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Verhängnisvoller Einflug in IMC: Piper PA-28 Warrior
Sichtflug und tiefe Wolkenuntergrenzen vertragen sich nicht. Das gilt besonders für Flüge in ansteigendes Gelände. Auch eine IFR-Ausrüstung ist nutzlos, wenn falsche oder gar keine Entscheidungen getroffen werden
Fliegen ist wetterabhängig – das lernt jeder Flugschüler in der ersten Unterrichtsstunde. Detaillierte Informationen zur aktuellen Wetterlage und ihrer Entwicklung sind unerlässlich, um eine realistische Einschätzung treffen zu können. Paradoxerweise wächst bei manchen Piloten mit zunehmender Erfahrung die Risikobereitschaft für Flüge bei marginalen Wetterbedingungen. Mit Überlegungen wie „erstmal losfliegen, umkehren kann man ja immer noch …“ oder „so schlimm wird’s schon nicht werden …“ mag sich der eine oder andere „Top Gun“ in trügerischer Sicherheit wiegen, wenn er bei Schlechtwetter auf Biegen und Brechen in die Luft geht. Oft sind es auch äußere Zwänge, die die Entscheidung begünstigen, beim Wetter nicht so genau hinzuschauen: Das gecharterte Flugzeug muss wieder zurück an die Homebase, die Passagiere wollen an ihr vereinbartes Ziel, oder irgendwelche anderen Termine beflügeln den Tatendrang.
Die Gründe sind vielfältig und oft sogar verständlich. Nur dürfen sie Piloten eben niemals dazu verleiten, die Macht des Wetters zu ignorieren. Genau das aber geschah im Frühjahr 2002. Am Mittag des 3. Mai landet in Saarbrücken bei einer Wolkenuntergrenze von 2900 Fuß eine Piper PA-28 Warrior aus den Niederlanden. Drei Personen sind an Bord: ein 45-jähriger Fluglehrer als verantwortlicher Pilot mit CPL- und IFR-Lizenz sowie knapp 6500 Flugstunden auf dem Buckel, außerdem ein Flugschüler mit 152 Stunden Flugerfahrung sowie ein Fluggast. Der 32-jährige Flugschüler will an diesem Tag seine niederländische nationale Lizenz mit einem weiteren VFR-Flug von Saarbrücken nach Speyer zum PPL-A erweitern.
Saarbrücken: Landung einer Piper PA-28 Warrior aus den Niederlanden
Vor dem Start in Maastricht haben die drei Besatzungsmitglieder Wetterinformationen des Amsterdam Airport Meteorological Information System eingeholt. Die Flughafenprognose für Saarbrücken (TAF) von 6.00 Uhr UTC meldet Regen bei guten Sichten mit Untergrenzen um 2500 Fuß – für VFR also schon relativ anspruchsvoll. Am Flugziel Speyer dagegen prognostiziert der TAF-Karlsruhe (25 Nautische Meilen südlich von Speyer) ähnlich anspruchsvolle bis schlechtere VFR-Bedingungen: leichter Regen mit Sichtweiten um sieben Kilometer mit Untergrenzen um 2000 Fuß – und zeitweiliger Entwicklung zu Untergrenzen um 700 Fuß MSL!
Die geplante Flugstrecke soll von Saarbrücken ostwärts über den Pfälzerwald (MSA 2600 ft) zum Flugplatz Speyer führen. Dieser Luftraum liegt laut Significant Weatherchart an diesem Tag im Einflussbereich einer Kaltfront, die sich von der Ostsee bis zum Mittermeerraum erstreckt, mit gebietsweise aufliegender Bewölkung. Mit anderen Worten: Die Drei planen einen VFR-Flug in schlechtere Wetterbedingungen. Ein TAF-Karlsruhe, Ausgabezeit 11 Uhr, untermauert das: Drizzle mit Sichtweiten um sieben Kilometer und Untergrenzen um 1500 Fuß – zeitweilig Regen mit Sichten um zwei Kilometer und Untergrenzen um 500 Fuß.
Die Drei planen einen VFR-Flug in schlechtere Wetterbedingungen
Auch die Prognose des GAFOR- Gebiets 44/45 lautet entsprechend: Mike fünf, das heißt Wolkenuntergrenzen um 500 bis 1000 Fuß above Groundlevel (AGL, Gebiet 44 bei 1900 Fuß). Spätestens der Blick ins AIRMET der FIR Frankfurt hätten die Alarmglocken bei den Piloten läuten müssen. Danach war für den gesamten Raum aufliegende Bewölkung in den Bergen oberhalb von 2000 Fuß vorhergesagt. Um 13.27 Uhr startet die Maschine nach Sichtflugregeln in Saarbrücken mit Kurs auf den Pfälzer Wald. Eine persönliche Wetterberatung hat die Besatzung nicht eingeholt. Nach Zeugenaussagen könnte sie aber vor dem Flug noch „einen Blick auf die Bildschirme für Wetterradar und Satellitenbilder am INFOMET-Büro Saarbrücken geworfen haben“. Ob sich die drei Piloten über die kritische Wetterlage überhaupt im Klaren sind, bleibt ungewiss.
