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Was muss ich beim Passüberflug beachten?

Hoch und geländenah – diese Kombination hat Tücken, vor allem bei Wind. Und der ist normal in der Höhe. Beim Überfliegen von Pässen können mehrere Faktoren zu bösen Überraschungen führen.

Von Peter Wolter
Passüberflug
Düse, Abwind, Turbulenz Der Einschnitt in der Bergkette erhöht die Windgeschwindigkeit (links). Hinterm Pass gerät das Flugzeug in sinkende Luft – der Pilot wehrt sich gegen den Höhenverlust und überzieht (Mitte). Auf der Leeseite flieht eine Maschine vor Rotoren (rechts). Bild: Helmut Mauch, Eric Kutschke

Ein Unfallklassiker im Gebirge beim Passüberflug: Start bei sommerlichem Wetter, beste Sicht, ein breites Tal, geplante Flugroute quer dazu. Im Steigflug eine Kurve, voraus eine Bergkette, die an der tiefsten Stelle überstiegen werden soll. Doch die Höhe reicht nicht – Strömungsabriss knapp unter Passhöhe, dicht überm Boden, recovern unmöglich. 

Dabei wäre woanders Platz ohne Ende gewesen, um auf die nötige Überflughöhe zu steigen. Oder festzustellen, dass sie aktuell nicht machbar ist. 

Beim Passüberflug spielt die Dichtehöhe eine große Rolle

Für einen Flachlandpiloten mag die Sache banal erscheinen: Reicht die Höhe, überflieg ich den Pass; reicht sie nicht, lass ich’s halt. Und falls dem Piloten bei der Bodenannäherung in großer Höhe doch mulmig werden sollte, wandelt er vielleicht ein Mantra ab, mit dem er sich über Wasser beruhigt: Das Flugzeug weiß ja nicht, dass da unten …  

Doch an einem Pass schlagen Fallen schon bei bloßer Annäherung zu, objektiv, Mantra hin oder her. Bereits die Höhe kann ein Problem sein, denn die Luft da oben ist dünn. In 10 000 Fuß beträgt ihre Dichte gegenüber Meereshöhe nur noch 70 Prozent. Dadurch hat der Motor weniger Sauerstoff für die Verbrennung, sodass er weniger leistet; aufgeladene Motoren bleiben fitter. Kommt auch noch Hitze hinzu, klettert die Dichtehöhe auf Werte, bei denen die Performance deutlich reduziert ist, kurz: Die Steigleistung wird dürftig. Und schon stimmt die Planung für den Passüberflug nicht mehr. 

Wie ist das Wetter hinter der Hürde?

10 Nautische Meilen bis zum Pass, der 5000 Fuß höher liegt, 600 Fuß pro Minute Steigen bei 60 Knoten – das ergibt 1000 Fuß überm Pass. Aber nur, wenn die Steigrate konstant bliebe. Fällt sie im Schnitt auf 400 Fuß pro Minute ab – in großer Höhe durchaus realistisch –, geht die errechnete Überflughöhe komplett verloren, und es fehlen am Pass sogar 1000 Fuß. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die Geschwindigkeit für den steilsten Steigwinkel, Vx, mit der Höhe zunimmt, etwa bei einer Cessna 172 von 60 Knoten in Meereshöhe auf 65 Knoten in 10 000 Fuß.

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Durch die nun schnellere Annäherung ans Ziel läuft die Zeit für den Höhengewinn früher ab, sodass er (bei gleicher Steigrate) kleiner ausfällt. Um so wichtiger ist es, keine Leistung zu verschenken: Durch Leanen wird das Maximum rausgeholt, auf einem hoch gelegenen Flugplatz bereits am Start. 

Piloten müssen geringere Leistungsfähigkeit in der Höhe beachten

Piloten sollten auch daran denken, dass ihre eigene Leistungsfähigkeit mit der Höhe abnimmt. Deshalb ist zwischen 10 000 und 13 000 Fuß eine Zusatzversorgung mit Sauerstoff vorgeschrieben, sobald man sich länger als 30 Minuten in dieser Höhe aufhält. Ab Flugfläche 130 muss permanent Sauerstoff zugeführt werden.

