Wettbewerb für ULs: Lympne Light Aircraft Trial
Ultraleichte Flugzeuge sind ein alter Hut – historisch betrachtet. Schon vor bald einem Jahrhundert wollen britische Enthusiasten mit solchen Geräten den Flugsport in ihrem Land pushen. Ein Wettbewerb soll dabei helfen.
Erstaunliches tut sich im Oktober 1923 auf dem Flugplatz Lympne in Kent, an der Südostspitze der britischen Insel. Man hat einen Wettbewerb für ganz leichte Motorfluggeräte organisiert. Das ehemalige RAF-Flugfeld aus dem Ersten Weltkrieg bietet den knapp zwei Dutzend Teilnehmern ausreichend Platz. Bedeutende Namen und etablierte Firmen sind darunter, aber auch begeisterte Selbstbauer. Die Ausschreibung ist übersichtlich, entsprechend vielfältig sieht das Teilnehmerfeld aus.
Deutsche sind übrigens nicht zugegen, obwohl der Wettbewerb wie für sie gemacht zu sein scheint – in den drei zurückliegenden Jahren haben Konstrukteure wie Hanns Klemm und Wolf Hirth von den ersten Segelflugwettbewerben auf der Wasserkuppe entscheidende Anregungen für den Motorflug mitgenommen (siehe fliegermagazin #3 und 4.2021).
Lympe Aircraft Trial: Deutsche sind nicht zugegen
Noch 1922 müssen sich deutsche Flugzeugkonstrukteure allerdings mit den strengen Beschränkungen des Versailler Vertrags abfinden. Aus der deutschen Segelflugbewegung gehen aerodynamisch hochwertige, schwach motorisierte Leichtflugzeuge hervor. Die Briten haben zur selben Zeit freilich keine Herausforderungen dieser Art. Dennoch bringen sie schon früh eine Kultur von leichten, sportlichen Flugzeugen hervor. Und fördern sie.
Diesem Mäzenatentum entspringt der Lympne Light Aircraft Trial. Offiziell ist von einem „motor glider competition“ die Rede, doch echte Motorsegler – im heutigen Wortsinn – sucht man hier vergebens. Die Veranstalter wollen der britischen Sportfliegerei, die praktisch noch gar nicht existiert, einen Schubs verpassen. Die überflüssig gewordenen Militärmaschinen aus dem Weltkrieg sind hierfür völlig ungeeignet. So spielt der Spritverbrauch nun eine wichtige Rolle. Deshalb verwendet man zumeist umgemodelte Motorradmotoren.
Saftiges Preisgeld: Der Wettbewerb unterteilt sich in mehrere Prüfungen
Der saftigste Preisbrocken für den ökonomischsten Einsitzer besteht aus 1500 Pfund, gemeinschaftlich ausgeschrieben vom Duke of Sutherland und der Zeitung Daily Mail. Auch das Air Ministry, das die Sache interessiert beobachtet, ist als Preisstifter dabei. Den Hubraum der Motoren hat man auf 750 Kubikzentimeter begrenzt. Beim Economy-Wettbewerb, einer von mehreren Prüfungen, geht es darum, mit einer britischen Gallone (4,55 Liter) möglichst weit zu kommen. In einer Vorprüfung wird die Transportfähigkeit beurteilt; zu sehen sind pfiffige Lösungen für anklappbare Tragflächen.
Die Veranstaltung ist international, doch fast nur Briten versammeln sich in Lympne. So auch der Konstrukteur William Manning, einer der Pioniere des britischen Motorflugs. Auf große Stückzahlen sind seine Produkte, zu denen Flugboote gehören, bislang nicht gekommen, aber sein berühmtestes Nachkriegswerk verhilft ihm zu fast unsterblichem Ruhm: die Wren, zu deutsch Zaunkönig.
Wrens schärfster Konkurrent: Den ANEC 1 ist für den Wettbewerb gerade noch fertig geworden
Der eckige Rumpf des Einsitzers scheint auf dem Bauch zu robben – so unauffällig ist das Fahrwerk integriert. Mit ihrem freitragenden Zwölf-Meter-Flügel kommt die Wren auf das schier unglaubliche Leergewicht von 105 Kilo. Ihr zweizylindriger ABC-Motor hat wohl acht PS und bringt das Leichtgewicht auf maximal 80 km/h. Der kleine Boxer thront auf einer Art Höcker unmittelbar vor dem Piloten. Die Wren ist ideal für den Economy-Wettbewerb. Die besagte Gallone ermöglicht ihr, 140 Kilometer weit zu fliegen.
