Unfallakte

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VFR-Flug im IMC: Fk14 Polaris am Rettungsschirm

Über den Sicherheitsgewinn von Gesamtrettungssystemen gehen die Meinungen auseinander – zu Unrecht: In vielen Situationen können sie Leben retten, auch beim Einflug in Wolken

Von Redaktion

Piloten wollen die Kontrolle über ihre Maschine auch im Notfall behalten. Wird aber das Gesamtrettungssystem ausgelöst, überlässt man sein Schicksal buchstäblich dem Wind. Dass gerade dieser Verzicht auf die Steuerung einen totalen Kontrollverlust mit oft tödlichen Folgen verhindern kann, mag paradox klingen. Der Unfall eines ULs am 25. August 2008 in Nähe des Flughafens Köln-Bonn zeigt jedoch, dass der Griff zum Schirm die Überlebenschancen tatsächlich erhöht.

Am späten Vormittag dieses Tages bereitet sich der Pilot einer Fk14 Polaris in Speyer auf den Start vor. Er will rheinabwärts fliegen. Sein Ziel: der Verkehrslandeplatz Mainz-Finthen. Wetterdaten und Prognosen für die Flugroute hat der 52-Jährige bereits eingeholt, wenig später startet er und verlässt die Platzrunde von Speyer in Richtung Norden. Kurz vor Mainz entschließt sich der Pilot wegen des guten Wetters dem Rhein weiter nordwärts zu folgen. Bei Köln dreht der Tiefdecker nach Nordosten ab. Doch dann verschlechtert sich das Wetter. Der Pilot beschließt umzukehren.

Fk14 Polaris: Start in optimalen Bedingungen

Wenig später fliegt der Tiefdecker am Rand der Kontrollzone des Flughafens Köln-Bonn entlang nach Süden. Aber die Wetterfalle scheint zugeschnappt zu sein. Verzweifelt sucht der Pilot ein Wolkenloch, um aus der trüben Suppe herauszukommen. Aus GPS- und Radardaten lässt sich rekonstruieren, dass die Fk14 von 12.18 Uhr bis 12.28 Uhr mehrfach in verschiedene Richtungen kreist (siehe Karte). Inzwischen ist der Tiefdecker vollständig in die Wolken eingeflogen, der Pilot hat offensichtlich die Orientierung verloren. Zur selben Zeit nähert sich ein britisches Verkehrsflugzeug der Piste 14L des Köln-Bonner Flughafens. Das TCAS der Maschine gibt für den Anflugsektor eine Kollisionswarnung ab.

Orientierungslos in den Wolken: Die GPS- Daten zeigen die letzte Flugphase der Fk14. Nach der Um- kehrkurve nordöstlich von Köln fliegt das UL Richtung Süden. Mehrere Vollkreise über einem Kölner Vorort dokumentieren den Kontrollverlust des Piloten kurz vor dem Ausschuss der Rakete (Foto: BFU)

Auf Nachfrage informiert der Tower-Lotse den Verkehrspiloten über ein unbekanntes Radarziel innerhalb der Kontrollzone. Der Fk14-Pilot hat zu dieser Zeit vermutlich schon die Kontrolle über seine Maschine verloren. Das UL rast in einem Spiralsturz dem Boden entgegen. Die Nadel des Fahrtmessers bewegt sich auf das obere Ende der Skala zu und bleibt schließlich am Anschlag stehen, bei rund 300 Stundenkilometern. In dieser ausweglosen Lage zieht der Pilot die „Notbremse“: Er löst die Gesamtrettung aus. Als maximale Auslösegeschwindigkeit für das Gesamtrettungssystem gibt Hersteller BRS 250 km/h an. Die Rakete des Ballistic Recovery Systems durchschlägt den Rumpf der Fk14 hinter dem Cockpit, dann öffnet sich ein Vorschirm, der die Maschine stark abbremst. Erst danach entfaltet sich der eigentliche Rettungsschirm. Um 12.29 Uhr sehen Zeugen das UL über einem Kölner Vorort am Fallschirm hängen.