Haufenweise Handicaps: Warme Luft, große Höhe und viel Gewicht verschlechtern die Performance. Weniger Zuladung und eine kühlere Tageszeit helfen.

Doch beste Voraussetzungen bei Mensch und Maschine nützen nichts, wenn ein Wolkendeckel den Sprung ins nächste Tal verhindert. Es hat keinen Sinn, bis dorthin weiterzufliegen, wo die Bewölkung aufliegt, in der Hoffnung, doch noch ein Schlupfloch zu finden. Zum einen wäre die Überflughöhe eh zu gering (dazu später mehr), zum anderen könnte Platz zum Umdrehen fehlen. 

Vor einem Pass umzudrehen, muss mit eingeplant werden

Schon bei der Planung eines Passüberflugs darf das naheliegendere Wettergeschehen diesseits der Hürde nicht den Blick verstellen aufs weiter entfernte dahinter: Fliege ich dort in den Dreck rein? In ein Tal mit »Deckel«? Wenn der sich senkt oder im Tagesverlauf Wolken reinziehen oder durch Erwärmung entstehen – komm ich da wieder raus? Wird der Pass noch frei sein, durch den ich eingeflogen bin? Vor einem Pass kehrtzumachen muss immer miteingeplant werden.

Je mehr Raum für das Manöver zur Verfügung steht, desto besser funktioniert eine Umkehrkurve. Deshalb ist es sinnvoll, nicht in Talmitte, sondern auf einer Seite zu fliegen. Auf welcher? Sprechen Abwindgebiete und Turbulenzen nicht dagegen, gilt aus Gründen der Kollisionsvermeidung in Tälern ein Rechtsfluggebot. Beim Kurven sollte die Querneigung möglichst gering sein, damit wenig Auftrieb verloren geht – mit dem Gashebel lässt sich in großer Höhe nicht mehr viel kompensieren; die Leistungsreserve ist dürftig und das Fahrtpolster bis zum Strömungsabriss vielleicht schon ziemlich klein. Allerdings darf die Kurve auch nicht so flach sein, dass man auf der anderen Talseite in einem Leegebiet »runtergewaschen« wird.

In einem engen Tal per Chandelle wenden?

Was ist da drüben los? Wie dicht kann ich da hin? Besonders bei Wind sind diese Fragen vor dem Umdrehen zu klären. Gelegentlich wird auch vorgeschlagen, in einem engen Tal per Chandelle zu wenden. Doch ob das tatsächlich funktioniert? Gerade im Gebirge haben die meisten Normalflugzeuge nicht genügend Leistung, um aus dem Horizontalflug heraus mit einer steil ansteigenden Kurve auf Gegenkurs zu gehen. Außerdem nähert sich das Flugzeug dabei der Mindestfahrt, und Abkippen ist in einem engen Tal nicht gerade das, was man will. 

Keine Wolken, Wind beim Anflug auf den Pass nicht quer zum Tal, sondern von hinten: Da ahnt man nichts Böses. Über dem ansteigenden Gelände entsteht dynamischer Aufwind, die Steigrate ist besser als in toter Luft, und der Pilot freut sich über die mühelos erklommene Höhe. Doch die hat ihren Preis: das Lee hinterm Pass. Je nach Geländeform folgt die Luft dort der Kontur, oder sie reißt ab, bildet Leewalzen oder diffuse Verwirbelungen – auf jeden Fall: Abwind. Hier sinkt die Luft mitunter schneller, als ein Flugzeug zu steigen vermag, sodass es trotz Vollgas abwärts geht. Die hohe Groundspeed in Bodennähe täuscht dabei Reserven vor, die sich vermeintlich in Höhe umwandeln lassen.

45-Grad-Anflug  Von der Seite kommend kann am Pass besser abgedreht werden als bei einem Frontalanflug. Erzwingen lässt sich Höhe nicht – schon gar nicht im Abwind auf der Leeseite, wenn der Steigflug zu dicht am Berg begonnen wurde.

Eine große Versuchung besteht in dieser Situation darin, am Steuer zu ziehen, was aber nur den Anstellwinkel erhöht, bis hin zum Stall. Alles, worauf es jetzt ankommt: Fahrt halten und Geländekollision vermeiden! Dann lässt man sich eben ins Tal runterspülen und versucht, erst jenseits der Leefalle wieder Höhe zu gewinnen. 

