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Ungewöhnliche Fluglagen
Es gibt viele Gründe, warum ein Flugzeug in einen kritischen Zustand gerät, überzieht oder zu trudeln beginnt. Wie Piloten richtig reagieren, üben sie im Upset-Recovery-Training von fliegermagazin und ConAvia
Die Nase der Robin ragt steil ins Blau. Dann nickt sie nach unten, kippt nach links über den Flügel ab, Grün füllt die Frontscheibe – das Flugzeug nimmt Kurs Richtung Erde. Im ersten Schreck ziehen ungeübte Piloten meist am Höhenruder: Es soll rasch wieder Richtung Himmel gehen. Aber die falsche Reaktion hält die Maschine im überzogenen Flugzustand. Richtig: Ruder neutral, warten, bis genug Geschwindigkeit aufgebaut ist, die Querlage am Horizont ausrichten und dann weich abfangen. Was einfach klingt, führt in der Praxis oft zu einem Kontrollverlust. Auch ich will schnell und damit instinktiv handeln, aber folge dem vorab durchgesprochenen Ablauf – durchatmen, bis drei zählen und kontrolliert ausleiten. Schließlich sind wir in 5000 Fuß, und neben mir sitzt ein Kunstfluglehrer, es kann eigentlich gar nichts passieren. Wir wiederholen die ungewohnte Fluglage einige Male, ich fühle mich immer sicherer. „Am besten wäre ein Training alle zwei Jahre“, meint Oliver Will, Ausbildungsleiter der Flugschule ConAvia
Übung macht Meister
Kein Teilnehmer des heutigen Upset-Recovery-Trainings hat während der Pilotenausbildung oder danach schon einen Strömungsabriss erlebt und beendet – oder trainiert. Dabei gibt es viele Anlässe, die im Alltag zu einer ungewohnten Fluglage führen können. Einige resultieren aus den aerodynamischen Eigenschaften des Flugzeugs, andere aus äußeren Umständen, und manchmal ist auch der Pilot Ursache Nummer eins. Oliver Wills Beispielliste ist lang. Es können mehrere wichtige Systeme ausfallen oder auch nur eins, ob nun die Geschwindigkeit fehlerhaft angezeigt wird oder die Flaps ungleichmäßig ausfahren. Turbulenzen über einer Waldkante, Wirbelschleppen, Windscherungen oder Fallwinde am Rand von Thermikschläuchen verändern die Fluglage sehr plötzlich.
In der kalten Jahreszeit kann überraschende Vereisung die Stallspeed, also die Geschwindigkeit, bei der die Strömung abreißt, stark hochsetzen. Auch in der Platzrunde können unerwünschte Fluglagen eintreten, etwa wenn man wegen starken Seitenwinds die Centerline überschießt und mit gezogenem Höhenruder zu steil zurückkurvt. Schließlich bleibt der Faktor Mensch. Der Pilot kann die Orientierung verlieren – und ist zu beschäftigt mit der Navigation, um beispielsweise zu merken, dass die Speed stetig sinkt, weil er am Höhenruder zieht. Zu einem so genannten Vertigo, dem gefürchteten Drehschwindel, kann auch das Wetter führen, sei es durch Dunst oder schräge Wolkenbänke. Und Ablenkungen gibt es zahllose, von Sorgen um den TÜV bis zur heruntergefallenen Karte im Fußraum.
Neue Eindrücke verarbeiten
Ob das Ausleiten eines kritischen Flugzustands gelingen kann, hängt von der Höhe über Grund ab. Geübt wird in Landshut in sicherem Abstand zum Boden. Statt beim Ertönen der Überziehwarnung durch Nachdrücken und Gas geben den Anstellwinkel zu verkleinern und die Geschwindigkeit zu erhöhen, lassen wir das Steuer voll gezogen. Die Robin kippt über den linken Flügel ab. Die meisten Flugzeuge stallen bei einem Anstellwinkel zwischen 12 und 18 Grad. Prinzipiell gilt: Wird im Geradeausflug das Seitenruder eingeschlagen, verkleinert sich an der äußeren Tragfläche der Anstellwinkel, an der inneren vergrößert er sich. Innen reißt die Strömung ab, das Flugzeug rollt zu dieser Seite. Bei einem Querruderausschlag nach links geht die rechte Ruderklappe nach unten. Dadurch wird dort der Anstellwinkel größer, die Strömung reißt ab.