Um 13.38 Uhr geht bei Frankfurt-INFO eine Positionsmeldung der Piper ein: „… east of Zweibrücken, altitude 2500 feet …“ Eine halbe Stunde später versucht der Frankfurter Lotse vergeblich einen weiteren Funkkontakt zur PA-28 herzustellen. Unmöglich, denn zu diesem Zeitpunkt ist von der Besatzung schon niemand mehr am Leben. Radaraufzeichnungen belegen, dass die Maschine, nachdem sie mit Ostkurs in den Luftraum über dem Pfälzer Wald eingeflogen war, um 13.52 Uhr vor der Ostflanke des Mittelgebirges ihren Kurs auf 75 Grad änderte – genau geradeaus Richtung Kesselberg, einer knapp 2200 Fuß (662 Meter) hohen Anhöhe. Dabei begann die PA-28 fatalerweise aus einer Flughöhe von 2500 Fuß mit 200 bis 500 Fuß pro Minute zu sinken. Ein bis zwei Minuten später prallte die Maschine in einer Flughöhe von 2170 Fuß mit einer reduzierten Fluggeschwindigkeit von etwa 75 Knoten in den bewaldeten Hang unmittelbar unterhalb der Kuppe des Kesselberges.
Was war schief gelaufen? Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen rekonstruierte den Unglücksflug anhand von Wetterdaten und Radaraufzeichnungen. Als Unfallursache ausgeschlossen wurden technische Probleme. Ebenso unwahrscheinlich waren Beeinträchtigungen der Flugtauglichkeit der Piloten. Einer gerichtsmedizinischen Untersuchung zufolge muss der Flugschüler auf dem linken Sitz beim Crash Pilot Flying (PF) gewesen sein. Darauf wiesen Verletzungen an Daumen und Fußknöcheln hin. Im Gegensatz zum Fluglehrer auf dem rechten Sitz, musste er beim Aufprall Kontakt zu Steuersäule und Pedalen gehabt haben.
In ihrem Untersuchungsbericht bemängelt die Behörde zunächst, dass bis auf die METARs und TAFs vom Amsterdamer Airport (und einer zwei Jahre alten ICAO-Karte) keine weiteren Wetteraufzeichnungen an Bord des Wracks vorgefunden wurden. Aufzeichnungen über Sichtflugmöglichkeiten auf der Strecke Saarbrücken-Speyer wurden nicht gefunden. Gleichwohl könnten sich die Piloten ja „anonym“ über die Wetterlage informiert haben. Die vorhandenen TAFs ließen aber bereits vermuten, dass ein Sichtflug über die Berge bei ostwärts absinkender Wolkenuntergrenze und reduzierten Sichten unter Einhaltung der Sicherheitsmindesthöhe von 500 Fuß GND und der vorgeschriebenen Abstände zu Wolken problematisch werden konnte. Spätestens in Saarbrücken hätte die Crew eine ausführliche Wetterinformation einholen müssen, was jedoch offenbar nicht geschehen war.
Rästelhaft blieb den Experten der flache Sinkflug der Piper kurz vor der Kollision
Aus legaler Sicht hätte die zu planende Flughöhe im Westen des Pfälzer Waldes mindestens 2900 Fuß und an der Ostflanke (Haardt-Höhe) wenigstens 3100 Fuß betragen müssen. Bei den vorhergesagten Wolkenuntergrenzen von 2400 bis 2900 Fuß und den maximalen Erhebungen im Bereich der Haardt von 2400 bis 2600 Fuß war ein Überfliegen der Berge unter VFR-Bedingungen nahezu ausgeschlossen. Irgendwo über dem Pfälzer Wald musste die Maschine in Wolken eingetaucht sein. Möglicherweise erst kurz vor der aufliegenden Bewölkung an der Haardt oder unmittelbar vor dem verhängnisvollen Sinkflug.
Aus dem gradlinig verlaufenden Flugweg konnten die Experten schließen, dass die Crew keinerlei Anstalten gemacht hatte, eine Umkehrkurve zu fliegen, um wieder in VFR- Bedingungen zu gelangen. Ebensowenig wurde als Alternative auf IFR-Flugregeln gewechselt, verbunden mit einem Steigflug auf eine sichere Höhe, oder zumindest die vorhandene Höhe eingehalten. Dieses Szenario wäre durchaus möglich gewesen, da der Fluglehrer schließlich eine gültige IFR-Lizenz sowie die nötige Flugerfahrung hatte und die PA-28 mit Künstlichem Horizont, Kurskreisel und Wendezeiger grundsätzlich für IMC-Bedingungen gerüstet war. Offenbar rechnete die Crew beim Einflug in die Wolken überhaupt nicht damit, dass unter und vor ihr noch Berge mit aufliegender Bewölkung zu überfliegen waren.
Rästelhaft blieb den Experten der flache Sinkflug der Maschine kurz vor der Kollision. Als Gründe vermutet man, dass die Piloten ihre genaue Position nicht kannten und deshalb viel zu früh einen Descent einleiteten, um die Rheinebene zu erreichen und damit wieder Sichtflugbedingungen anzutreffen. Bei den vorherrschenden Temperaturen könnte auch eine beginnende Vergaservereisung mit rauhem Motorlauf und abnehmender Drehzahl Grund für den Sinkflug gewesen sein – oder einfach Unachtsamkeit. Letztlich geht die Behörde davon aus, dass die Unfallursache in der mangelhaften Flugvorbereitung der Piloten bis hin zu einer sehr riskanten Flugausführung zu finden ist.
fliegermagazin 3/2008
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