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Pilot mehrfach auffällig: Absturz einer Cessna 177B Cardinal in Österreich

Ohne Erfahrung und kaum vorbereitet fliegt ein Pilot auf einen hochgelegenen Platz in den Alpen – und scheitert beim Start. Eine Unfallanalyse.

Von Martin Schenkemeyer
Absturzstelle
Zum Glück niemand zu Hause: 880 Meter nach dem Abheben stürzte die Cessna Cardinal in ein Wohnhaus. Die beiden Insassen konnten schwer verletzt geborgen werden. Auf dem Weg zum Unfallort hatte die Maschine zuvor bereits mehrere Häuser sehr tief überflogen. Foto: Picture Alliance

Flüge im Gebirge erfordern nicht nur eine besonders gründliche Vorbereitung, sondern auch spezielle Verfahren, die man erlernt haben muss. Dies gilt auf Strecke ebenso wie für Flüge, die auf hochgelegenen Flugplätzen starten oder enden. Vor allem der Start in den Bergen hat seine Tücken. Der Einfluss der Dichtehöhe auf die Startleistungen eines Flugzeugs ist nicht zu unterschätzen. Was passiert, wenn man diesen und andere Faktoren auf die leichte Schulter nimmt, zeigt der Unfall einer Cessna 177B Cardinal im österreichischen Reutte.

Der 54 Jahre alte Pilot landet am Vortag des 31. Juli 2022 in Begleitung einer Passagierin mit seinem Schulterdecker auf dem österreichischen Flugplatz Reutte-Höfen (LOIR). Bereits hier fällt er dadurch auf, dass er sich nicht an die veröffentlichten Anflugverfahren hält. Tags darauf bricht er zum Rückflug nach Pfullendorf (EDTP) in Deutschland auf. Das Wetter spielt mit: Die Wetterstation in Reutte meldet schwachen Wind aus nördlichen Richtungen bei mehr als zehn Kilometern Sicht und einer Temperatur von 24 Grad Celsius.

Cessna 177B hebt erst spät und mit großer Längsneigung ab

Unmittelbar vor dem Start fällt der Flugzeugführer wieder auf, weil er den Run-up auf der Asphaltpiste 04 des Flugplatzes und nicht auf der dafür vorgesehenen Position durchführt. Kurz darauf beginnt die Cessna 177B den Startlauf und driftet dabei nach links, was der Pilot nur zögerlich korrigiert. Dabei sind die Landeklappen eingefahren, wie Zeugen berichten.

Die Einmot rollt ungewöhnlich lange weiter, sie hebt spät und mit sehr großer Längsneigung ab. Dabei berührt das Heck der Maschine kurzzeitig den Boden. Zu diesem Zeitpunkt sind die Landeklappen nun ausgefahren und das Flugzeug driftet direkt nach dem Abheben erneut nach links ab. Die Nase ragt währenddessen weiter steil in den Himmel. Nach einem anfänglichen Steigflug kommt es zu einem rapiden Höhenverlust. Schließlich kracht die Cessna zirka 880 Meter hinter dem Abhebepunkt auf das Dach eines einstöckigen Einfamilienhauses, das stark beschädigt wird. Die beiden Insassen überleben das Unglück schwer verletzt. Glücklicherweise sind die Bewohner des Hauses nicht zu Hause.

Flugvorbereitung konnte nicht vorgelegt werden

Die österreichische Sicherungsuntersuchungsstelle des Bundes „SUB“ unter suchten daraufhin systematisch sämtliche Aspekte des Unfallflugs. Dabei prüften die Ermittler auch, ob der Pilot eine Flugvorbereitung für den Flug nach Deutschland durchgeführt hat. Auf Anfrage wurde eine solche nicht vorgelegt. Der Flugzeugführer nutzte die Software SkyDemon, im Wrack wurde jedoch kein Tablet-Computer entdeckt. Eine Anfrage beim Unternehmen ergab, dass mit der App eine Vorbereitung erstellt wurde. Weitere Details sowie der Umfang dieser Vorbereitung wurden nicht bekannt.

Die Flugerfahrung des Unfallpiloten ist laut den Ermittlern der SUB mit rund 162 Stunden als gering, aber ausreichend einzuschätzen. Seine Erfahrung auf der Cessna 177 belief sich auf nur 12:35 Stunden mit 26 Landungen.