Im Kurvenflug können Flugzeuge beim Überziehen daher auch über den Außenflügel abkippen! (Bei Tiefdeckern ist das sogar mit neutralen Querrudern möglich.)Egal in welchem Flugzustand was passiert – Oliver Wills Regel ist einfach: „Aus jedem Nose-up- wird ein Nose-down-Stall“. Damit ist die anzutrainierende Reaktion gleich. Der nächste Schwierigkeitsgrad ist ein Spin: Zum Abkippen kommt das Rotieren der Maschine um die so genannte Trudelachse, die ungefähr durch die Mitte der inneren Tragfläche führt. Ein erstes Gefühl für Drehungen bekomme ich bei einigen Rollübungen.
Himmel unten, Erde oben, alles in Bewegung – daran kann man sich gut gewöhnen. Und doch bin ich nicht darauf gefasst, wie sekundenschnell die erste Trudelumdrehung in steiler „Nose-down“-Lage abläuft. Ein Echo-Klasse-Flugzeug kann während einer Drehung bis zu 300 Fuß Höhe verlieren. Die nächste Rotation ist langsamer und flacher, aber meine Wahrnehmung muss sich dem ungewohnten Pirouetteneffekt anpassen. Wohin bewegt sich das Flugzeug überhaupt? Manchem kann da anfangs schwindelig und gar schlecht werden.
Beim Trudeln kann man sich nicht an den Instrumenten orientieren
Vor dem Ausleiten muss man erkennen, in welche Richtung das Flugzeug rotiert – gar nicht so einfach. An den konfusen Instrumentenanzeigen kann ich mich nicht orientieren. Auch jetzt bleiben alle Ruder erst einmal neutral. Fast alle Maschinen beenden dann übrigens den Spin ganz von selbst – reicht die Höhe und die Nervenkraft, kann das eine Lösung sein. Um die Bewegung aktiv zu stoppen, wird das Seitenruder entgegengesetzt ausgeschlagen. „Vor lauter Freude, dass die Maschine aufgehört hat zu drehen, bin ich im Ruder stehen geblieben“ – mit erhöhtem Adrenalinspiegel, aber strahlendem Gesicht steigt der nächste Seminarteilnehmer aus der Maschine.
Fast hätte er sie ins gegenläufige Trudeln gebracht. Stoppt die Rotation, tritt man das Seitenruder wieder in Neutralstellung und nimmt Fahrt auf: Aus dem Spin ist ein „normaler“ Nose-down-Stall geworden. Doch Achtung: Bei voller Power kann man schnell die Vne erreichen. Zum Ausleiten des Trudelns gehört dann das Gas rausnehmen.Reine Theorie: Liegt der Schwerpunkt zu weit hinten, kann man ins Flachtrudeln geraten. Diese Fluglage ist sehr stabil und gefährlich. Eine Chance: durch stoßweises Vollgas geben und wechselndes Drücken und Ziehen ins Steiltrudeln kommen. Hier ist eine richtige Weight-and-Balance-Rechnung vorab die beste Lebensversicherung.
Gezielter Höhenabbau
Ob ich schon mal einen Sackflug erlebt habe, fragt der Fluglehrer. Kopfschütteln. Ich verlangsame die Maschine in normaler Fluglage immer weiter. Würde der Höhenmesser nicht anzeigen, wie schnell wir sinken, und würden die Ruder sich nicht ungewohnt weich und schwammig anfühlen, wäre mir die Nähe zum Strömungsabriss kaum bewusst. Das ist bei extremen Flugzuständen klarer. Beenden ist ganz einfach: Ruder neutral und langsam Gas geben, sofort ist die Maschine wieder steuerbar.
Auch Slippen zählt zu den ungewöhnlichen Fluglagen. Dabei ist der Seitengleitflug eine oft genutzte Möglichkeit, um steil Höhe abzubauen, etwa im Final. Der Anflug auf Landshut wird genutzt, um auch das zu üben. Seiten- und Querruder gegensinnig ausschlagen, die Robin stellt sich schräg und sinkt zügig. Urteil nach der Landung: „Man kann nur mitreden, wenn man das selbst mal gemacht hat.“ Und eine Trainingsstunde war eigentlich zu kurz. Alle wollen sich ab und an einen Refresher gönnen.
Text: Judith Preuß, Zeichnungen/illustrationen: H. Mauch/E. Kutschke fliegermagazin 11/2011
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