Großzügige Höhe beim Passüberflug ist wichtig

Eine größere Überflughöhe am Pass ermöglicht es, über dem Lee zu bleiben; der Abstieg erfolgt dann in sicherer Entfernung. Die generell empfohlenen 1000 Fuß genügen nicht in jedem Fall. Geländeprofil, insbesondere Neigung und vertikale Ausdehnung der Hänge auf beiden Seiten des Passes, Windstärke, Thermik auf der Leeseite – viele Faktoren entscheiden über Ausdehnung und Heftigkeit eines Lees. Doch auch Windstille im Anflug muss nicht bedeuten, dass die Luft auf der anderen Seite tot ist; schon deshalb darf auf vertikalen und horizontalen Sicherheitsabstand nicht verzichtet werden.

Ein weiteres Argument für großzügige Höhe beim Passüberflug sind Stromleitungen, die über manche Pässe führen, sowie Windräder oder Gebäude, die dort stehen.

Wer von der Leeseite anfliegt, hat andere Bedingungen

Beim Anflug von der Leeseite sind die Bedingungen anders. Um außerhalb von Abwind und Rotoren zu bleiben, muss der Pilot frühzeitig über Passhöhe steigen. Im Gebirge gelingt das eventuell nur durch Kreisen. Aus dem Flachland anfliegend können in sicherer Entfernung allerdings Wolken die notwendige Flughöhe verhindern, während dichter am Pass die absinkende Luft zu Wolkenauflösung führt und mit blauem Himmel lockt (am Alpenrand ist das Phänomen als »Föhnlücke« bekannt).

Umkehrkurve  Der Anflug am Hang bietet dafür am
meisten Platz. Hier führt er auf der anderen Talseite aber ins Lee! Die hochgezogene Kurve (Chandelle) setzt Höhen- oder Leistungsreserve voraus.

Bei zu tiefem Anflug wiederum macht die sinkende Luft einen Steigflug eventuell unmöglich – und in heftiger Turbulenz gefährlich. Hier Höhe erzwingen zu wollen funktioniert genauso wenig wie der Kampf gegen Höhenverlust nach einem Passüberflug von der Luv- auf die Leeseite. Der Unterschied: Man kann nicht geradeaus in den freien Raum flüchten, sondern muss auch noch umdrehen. 

Passüberflug: Es ist keine Schande, ihn nicht zu meistern

Eine Umkehrkurve über ansteigendem Gelände, bei wenig Fahrt und ohne ausreichende Höhe, um sich im Wegdrehen mit reduzierter g-Belastung fallenlassen zu können – typischer könnten die Zutaten für einen Unfall im Gebirge nicht sein. Entschärfen lässt sich die Situation, indem man einen Pass nicht frontal anfliegt, sondern in einem Winkel von ungefähr 45 Grad. So ist die halbe Umkehrkurve schon erledigt, bevor sie beginnt: Der Platzbedarf für die restlichen 45 Grad ist kleiner als für 90 Grad, auf gleichem Raum kann flacher gekurvt werden, was die Gefahr eines Strömungsabrisses senkt, und das Flugzeug ist schneller raus aus der kollisionsträchtigen Zone dicht am Gelände.

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Einen Pass nicht zu überfliegen ist kein Scheitern, sondern eine Option, die von vornherein in allen Schritten und mit allen Konsequenzen zur Kalkulation gehört: Welche Alternativroute führt ans Ziel? Reicht die Endurance bis zu einem Flugplatz, der nicht hinter dem Pass, sondern woanders liegt? Wird es zu dunkel, wenn ich umdrehen und dadurch länger fliegen muss? 

Was Landungen betrifft, gibt es die Lehrmeinung, man solle immer vom Durchstarten ausgehen, als Normalfall. Und wenn’s beim ersten Versuch klappt, sei der Flug eben vorzeitig beendet. Könnte man anpassen. 

Text: Peter Wolter  Zeichnungen: Helmut Mauch  Illustrationen: Eric Kutschke

Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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