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Wo nimmt der Pilot bei einem Tandemsitzer im Idealfall Platz?

Hintereinander zu sitzen war früher in Zweisitzern normal. Seinen Reiz hat es immer noch – aber auch Nachteile. Wer sich auf sie einstellt, entdeckt sogar Vorteile.

Von Peter Wolter
Freie Sicht
Freie Sicht: Im Endanflug slippt der hinten sitzende Pilot, damit er am Passagier vorbei auf die Piste blicken kann. Dabei sind beide Sliprichtungen gleich gut geeignet – naheliegenderweise wird die Fläche hängen gelassen, die bessere Luftraum- und Bodenbeobachtung ermöglicht. Foto: Helmuth Mauch

„Wie auf einem Besenstiel“, kritisieren die einen. „Wie nackt baden“, schwärmt Carl-Friedrich Schmidt, wenn er das Fliegen mit seiner Breezy beschreibt. Sicher – Schmidts Experimental ist ein Exot unter den Tandemsitzern. Doch er zeigt, wie extrem ein zweisitziges Flugzeug ausgelegt sein kann, wenn die Sitze hintereinander statt nebeneinander angeordnet sind – bis hin zur Auflösung des Cockpits, von dem man bei einem „Besenstiel“ kaum noch reden möchte. Zwei Sitze nebeneinander dermaßen weit vor der Tragfläche und dem Rest des Flugzeugs? Das würde schon wegen des Schwerpunkts nicht gehen.

Ein Blickfeld, das zu 90 Prozent aus Himmel und Erde besteht, bietet sich dem Piloten nur, weil der Passagier hinter ihm sitzt oder keiner an Bord ist. Fehlende Horizontreferenz, keine visuelle Kontrolle der Fluglage und der Steuereingaben – ein Kunstflugpilot kann so etwas nicht gebrauchen. Er nimmt in einem Tandemsitzer lieber hinten Platz. Für die präzise Kontrolle um alle Achsen ist er darauf angewiesen, einen erheblichen Teil seiner Maschine im Blickfeld zu haben. Von hinten nimmt er kleinste Winkelveränderung sowie Vertikalbewegungen der Flügelenden gegenüber der Umgebung wahr, und der lange Rumpfanteil vor ihm ist wie der Zeiger eines gigantischen Instruments, das über Schiebeund Nickbewegungen informiert. In zweisitzigen Kunstflugmaschinen sitzt der Passagier normalerweise vorn.

Tandemsitzer: Wo nehme ich am besten Platz?

Man muss aber nicht Akropilot sein, um einen Tandemsitzer bevorzugt von hinten zu steuern. Romantiker lieben diese Cockpitperspektive: Nichts kann im Rücken für Überraschungen sorgen, keiner schaut einem über die Schulter und mischt sich von hinten ein, aus einer geschützten Nische heraus wird das Geschehen kontrolliert. Viel Flugzeug zu sehen stört dabei keineswegs, im Gegenteil – es intensiviert ein Bewegungserlebnis, bei dem die visuelle Wahrnehmung des eigenen Fluggeräts eine essenzielle Rolle spielt. In Taildraggern kommt für den hinten sitzenden Piloten noch das erhebende Erlebnis dazu, beim Vorrotieren in die Horizontale gehebelt zu werden, in dieses leichtfüßige Übergangsstadium, in dem sich das Flugzeug schon um zwei seiner drei Bewegungsachsen vom Boden freigemacht hat.

Blick versperrtBlick versperrt
Blick versperrt: Sitzt der Passagier im Schwerpunkt (vorn), sieht der Pilot in Flugrichtung nichts. Auch die Kommunikation ist ohne Blickkontakt erschwert.

