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Vogelschlag in der Nacht: Cessna 172 in Kalifornien
Ein nächtlicher Schulungsflug wird zu einem Flieger-Alptraum: Eine Gans durchschlägt die Frontscheibe und verletzt dabei den Piloten
Zu den Schreckensszenarien von Piloten zählt Vogelschlag, auch weil die möglichen Folgen unkalkulierbar sind. In den kritischen Flugphasen, bei Start und Landung, kann die Kollision mit einem Vogel zu akut lebensgefährlichen Situationen führen, beispielsweise zu einem Motoraufall, bei dem dann nur wenig Zeit bleibt zu reagieren. In großer Höhe macht die hohe Geschwindigkeit den Zusammenprall mit einem Federtier nicht minder bedrohlich, wie ein Fall aus den USA zeigt.
Am 18. November 2017 startet eine Cessna 172M in Chico, Kalifornien, zu einem Trainingsflug. An Bord sind der Fluglehrer Garry Lee und sein Flugschüler John Sprague. John hat bislang 44 Flugstunden gesammelt, davon zweieinhalb bei Nacht, und steht jetzt vor seinem Final Check. Für die Zulassung zur PPL-Prüfung wird in den USA unter anderem ein nächtlicher Überlandflug mit einer Strecke von 100 Nautischen Meilen gefordert. Der Start erfolgt um 18.35 Uhr auf der Bahn 31R. Der Flugschüler zieht die Cessna nach dem Abheben in einen wolkenlosen Himmel, es ist Neumond. Mit einer Rechtskurve lässt er dann den Flugplatz mit Südost-Kurs hinter sich und nimmt Kontakt mit der Flugsicherung auf. Als die Reiseflughöhe in 3500 Fuß erreicht ist, levelt John den Viersitzer aus.
Die Cessna 172 startet in Kalifornien zu einem Trainingsflug
Zehn Minuten nach dem Start erschüttert ein Knall das Cockpit, dann erfüllt ohrenbetäubender Lärm die Kabine. Die Flugzeugnase senkt sich und geht daraufhin wieder nach oben. Instinktiv orientiert sich John an den Lichtern am Horizont, um die Fluglage zu stabilisieren. Sein erster Gedanke ist, dass die Tür aufgeflogen sein muss. Doch als er den Kopf nach links dreht, um nachzusehen, wird ihm die Brille vom Gesicht gezogen. Er kann sie festhalten, stellt dabei aber fest, dass sein Headset fehlt – und dass er blutet.
Als der erste Schock überstanden ist, wird John der starke Druck auf der Brust bewusst – Fahrtwind! Etwas hat die Windschutzscheibe getroffen und sie zertrümmert. „Ich brauchte eine ganze Weile, um zu verstehen, was passiert war. Dann merkte ich, dass der Druck, der auf mir lag, auch von dem enormen Lärm kam – einem Lärm, wie ich ihn so noch nie erlebt hatte. Er schien den ganzen Körper zu durchdringen“, erinnert sich der Pilot.
Geborstene Frontscheibe: Der Widerstand der Cessna ist extrem hoch
Garry auf der rechten Seite ist unverletzt, nicht einmal Brille und Kopfhörer sind verrutscht. Kommunikation ist nur noch durch Handzeichen möglich: Garry gibt mit Gesten zu verstehen, dass John Pilot flying bleibt, während er selbst den Transponder auf 7700 einstellt und damit einen Notfall signalisiert. Nach einer 180-Grad-Kurve kommen die Lichter des Flugplatzes wieder in Sicht. Im Cockpit ist das Panel dagegen dunkel, einzige Lichtquelle ist die rote Deckenlampe.
Mit einer auf 85 Knoten reduzierten Geschwindigkeit lässt der Lärm etwas nach. Der folgende Sinkflug ist unproblematisch, doch in der Platzrunde fällt es John schwer, die Höhe zu halten. Durch die geborstene Frontscheibe ist der Widerstand der Cessna extrem hoch, Horizontbild und Powersetting sind dadurch ganz anders als gewohnt. Mit etwas mehr als 70 Knoten setzt der Hochdecker nach dem Gasrausnehmen hart, aber ohne weiteres Springen auf – eine intakte 172 wäre bei dieser Speed gleich wieder von der Piste gesprungen. John rollt die Maschine zur Parkposition, dort wartet schon die Feuerwehr; auch, um die Schnittwunden des Piloten zu versorgen. Bei der ersten Inspektion des Fliegers bestätigt sich die Vermutung: Vogelschlag. Von der Cockpitscheibe sind nur noch Bruchstücke vorhanden, am Rahmen und überall innerhalb der Kabine sind Blutspuren.
Der Vogel, eine etwa sieben Kilogramm schwere Blässgans, war vom Propeller zerstückelt worden, durchschlug anschließend die Frontscheibe und landete im hinteren Teil der Kabine. Ein um nur wenige Zentimeter versetztes Auftreffen hätte den Piloten deutlich schwerer verletzen können, dann möglicherweise mit fatalen Folgen für beide Insassen. John hat neben der großen Routine seines Fluglehrers geholfen, dass er selbst bei der Feuerwehr arbeitet und sich daher bestens mit Stress-Situationen auskennt. Eine große Portion Glück hatten die beiden natürlich auch.
Text: Hans Jürgen Zimmermann, fliegermagazin 8/2018
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