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VFR-Nachtflug in IMC: Bodenkollision von Piper PA-28
Ein wichtiger Termin, ein fester Plan und ein Pilot, der keinen Selbstzweifel kennt – das sind die Zutaten für jene Katastrophen, die nicht
unter tragischen Umständen passieren. Sie werden geradezu erzwungen

Der Flugzeugführer wollte am Unfalltag zu einer Familienfeier“ – gleich in den ersten Zeilen des Untersuchungsberichts 3X172-0/06 der Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BfU) ist das zu lesen. Und damit wird vielleicht schon mehr gesagt als in den folgenden acht Seiten, in denen die Experten das unglaubliche Geschehen, das sich am 13. Oktober 2006 nahe der Ortschaft Dolsenhain in Sachsen ereignete, nüchtern analysieren.
Es ist ein ungemütlicher Herbsttag, an dem der Pilot einer PA-28 einen Flug von Paderborn-Lippstadt ins thüringische Altenburg-Nobitz plant. Seine Flugvorbereitung ist gründlich: Um 16 Uhr erkundigt er sich telefonisch am Zielflugplatz über das aktuelle Wetter, dann gibt er einen Flugplan für einen Nachtflug nach VFR auf, Ausweichflughäfen sind Erfurt und Leipzig.
Die PA-28 soll von Paderborn/Lippstadt ins thüringische Altenburg-Nobitz fliegen
Das Verblüffende: Obwohl er alle notwendigen Informationen einholt, scheint ihn deren Inhalt nicht sonderlich zu interessieren. Der Flugleiter und Beauftragte für die Luftaufsicht in Altenburg-Nobitz jedenfalls rät ihm von seinem Vorhaben ab. Die Wolkenuntergrenze über dem Zielflugplatz beträgt zu dieser Zeit nur 200 bis 300 Fuß, die Vorhersage für die Allgemeine Luftfahrt weist für den Bereich Nord auf Dunst und Hochnebelfelder hin, die nur eine „zögernde Tendenz zur Auflösung“ zeigen. GAFOR stuft nahezu die gesamte Flugstrecke, die über den Gebieten 10, 36, 43, 24 und 25 verläuft, bis 21 Uhr UTC mit X-RAY ein. Auch die Gebietswettervorhersagen von GAMET geben für diesen Zeitraum Sichteinschränkungen und aufliegende Bewölkung im Bergland an. Der Piper-Pilot hat keine IFR-Berechtigung, die Maschine ist nicht für Instrumentenflug zugelassen.
Auch am Flugplatz Paderborn-Lippstadt halten Fliegerkameraden den Plan des 48-Jährigen für unmöglich und raten ihm mit Verweis auf die marginalen Sichtflugbedingungen, den Flug abzublasen. Vergeblich. Um 18.10 Uhr Ortszeit startet er und geht auf Kurs Süd-Südost. An Bord ist auch ein Passagier. Die geplante Flugzeit: 90 Minuten. Um 18.48 Uhr nimmt der Pilot Kontakt mit München Radar auf und bekommt eine Freigabe für einen VFR-Nachtflug nach Altenburg in 4000 Fuß Höhe. Informationen über das Wetter am Zielflugplatz will er jetzt nicht mehr haben. Der 23-jährige Lotse – ein Auszubildender, der noch keine Berechtigung für den betreuten Kontrollsektor hat und unter Aufsicht eines Supervisors steht – weist ihn seinerseits nicht auf die für Sichtflug ungeeigneten Bedingungen am Zielflugplatz hin, obwohl er in einem Telefonat mit dem Flugleiter von Altenburg kurz zuvor darüber informiert wurde. Wie die BfU später feststellen wird, verlief dieses Gespräch „nicht hinreichend professionell“ und seitens des Altenburger Flugleiters „überraschend emotional“.
Der Grund: Ein Flugplan für den VFR-Nachtflug ist in Altenburg nie eingegangen, dabei hätte der Flugberatungsdienst, eine Unterabteilung der Deutschen Flugsicherung (DFS), diesen nicht nur an die Bezirkskontrollstelle München, sondern auch an den Zielflugplatz Altenburg weiterleiten müssen. Der dort diensthabende Flugleiter, der dem Piper-Piloten bereits mehr als drei Stunden zuvor von seinem Plan abgeraten hatte, ist über dessen offensichtliche Ignoranz und den nicht übermittelten Flugplan offenbar verärgert – und handelt jetzt seinerseits unprofessionell: Die Frage des jungen, unerfahrenen Lotsen, ob er die Wettersituation an den Piloten weitergeben solle, beantwortet er nicht eindeutig mit „ja“, obwohl er später angibt, genau das von ihm erwartet zu haben.