Buschpiloten interessiert sowas nicht. Als Pragmatiker wollen sie in ihren Hochdeckern vorn sitzen, weil von dort bei Start und Landung der Blick auf den Untergrund am besten ist. Geht es ums Absuchen des Untergrunds und der Umgebung, kann der hinten sitzende Passagier uneingeschränkt mithelfen. Im wichtigsten Blickwinkelbereich – von schräg nach vorn bis seitlich querab, von horizontal bis senkrecht nach unten – sieht er genauso viel wie der Pilot. Und anders als in Side-by-side-Cockpits gibt es bei der Verständigung über das Gesehene weniger Missverständnisse – für beide Insassen ist der Blick aus dem schmalen Rumpf nach links und rechts gleich gut.

Symmetrie hat Vorteile

Die Symmetrie des Tandemsitzer-Cockpits hat weitere Vorteile: In Rechts- und Linkskurven ist das Horizontbild identisch, Höhehalten erfordert keine Umstellung, und beim Slippen gibt es keine „schlechte“ Seite – je nachdem, welche Seite für die Luftraum- und die Bodenbeobachtung wichtiger ist, lässt man eben die linke oder die rechte Fläche hängen. In einem Side-by-side-Cockpit drängt sich beim Slippen die Pilotenseite auf, weil so die Sicht besser ist. Auch beim Aufsetzen mit hängender Fläche hat die Symmetrie einen Vorteil: Der Pilot muss keine unterschiedlichen Sitzhöhen überm Boden berücksichtigen, je nachdem, von welcher Seite der Wind kommt.

Bessere Absprache im Side-By-Side-Cockpit

Damit die Kommunikation zwischen den Insassen gelingt, braucht es allerdings vor dem Start ein ausführlicheres Briefing: In der Luft kann der Pilot seinem Mitflieger nicht mehr zeigen, wie man irgendetwas macht, etwa Belüftungsdüsen bedient, das Headset einstellt oder navigatorische und andere Hilfsmittel handhabt. Fluglehrer können ein Lied davon singen, wie groß der Intercom-Aufwand ist, wenn man hintereinander sitzt und die Verständigung ausschließlich verbal stattfinden muss.

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Unerfahrene Passagiere lässt der Pilot gern vor sich einsteigen. So kann er ihnen von außen bei allem helfen, womit sie sich allein möglicherweise schwertun, vom Anschnallen bis zur Auswahl des richtigen Kartenausschnitts, falls sie auf einer eigenen Luftfahrtkarte den Flugverlauf nachvollziehen wollen. Einmal in der Luft sind helfende Hände nicht mehr verfügbar, ob haptisch oder gestisch. Bestenfalls kann man sich Gegenstände von hinten nach vorn oder umgekehrt reichen. Bei offenen Flugzeugen geht das kaum – es sei denn, weit unten, im geschlossenen Rumpfbereich, ist dafür seitlich irgendwo Platz.

Solo geht am besten

Am besten funktioniert das Tandemsitzer-Konzept, wenn man allein unterwegs ist. Ja, Tandemsitzer sind in mancher Hinsicht Ego-Flugzeuge: Sitzt ein Passagier hinten, kann er sich abgehängt fühlen, denn in Flugrichtung bleibt ihm das Geschehen weitgehend vorenthalten. Sitzt er vorn, kommt er sich vielleicht ausgesetzt vor, als ob es keinen Piloten gebe. Das verunsichert. Mangelnder Blickkontakt ist in beiden Fällen ein Handicap – auch für den Piloten, sofern ihm das Unbehagen seines Passagiers nicht egal ist. Wie soll er einen Flug genießen, wenn er weiß, dass jemand an Bord ist, der lieber neben, statt hinter oder vor ihm sitzen würde.

Vorne SitzenVorne Sitzen
Vorn hat Vorteile: Diesem Piloten kann niemand vor der Nase sitzen. Am Boden entgeht ihm dennoch, was vor dem Taildragger passiert.