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Dichtehöhe: So funktioniert die korrekte Berechnung des Leistungsverlusts

Bei der technischen Untersuchung des Flugzeugwracks konnten keinerlei Mängel festgestellt werden. Auffällig waren Schleifspuren am Heck des Flugzeugs, die zu Spuren auf der Piste 04 des Flugplatzes passten. Sie belegen, dass das Heck des Luftfahrzeugs beim Rotieren den Boden berührt hat. Außerdem stellten die Unfalluntersucher fest, dass der Landeklappenhebel im Wrack auf 20 Grad stand. Das Flughandbuch empfiehlt jedoch eine Klappenstellung von 15 Grad.

Flugplatz Reutte-Höfen: Erhebliche Dichtehöhe am Unfalltag

Die Dichtehöhe am Unfalltag war erheblich: Der Flugplatz Reutte-Höfen liegt auf einer Höhe von 2807 Fuß MSL. Bei einer Außentemperatur von 24 Grad betrug die Dichtehöhe etwa 4300 Fuß. Im Wrack stand der Gemischhebel auf „voll reich“. Ob eine zur Dichtehöhe passende Gemischeinstellung gewählt wurde, muss folglich bezweifelt werden. Der Schwerpunkt lag geringfügig außerhalb des vorderen Limits, die maximale Abflugmasse wurde nicht überschritten.

Falsche RichtungFalsche Richtung
Abflug in die falsche Richtung: Der in den örtlichen Verfahren vorgegebene Flugweg Richtung Fluss hätte dem Piloten eine bessere Hindernissituation geboten.

Nach dem mühsamen Abheben folgte der Pilot nicht den veröffentlichten Abflugverfahren. Dieses hätte vorgesehen nach rechts in Richtung des Flusses Lech zu fliegen. Die Hindernissituation in diesem Bereich ist deutlich günstiger als in dem Gebiet links der Piste, in dem es zu dem Unfall kam. Dasselbe Verhalten hatte er bereits am Vortag gezeigt, als er nach einem Durchstartversuch nicht nach rechts abdrehte, sondern weiter geradeaus in Richtung des Orts Reutte flog.

Mangelhafte Flugvorbereitung

Die Auswertung der GPS-Daten, die ein Kollisionswarner an Bord der Cessna aufgezeichnet hatte, lieferte weitere Hinweise auf den Unfallverlauf: So hob die Maschine erst nach 430 Metern Rollstrecke ab. Laut Flughandbuch hätte dies unter den gegebenen Bedingungen bereits nach 271 Metern der Fall sein müssen. Eine Höhe von 15 Metern über Grund wurde nach 600 Metern erreicht, der Handbuchwert beträgt 510 Meter. Die Leistung der Maschine hätte also für einen sicheren Start bei weitem ausgereicht.

HindernisseHindernisse
Hindernisse in Platznähe: Die Häuser im Abflugbereich der Piste 04. Nach dem hier vor- gestellten Unfall und dem tödlichen Absturz eines Segelfliegers ist der Flugplatz Reutte-Höfen aktuell für nicht-ortsansässige Piloten gesperrt.

Die Fahrt betrug zu diesem Zeitpunkt 64 Meilen pro Stunde und nahm weiter ab. Somit flog der Pilot langsamer als mit der Geschwindigkeit des besten Steigwinkels Vx. Er befand sich laut Einschätzung der Unfalluntersucher auf der „Rückseite der Leistungskurve“. Selbst bei voller Leistung gelingt es dem Flugzeug in diesem Zustand nicht, an Geschwindigkeit zu gewinnen. Der Versuch, den Steigwinkel weiter zu erhöhen, um Hindernisse zu überwinden, mündet unweigerlich im Strömungsabriss. Genau dieses Schicksal ist der Cessna widerfahren.

Flugzeugführer der Cessna 177B hatte wenig Erfahrung

Zur Entstehung des Unglücks trugen laut Aussage der Unfalluntersucher verschiedene Faktoren bei. Ein übergeordnetes Thema lässt sich sofort erkennen: mangelnde Erfahrung des Piloten. Das gilt für das Flugzeugmuster ebenso wie für das Fliegen an hochgelegenen Flugplätzen und in den Alpen sowie für Kurzstartverfahren mit Überflug von Hindernissen im Abflug. Auch die Flugvorbereitung erschien den Ermittlern nachlässig.

Was bleibt ist eine Erkenntnis, die so alt ist, wie die Luftfahrt selbst: Eine gesunder Respekt vor den persönlichen Grenzen schafft Sicherheit.

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Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

Schlagwörter
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