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Von Bergen umzingelt: Robin DR 400-180 in der Alpen-Sackgasse
Nach einem Take-off in den Bergen möchte man vor allem eins: möglichst schnell Höhe gewinnen. Das funktioniert allerdings nur, wenn die Abflug-Parameter innerhalb der Limits liegen
Gebirgsflieger absolvieren ein anspruchsvolles Training für anspruchsvolle Fliegerei: Um keine bösen Überraschungen zu erleben, müssen sich die Piloten mit den besonderen Gegebenheiten in den Bergen auskennen. Zum Beispiel Landungen auf ansteigendem Gelände oder Kurzstarts von abschüssigen Pisten. Der sichere Umgang mit der Maschine ist eine Grundvoraussetzung, damit solche Manöver gelingen. Darüber hinaus sind die besonderen Umweltbedingungen zu beachten: Wie wirken sich Dichtehöhe und Temperatur auf die benötigte Leistung aus? Welche Besonderheiten zeichnen den Airport aus? Welche Flugroute ist bei bestimmten Wetter- und Windverhältnissen am günstigsten. Gibt es Ausweichalternativen? Ist das geplante Vorhaben überhaupt durchführbar? Die Vorbereitung für einen Gebirgsflug hat eine ganz andere Dimension als die für einen Flachlandhüpfer.
Auch der Gebirgsflugplatz Samedan im Schweizer Engadin stellt besondere Anforderungen an Piloten. Hier zählt die Pistenlänge mit 1800 Metern noch zu den weniger limitierenden Faktoren – zumindest für kleinere Ma- schinen. Für die Performance viel wesentlicher – egal bei welcher Flugzeuggröße – ist die Platzhöhe von 5600 Fuß. Samedan gilt als Europas höchstgelegener Flughafen! Außerdem sind die durch die umliegenden Berge bedingten An- und Abflugverfahren zu beachten. Da der Platz kein Instrumentenlandesystem hat, kann er nur unter Sichtflugbedingungen angeflogen werden. Einem deutschen Piloten wurde hier die dürftige Performance seiner schwer beladenen Robin DR 400-180 zum Verhängnis.
Robin DR 400-180: Start in Samedan, Europas höchsgelenem Flughafen
Schon nach sieben Minuten endete der Flug an einem Berghang. Bereits auf der Hinreise von Schönhagen bei Berlin nach Samedan lässt der Pilot eine Grundregel für Sichtflüge im Gebirge außer Acht: Fliege nur bei wirklich guten VFR-Bedingungen! Davon kann am 3. März 2005 keine Rede sein. Das Wetter für die Landung in Samedan ist grenzwertig. Die Sichten betragen etwa vier Kilometer, die Wolkenuntergrenze liegt bei 1000 Fuß über Grund. Der deutsche Privatpilot landet an diesem Tag zum dritten Mal in Samedan. Seine Gebirgsflugeinweisung mit Lehrer liegt sieben Jahre zurück. Das belegen die Aufzeichnungen aus seinem Flugbuch. Seine Gesamterfahrung beträgt 537 Stunden, davon knapp 150 auf der Robin DR 400. Außer ihm sind drei befreundete Passagiere ohne fliegerische Erfahrung an Bord.
Drei Tage später ist der Rückflug nach Schönhagen geplant. Inzwischen haben sich die Wetterbedingungen allerdings eher verschlechtert. Laut GAFOR sind alle Flugrouten Richtung Norden zu, sämtliche Alpenübergänge im Norden in Wolken eingehüllt. Bei ATC gibt der Pilot einen VFR-Flugplan auf. Wegen der schwierigen Wetterlage will er von Samedan, statt nordöstlich über Zernez, südwestlich über den Julier-Pass und dann Richtung Kempten-VOR fliegen. Die einzig offene Strecke führt jedoch über den südöstlich gelegenen Maloja-Pass. Dass die Übergänge im Nordbereich der Alpen VFR unpassierbar sind, ist dem Piloten bei seiner Flugplanung offenbar nicht bewusst. Über die Wetterlage informiert er sich übers Internet im Hotel, weil ihm das Wetterbriefing-System am Flugplatz Samedan nicht vertraut ist.
Bereits kurz nach dem Start muss den Piloten ein mulmiges Gefühl überkommen haben
Was soll’s – Mut zur Lücke! Schließlich ist die ATIS von Samedan zur Startzeit vielversprechend: kaum Wind, mehr als zehn Kilometer Sicht und fünf Achtel Bewölkung in 5000 Fuß. Um 11.25 Uhr hebt die vollgetankte Maschine auf der Piste 21 mit einem Abfluggewicht von 1158 Kilo ab (MTOW 1100 Kilo). Statt 500 Meter hinter der Schwelle der vorgeschriebenen Platzrunde 90 Grad rechts, dann 180 Grad links zu folgen, fliegt der Pilot geradeaus weiter und bittet Samedan Tower wegen voraus liegender Hindernisse um die Erlaubnis, nach links ins Bernina-Tal abdrehen zu dürfen. Die Maschine muss dringend Höhe gewinnen. Bereits kurz nach dem Start muss den Piloten ein mulmiges Gefühl überkommen haben. Was ist los? Warum steigt die Maschine so mühsam?