Solo geflogen stellen sich in einem Tandemsitzer solche Probleme nicht. Selbst von hinten ist die Sicht in Flugrichtung uneingeschränkt. Und falls es nur vorn Instrumente gibt, der Pilot aber hinten sitzt (wie in einer Piper J-3), erschwert kein Passagier die Ablesbarkeit. Der freie Sitz ist zudem eine willkommene Ablage für Gepäck.

Auf die Gewichtsverteilung achten

Auch Lastigkeitsfragen wirft der Einsitzerbetrieb kaum auf. Sitzt der Passagier hinten (und ist hinter ihm auch noch Gepäck verstaut), kann die hintere Grenze des Schwerpunkts schon mal überschritten werden. Sind die Massen – als Gegenmaßnahme –vom Hersteller so verteilt, dass der Flieger im Einsitzerbetrieb leicht kopflastig ist, verkleinert das den Geschwindigkeitsbereich an beiden Enden: unten, weil „die Nase runterfällt“, obwohl die bei ausgewogener Gewichtsverteilung mögliche Stallspeed noch nicht erreicht ist, und oben, weil das Höhenleitwerk mehr Abtrieb liefern muss und damit den Widerstand stärker erhöht als bei rückwärtigerer Schwerpunktlage. (Deshalb sind Rennflugzeuge schwanzlastig ausbalanciert).

Aus naheliegenden Gründen hat man vor allem bei kleinen, leichten Tandemsitzern den Passagier seit jeher vor dem Piloten untergebracht: Dort lässt er sich im Schwerpunkt platzieren, sodass er lastigkeitsmäßig keine Rolle spielt. Was die Insassen betrifft, geht dann nur das Pilotengewicht – hinter dem Schwerpunkt – in die Lastigkeit ein. Doch dazu muss es schon stark vom Standardpilotengewicht abweichen, das der Hersteller zugrunde legt.

Effizientes Inline-Cockpit

Jenseits praktischer Aspekte zählt für manche Puristen das Inline-Feeling im Tandemsitzer-Cockpit. Man sitzt in der Längsachse, peilt über den Spinner, steuert aus zentraler Position wie in einem Monoposto-Rennwagen. Ob Kunstflugzeug, Racer oder Jäger – immer wenn kompromisslose Effizienz gefragt ist, wird kein unnötig breiter Rumpf durch die Luft gezerrt, bloß damit zwei Sitze nebeneinander reinpassen. Nach aerodynamischer Wahrheit sei hier nicht gefragt – es gibt hocheffiziente Side-by-side-Sitzer: Bei den Air Races in Reno gewinnen in der Sports Class regelmäßig Muster wie Glasair III oder Lancair Legacy gegen die Thunder Mustang mit ihrem Inline-Cockpit. Auch bei ULs sind Tandemsitzer wie Shark oder Blackshape Prime nicht schneller als Risen oder Blackwing RG.

VerschätztVerschätzt
Verschätzt! Wegen eingeschränkter Sicht hat sich der hinten sitzende Pilot bei der Höhe vertan – ein Seitengleitflug wäre ratsam gewesen.

Doch die Symbolik funktioniert nach wie vor: „So schmal wie möglich“ riecht nach „so schnell wie möglich“ – und Tandemsitzer sind gleich schmal wie Einsitzer. Von deren Cockpit geht viel Strahlkraft aus: Helden brauchen keine Helfer oder Begleiter. Bei vielen offenen Tandemsitzern kann man das zweite Cockpit per Abdeckung verschwinden lassen, sodass sie wie Einsitzer aussehen. So leer hingegen ein Sitz neben dem Piloten auch sein mag – der breite Rumpf bleibt so breit, wie er ist. Er hält querschnittsvergrößernden Raum vor, der oft nicht gebraucht wird und sich nie kaschieren lässt. Ein Zugeständnis, das sich schlecht mit irgendeiner reinen Lehre verträgt.

Text: Peter Wolter, Zeichnungen: Helmut Mauch, Illustrationen: Eric Kutschke

Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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