Wetterentwicklung: Einflug in IMC – Orientierungsverlust

Mit einer Längsneigung von 30 Grad geht der Tiefdecker kurz darauf im Vorgarten eines Mehrfamilienhauses nieder. Der Pilot kann sich mit leichten Verletzungen aus dem Cockpit befreien. Eine Bewohnerin des Hauses alarmiert sofort die Feuerwehr. Die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BfU) konzentrieren sich bei ihren Untersuchungen in erster Linie auf die Wettersituation und den Flugverlauf. Dabei kommen die Experten zu dem Ergebnis, dass der UL- und PPL-Pilot sich vor dem Flug nachweislich mit den meteorologischen Bedingungen in den betreffenden Vorhersagegebieten auseinandergesetzt hatte. Der mit über 700 Flugstunden erfahrene Flieger holte am Morgen des Unfalltags eine flugmeteorologische Auskunft für die geplante Route beim Deutschen Wetterdienst (DWD) ein. Außerdem wurde für die Kennung der Maschine ein Datenabruf über pc_met aufgezeichnet. Eine individuelle Flugwetterberatung hatte der Pilot nicht erhalten.

Das Unfallmuster Fk14 Polaris (Foto: Archiv)

Für die Flugstrecke entlang dem Rheingraben waren an diesem Augusttag Sichtflugbedingungen mit mehrschichtiger Bewölkung und einer Hauptwolkenuntergrenze zwischen 2000 und 3000 Fuß über Grund vorhergesagt, stellenweise sogar oberhalb 3000 Fuß. Zwischen 1000 und 2000 Fuß über Grund war für den betreffenden Zeitraum gebietsweise geringe bis aufgelockerte Bewölkung zu erwarten. Für das Bergische Land, nordöstlich von Köln, hatte GAFOR jedoch die Einstufung X-RAY mit leichten bis mäßigen Regenschauern herausgegeben. Eine GAFOR-Gebietswarnung lag aber nicht vor. Die Wetterstelle des Flughafens Köln-Bonn meldete für den Unfallzeitpunkt aufgelockerte Bewölkung in 1300 Fuß über Grund und durchbrochene Bewölkung in 2700 Fuß.

In letzter Sekunde: Auslösung des Gesamtrettungssystems

Der Geoinformationsdienst am Bundeswehr-Standort Nörvenich bestätigte diese Beobachtung. Aus den Wetterdaten und den Erkenntnissen über die Flugvorbereitung des Piloten schließt die BfU, dass dieser die von Nordosten heranziehende Okklusion erst sehr spät bemerkt hatte. Daher kam auch die Entscheidung zur Umkehr zu spät. Im Untersuchungsbericht der Behörde heißt es dazu: „Die Entscheidung, das Rettungssystem zu aktivieren, war nach Meinung der BfU grundsätzlich richtig“ – und sie kam wohl in letzter Minute. Zu diesem Schluss dürfte der Fk14-Pilot ebenfalls gekommen sein, nachdem er fast unverletzt das Cockpit seiner Maschine verlassen konnte. Noch wenige Minuten zuvor, als er orientierungslos und mit angezeigten 300 km/h auf dem Fahrtmesser in den Wolken umherirrte, waren seine Überlebenschancen gering.

Landung im Gebüsch: Am Rettungssystem ist das UL direkt neben einem Baumhaus niedergegangen (Foto: BFU)

Im Rückblick, so seine Einschätzung im Gespräch mit dem fliegermagazin, sieht er den Unfall nicht nur als Beinahe-Katastrophe mit glücklichem Ausgang, sondern auch als sehr lehrreiches Erlebnis für sein zukünfiges Verhalten beim Fliegen. Jetzt will er nur noch bei optimalen Bedingungen in die Luft gehen. Der Einflug von VFR-Piloten in IMC-Wetterbedingungen gehört in der Privatfliegerei zu den häufigsten Ursachen für Unfälle mit tödlichem Ausgang. Ein Gesamtrettungssystem bietet die realistische Chance, diese Statistik zu ändern. Zwei Jahre nach dem Unfall verbringt der Pilot der Unfallmaschine immer noch einen guten Teil seiner Freizeit im UL-Cockpit. Wie vor dem kontrollierten Absturz fliegt er wieder eine Fk14 Polaris. Mit Rettungssystem.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 5/2010

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