernstfall kommt. Stress kann aber bereits vor dem Start die Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeit des Piloten erheblich beeinträchtigen – und in der Luft für böse Überraschungen sorgen. Ein Extremfall dieser Art ereignete sich am 27. April 2008 am Sonderlandeplatz Torgau-Beilrode.
Piaggio FW P 149D: Start bei bestem Flugwetter
Der Pilot einer viersitzigen Piaggio FW P 149D will an diesem milden Frühlingstag in Hodenhagen, nördlich von Hannover, zu einem Flug ins brandenburgische Görlitz starten. Der 67-Jährige hat seinen PPL seit mehr als 45 Jahren und gilt als sehr erfahren. 1972 hat er seine Lizenz zum CPL mit Instrumentenflug-Berechtigung erweitert. Auf der P 149 „Piggi“ weist er seit 30 Jahren andere Piloten ein, seit 1994 ist er außerdem als PPL-Fluglehrer aktiv. Seine nach JAR/FCL ausgestellte Lizenz enthält zudem die Berechtigung für mehrmotorige Flugzeuge. An Bord ist ein weiblicher Gast. Die Passagierin hat ebenfalls eine Fluglizenz und nimmt am Doppelsteuer rechts neben dem Piloten Platz. Am frühen Nachmittag füllt der Pilot die Tanks mit 203 Litern Avgas randvoll und rollt anschließend zur Grasbahn 21. Zeugen beobachten, wie der Tiefdecker kurz nach dem Start die Platzrunde abkürzt und unvermittelt wieder zur Landung eindreht.
Am Boden steigt der Pilot aus dem Flugzeug, um eine Klappe an der Motorverkleidung zu schließen, was er offenbar nach dem Vorflugcheck vergessen hatte. Erst im Flug war ihm aufgefallen, dass die Öffnung nicht verriegelt war; einen zweiten Außencheck spart sich der Mann jedoch. Acht Minuten später, um 16.22 Uhr, beschleunigt die Piaggio erneut und hebt kurz darauf von der Graspiste ab. Diesmal verlässt der Pilot die Platzrunde und dreht auf Kurs Ost-Südost Richtung Görlitz. Der Tiefdecker umfliegt die Kontrollzonen von Hannover und Braunschweig nördlich. Über Sachsen-Anhalt hält er weiter Kurs und passiert Magdeburg, Dessau und Wittenberg. Als die Piaggio die Landesgrenze zu Sachsen überfliegt, hat der Pilot vermutlich bereits bemerkt, dass etwas mit dem Spritvorrat nicht stimmt.
Kurz vor der Landung: der Motor läuft unregelmäßig
Um 17.58 Uhr nähert sich die P 149 dem Sonderlandeplatz Torgau-Beilrode. Der Motor läuft nun bereits unregelmäßig, wie Zeugen am Boden später berichten. Zu diesem Zeitpunkt versucht der Pilot möglicherweise, Funkkontakt mit Torgau-Beilrode aufzunehmen. Dort antwortet jedoch niemand, die Flugleitung ist nicht besetzt. Die P 149 fliegt den 800-Meter-Grasplatz trotzdem an, sie muss so schnell wie möglich runter. Der Pilot dreht in die Platzrunde ein und fährt das Fahrwerk aus. Als die Maschine vom linken Queranflug ins Endteil auf die Piste 08 kurvt, kippt der Tiefdecker plötzlich aus geringer Höhe ab. Mit großer Längsneigung kracht er auf einen Acker, 335 Meter vor der Bahnschwelle 08. Pilot und Passagierin überleben den Aufprall nicht.
Die P 149 brennt im Motorraum und in der Kabine fast vollständig aus.Die Ermittler der Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) finden am Wrack rasch eindeutige Hinweise auf die Unfallursache. Im Untersuchungsbericht halten sie fest: „Alle drei Blätter des Verstellpropellers waren nach hinten verbogen. Zwei Blätter steckten im Erdreich und waren aus der Nabe herausgebrochen. An keinem der Blätter fanden sich erkennbare Drehspuren. Alle Zündkerzen zeigten ein einheitliches helles Verbrennungsbild.“ Möglicherweise gab es einen durch Spritmangel verursachten Leistungsabfall, in dessen Folge der Pilot, der in dieser Notlage unter großer Belastung stand, die Geschwindigkeit beim Eindrehen ins Endteil falsch einschätzte. Die Maschine geriet vermutlich dadurch in einen unkontrollierbaren Flugzustand mit Strömungsabriss, kippte beim Eindrehen in den Endanflug seitlich ab und schlug auf dem Boden auf.
Untersuchung des ausgebrannten Wracks: Ein Tankdeckel fehlt
Bei den Untersuchungen am Wrack zeigt sich, dass beide Tanks zum Unfallzeitpunkt leer waren, zudem ist an der Absturzstelle kein ausgelaufener Kraftstoff feststellbar. Durch den Brand im Cockpit kann die Stellung des geschmolzenen Tankwahlschalters nicht mehr ermittelt werden. Vermutlich hat die P 149 schon während des Flugs große Mengen Treibstoff verloren. Einen entscheidenden Hinweis auf die Ursache für den möglichen Spritverlust und den beim Aufschlag stehenden Propeller finden die Experten am Einfüllstutzen: Der Tankdeckel auf der Oberseite der rechten Tragfläche fehlt. Wahrscheinlich ist, dass die Luftströmung am Flügel den Treibstoff aus dem offenen Tank saugte, ohne dass der Pilot es zunächst bemerkte. Ob er den fehlenden Tankdeckel als Ursache für den offenbar werdenden Spritmangel erkannte?
Ein entscheidendes Puzzleteil findet sich schließlich in Hodenhagen, am Startflugplatz des Tiefdeckers: Im Gras am Anfang der Piste 21 wird bereits am Nachmittag des Unfalltages ein Tankdeckel entdeckt. Es ist der des rechten Flächentanks der Piaggio. Der Pilot hatte ihn vermutlich nach dem Tanken auf dem Flügel abgelegt und beim Rollen zur Piste verloren.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 7/2011
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