Eine Minute später erhält der Towerlotse eine weitere Funkmeldung von der Robin: „Overhead Pontresina now, I need some more altitude, going to the south …“ Derweil beobachtet ein Skifahrer östlich der Ortschaft, wie sich die Maschine im Sackflug etwa 70 bis 100 Meter über Grund durch das enge Tal quält. Das ungute Gefühl im Cockpit nimmt zu. Sie steigt kaum, so geht’s nicht, was tun? Drei Nautische Meilen später setzt der Pilot die Klappen auf die erste Stufe, um so den Steigwinkel zu verbessern. Die Maßnahme führt jedoch nicht zum gewünschten Effekt. Also wieder rein mit den Flaps. Links Berge, rechts Berge und irgendwann endet das Tal.
Die Robin quält sich im Sackflug durchs enge Tal
Umkehren! Aber wo? Weiter talaufwärts, in Nähe der Seilbahn-Bodenstation Diavolezza, entschließt sich der Pilot zu einer Umkehrkurve, da hier das Tal weniger eng ist. Nach dem Überflug einer Hochspannungsleitung bricht er die Kurve jedoch ab, da ihm ein weiteres Überfliegen der Stromkabel wegen der geringen Höhe zu risikoreich erscheint. Stattdessen fliegt er in seiner Not links ins Val da Fain ein. Eine Sackgasse, wie sich wenig später herausstellt. Denn die Schlucht verläuft in einer langgezogenen Rechtskurve über sechs Kilometer bis zu einem 2470 Meter hohen Bergmassiv – mit einer mittleren Steigung von etwa sechs bis sieben Prozent. Jetzt erkennt der Mann am Steuer, dass er in eine Falle geraten ist. Die Kletterleistung der Robin ist einfach zu gering, um das stark ansteigende Gelände überfliegen zu können. Umkehren, jetzt oder nie!
Doch der letzte Versuch einer Umkehrkurve scheitert, bevor er beginnt. Das rechte Hauptfahrwerk hat bereits einen verschneiten Hang berührt und wird von der Fläche abgerissen. Wenige Meter später prallt die Robin oberhalb des Hangs auf eine vier bis fünf Meter hohe Schneedecke. Die rechte Tragfläche geht zu Bruch, die Kabine bleibt weitgehend intakt. Durch den Aufprall wird der Pilot schwer verletzt, die drei Passagiere bleiben unverletzt. Über ein Mobiltelefon meldet einer der Insassen um 11.45, wenige Minuten nach dem Absturz, den Unfall bei der Kantonspolizei Graubünden.
Überladen in geringer Dichtehöhe
Noch am selben Tag beginnt das Schweizer Büro für Flugunfalluntersuchungen (BFU) mit der Untersuchung des Unglücks. Demnach waren Zelle und Triebwerk in technisch einwandfreiem Zustand. Gleichwohl entwickelte der Motor nach Herstellerangaben aufgrund der geringen Dichtehöhe bis zu 25 Prozent weniger Leistung. Das 180-PS-Triebwerk gab daher nur noch eine Leistung von etwa 145 PS ab. Anhand eines GPS konnte der Flugweg nachvollzogen werden. Eine Neuberechnung der Beladungs- und Trimmdaten ergab, dass das Flugzeug zur Startzeit mit rund 60 Kilo überladen war und der Schwerpunkt etwas außerhalb des zulässigen hinteren Bereichs lag. An Bord der Maschine wurden keinerlei Aufzeichnungen über die Wetterlage gefunden. Die Experten der BFU halten es daher für fragwürdig, dass sich der Pilot wirklich der schlechten Wetterlage am Alpennordrand bewusst war. Im Zeitraum des geplanten Fluges waren sämtliche VFR-Routen Richtung Norden geschlossen. Die im Flugplan aufgegebene Route war deshalb nicht fliegbar.
Warum der 49-Jährige direkt nach dem Start nicht der Platzrunde gefolgt, sondern geradeaus weiter geflogen war, konnte er im Nachhinein selber nicht begründen. Letztlich blieb ihm zu wenig Raum, um vor den Hindernissen nach links talabwärts abzudrehen. Dadurch war er quasi gezwungen, ins Val Bernina Richtung Pontresina einzufliegen. Das Ausfahren der Flaps führte im Steigflug zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Steigrate. Weshalb die Klappen zum Unfallzeitpunkt voll ausgefahren waren, bleibt allerdings unklar. Die geringe Gebirgserfahrung des Piloten hatte nach Meinung der Experten ebenfalls zur Unfallursache beigetragen. Die schweizerische BFU weist darauf hin, dass gegen den zugrunde liegenden Untersuchungsbericht zwischenzeitlich Widerspruch eingelegt wurde. Ein erneuter Bericht wurde bislang aber noch nicht veröffentlicht.
fliegermagazin 5/2008
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