Der Auszubildende gibt daraufhin lediglich das QNH von Altenburg-Nobitz über Funk an die Piper weiter. Zu diesem Zeitpunkt ist der Tiefdecker noch 27 Nautische Meilen und 18 Minuten vom Zielflugplatz entfernt, er fliegt genau zwischen den Ausweichplätzen Leipzig und Erfurt. Die vermutlich letzte Chance, den Piloten doch noch von seinem Vorhaben abzubringen, bleibt damit ungenutzt. Um 19.42 Uhr ruft die Piper München Radar und bittet darum, auf die Frequenz des Zielflugplatzes wechseln zu dürfen. Kurz darauf nimmt der Pilot Kontakt mit Altenburg Info auf. Der Flugleiter informiert ihn über die aktuelle Landerichtung, das Wetter mit Sichten von 2000 Metern und 400 Fuß Wolkenuntergrenzen sowie Temperatur und Taupunkt: Beide liegen bei elf Grad, das heißt, es besteht akute Gefahr von Dunst- und Nebelbildung.
Der Piper-Pilot bittet um „Simulated ILS“
Die Piper ist jetzt nur noch fünf Nautische Meilen von der Schwelle entfernt. Auf die Nachfrage des Flugleiters, ob die Informationen über das aktuelle Flugplatzwetter verstanden wurden, bestätigt der Pilot knapp und fragt, ob ein „Simulated ILS“ möglich sei. Auch an dieser Stelle ist die Kommunikation des Flugleiters zumindest fragwürdig. Er antwortet wörtlich: „Das ist möglich“. Im Untersuchungsbericht wird diese Aussage später als „auf die Funktionalität des Systems bezogen“ verstanden. Der Piper-Pilot wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit als Freigabe für einen ILS-Anflug verstanden haben. Eine solche Freigabe hätte der Flugleiter allerdings gar nicht geben dürfen; zu Protokoll gibt er später, dies auch nicht beabsichtigt zu haben.
Was jetzt folgt, ist der desaströse Abschluss eines von Beginn an zum Scheitern verurteilten Vorhabens: Der Pilot ist mit dem Anflug ohne ausreichend Sicht und ohne Instrumentenflug-Erfahrung völlig überfordert. Rechtwinklig zur Landerichtung und mit nur fünf Meilen Abstand zum Platz versucht er, den Landekurssender anzuschneiden. Aus diesem Manöver, so lassen Radar- und GPS-Aufzeichnungen vermuten, resultiert im Folgenden eine räumliche Desorientierung. In leichter Querlage schießt die Maschine aus den tiefliegenden Wolken heraus, kurze Zeit hält sie sich noch in einer Höhe von 15 bis 20 Metern über Grund, dann kracht der Tiefdecker aus einem leichten Kurvenflug heraus ungebremst in ein Feld. Die rechte Tragfläche und Teile des Cockpits werden dabei vom Rumpf abgerissen und gehen sofort in Fammen auf. Pilot und Passagier haben keine Chance, der Aufprall ist nicht überlebbar.
Das Haupttrümmerfeld bedeckt eine Fläche von 1400 Quadratmetern. Teile des Wracks sind vollständig ausgebrannt. Trotzdem können die Experten der BfU technisches Versagen als Unfallursache ausschließen. Volle Leistung, hohe Geschwindigkeit und der flache Winkel beim Aufschlag sind charakteristische Merkmale für einen so genannten CFIT (controlled flight into terrain). Auch eine Fehlfunktion der ILS-Sendeanlage von Altenburg-Nobitz schließen die Unfallermittler aus. Die Pistenbefeuerung, bestehend aus einer Nieder- und Hochleistungsbefeuerung sowie der Schwellen- und Präzisions-Gleitwegbefeuerung, war zum Zeitpunkt des Unglücks ebenfalls voll funktionsfähig und eingeschaltet. Als Unfallursache nennen die Braunschweiger Experten in erster Linie eine „Anhäufung von Fehleinschätzungen und -entscheidungen“.
Ursache: Faktor Mensch
Unter dem Stichpunkt „human factors“ sind explizit die Verhaltensweisen des Piloten zusammengefasst, die letzlich in die Katastrophe führten: Uneinsichtigkeit („Ich brauche niemanden, der mir sagt, was ich zu tun habe“), Impulsivität („Ich muss jetzt und schnell handeln“) und Machismo („Ich zeig euch – ich schaff das“). Die Bezeichnung „Simulierter ILS-Anflug“, so die Unfallermittler, existiere weder in den Regelwerken der Internationalen Zivilluftfahrt Organisation (ICAO), noch in nationalen Vorschriften. Dort ist nur von einem Übungsanflug unter Sichtflugbedingungen die Rede, der per Funk angemeldet werden kann – und selbstverständlich nur in VMC erlaubt ist. Von Sichtflugbedingungen kann zum Zeitpunkt des Unfalls in Altenburg-Nobitz allerdings keine Rede sein.
Festzuhalten bleibt, dass der Piper-Pilot allein verantwortlich ist für sein Handeln und die daraus folgenden Konsequenzen. Vielleicht aber hätte eine unmissverständliche Kommunikation zu einem andern Ausgang beitragen können. Nüchtern und mit großer Untertreibung bezeichnen die BfU-Ermittler seinen selbstgebastelten ILS-Anflug als „kein sinnvolles Manöver“.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 9/2010
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