Gleiches gelingt ihrem schärfsten Konkurrenten, der ANEC I. Das Kürzel steht für „Air National and Engineering Company Ltd.“ mit Sitz in Surrey. Langer Name, kurzes Dasein; die Firma übersteht kein Jahrzehnt und wird 1927 geschlossen. Für den ersten Wettbewerb in Lympne ist der Einsitzer gerade noch fertig geworden. In der Economy-Disziplin teilen sich die Wren und die ausgefeiltere ANEC I das Preisgeld. Letztere gewinnt auch den Höhenpreis mit 4390 Metern. Nicht übel mit einem Blackburne-Tomtit-Motor, der nur 670 Kubik hat und gerade mal 16 PS leistet! Auch die Parnall Pixie II geht preigekrönt nach Hause: Sie schafft 122,5 km/h.
Sicherheit im Fokus: Im Jahr zuvor war ein Teilnehmer tödlich verunglückt
Das erste Lympne-Trial hat die Machbarkeit ultraleichter Sportflugzeuge aufgezeigt und die Konstrukteure ermutigt. Im September und Oktober 1924 treffen sich die britischen UL-Enthusiasten wieder am gleichen Ort. Dieser zweite Light Aircraft Trial ist ausschließlich Doppelsitzern gewidmet. Die Anforderungen sind nun höher und genauer spezifiziert. Gemessen werden Höchst- und Mindestgeschwindigkeit, aber auch Start-
und Landestrecke. Erlaubt sind bereits Motoren mit 1,1 Liter Hubraum.
Auch bei der Sicherheit schauen die Veranstalter diesmal genauer hin. Im Jahr zuvor war Alexis Maneyrol, der einzige französische Teilnehmer, am letzten Tag des Wettbewerbs tödlich verunglückt, nachdem eine Flächenstrebe seines Peyret-Tandemflüglers gebrochen war; der Pilot hatte den Höhenpreis anvisiert. So geschieht es, dass bei der strengeren Vorprüfung der Geräte etliche auf der Strecke bleiben. Am Schluss treten nur noch acht an. Am besten bewährt sich die Beardmore WeeBee – bei der eine starke Ähnlichkeit zur Messerschmitt M 17 auffällt, die erst 1925 herauskommen wird.
Kritik am Wettbewerb: Einwände lassen den Wettbewerb ausfallen
Der gut gemeinte Lympne-Wettbewerb von 1924 löst aber auch fachmännische Kritik aus. Die britische Zeitschrift The Aeroplane moniert den engen Leistungs- und Datenrahmen der Ausschreibung: Die Flugsportclubs bräuchten bessere und robustere Flugzeuge als die ultraleichten, filigranen Apparate, die Lympne hervorbrächte. Dieser Einwand veranlasst die Veranstalter zum Nachdenken, was zur vorübergehenden Aussetzung des Wettbewerbs führt, und so findet das nächste (und letzte) Light Aircraft Trial erst im übernächsten Jahr statt.
Im September 1926 wird in Lympne deutlich, wohin der Trend geht – zum behäbigen, verspannten Doppeldecker, das gängige Design jener Jahre. Der Gewinner, die Hawker Cygnet, ist ein netter kleiner Doppeldecker und konstruktiv eher konventionell geraten. Stärkere Motoren und höheres Gewicht machen den Wettbewerb geradezu obsolet, denn leichte Sportflugzeuge gibt es schon bei DeHavilland, etwa die D.H. 60 Moth, die 1925 erstmals fliegt. Auch in Lympne geht eine an den Start. Ihre lange Typenlinie führt noch zum RAF-Trainer D.H. 82 Tiger Moth.
Ein Hauch von Lympne: Die Wren schwirrt auf dem Old-Warden-Flugfeld
Erst viele Jahre später wird man auf das Ideal von 1923 wieder zurückkommen, das eigentlich dem „motor glider“ galt. Dennoch hat Lympne seine Spuren in der britischen Sportfliegerei hinterlassen – vor allem, was das unerwartet große öffentliche Interesse angeht. Die Clubs und Flugschulen erhalten mächtig Zulauf. Doch anders als zur selben Zeit in Deutschland, wo der Staat unterstützend eingreift, bleibt die Privatfliegerei auf der Insel ein Sport der „upper class“.
Ein Hauch von „Lympne 1923“ findet sich an ganz ruhigen Abenden auf dem Old-Warden-Flugfeld der Shuttleworth Collection. Die originale Wren von damals schwirrt dann meistens nur in Bodennähe geradeaus, hin und her, zum großen Vergnügen des entzückten Publikums. Der alte sparsame Zweizylinder schnurrt wie eine Nähmaschine.