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Unfallanalyse: Flugzeugabsturz in der Umkehrkurve
Gleich nach dem Start meldet ein Pilot, er müsse sofort landen. Doch in der Kurve zurück zum Platz kippt seine Maschine aus nur 300 Fuß Höhe ab.
Die Umkehrkurve bei Motorproblemen im Anfangssteigflug wird unter Piloten immer wieder heiß diskutiert. Nicht verstummen wollen diejenigen, die wortreich erklären und vorrechnen, wann und unter welchen Bedingungen eine mehr als 180 Grad umfassende Kurve in niedriger Höhe überhaupt kein Problem und ein einfach zu fliegendes Manöver sei – natürlich auch unter den Stressbedingungen eines streikenden Motors. Dabei spricht die Unfallstatistik überragend eindeutig gegen den Versuch, zur Landebahn zurückzukehren.
Der Pilot, der am 1. August 2014 eine Saab 91B Safir am Verkehrsflughafen Bremen (EDDW) zum Start rollt, könnte erfahrener kaum sein. Der 47-Jährige hat 13 169 Stunden im Flugbuch; er hält Berechtigungen für Airbus A330/A340 und Junkers Ju 52 sowie eine Kunstflugberechtigung. 847 Stunden ist er auf einmotorigen Kolbenmotorflugzeugen geflogen, darunter sind etliche Oldtimer. 44 Stunden Kunstflug hat der Pilot absolviert; auch Hubschrauberstunden stehen im Flugbuch.
Umkehrkurve: Die Statistik spricht gegen das Manöver
Die Saab 91B Safir gehört zum Unfallzeitpunkt zu den Flugzeugen, die im Auftrag der Lufthansa von einem Luftfahrtunternehmen als Traditionsflugzeuge betrieben werden – wie auch die „Tante Ju“, die der Unglückspilot ebenfalls flog. Die Safir wurde in den Anfangszeiten der Lufthansa von deren Verkehrsfliegerschule als Trainer eingesetzt.
Der Pilot akzeptiert den Vorschlag des Lotsen, vom Rollweg C aus mit einer verbleibenden Startstrecke von 1140 Metern auf der Bahn 09 zu starten. Als die Maschine 300 Fuß AMSL erreicht, meldet der Pilot: „We need to land immediately.“ Der Lotse bietet sofort an, nach einer Umkehrkurve auf der 27 zu landen. Doch dazu kommt es nicht.
Absturzstelle: Das Flugzeug stürzt 0,5 nM neben dem Flugplatz ab
Ein Zeuge beobachtet und fotografiert, wie die Maschine eine Linkskurve einleitet. Dabei sind Fahrwerk und Landeklappen eingefahren, nur die Kühlluftklappen des Triebwerks sind – wie beim Steigflug mit hoher Leistung üblich – geöffnet. Bei etwa 30 Grad Querneigung beginnt die Maschine, immer weiter in die Kurve zu kippen. Sie verliert rasch an Höhe, ein Foto zeigt voll ausgeschlagene Quer- und Höhenruder. Neben einem Reifenlager nur 0,5 Nautische Meilen nordöstlich der Schwelle zur Piste 27 schlägt die Saab auf einem Parkplatz auf und gerät in Brand. Die zwei Insassen überleben den Aufprall nicht.
Die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) können dem stark zerstörten Wrack nur begrenzt Hinweise entnehmen. Bedienhebel und Instrumente lassen sich nicht analysieren, ebensowenig die Funktionstüchtigkeit der Steuerung. Auch ein Testlauf des Triebwerks ist nicht möglich. Dennoch finden sich keine Hinweise auf Schäden, auch nicht auf eine falsche Gemischeinstellung oder eine mangelhafte Schmierung.
Ermittlungen: Dem Wrack lassen sich nur begrenzt Hinweise entnehmen
Eine Besonderheit gibt es allerdings: Der Öleinfüllstutzen ist offen, sein Deckel klemmt zwischen zwei Zylindern des Motors. Der nicht mit dem Deckel verbundene Peilstab befindet sich im Einfüllstutzen. Die BFU hält es für sehr wahrscheinlich, dass der Deckel bei der Vorflugkontrolle nicht wieder aufgesetzt wurde. Es erscheint den Unfalluntersuchern, so wörtlich, „am plausibelsten“, dass der Abbruch des Steigflugs erfolgte, nachdem Öldämpfe oder -spritzer aus dem offenen Einfüllstutzen für den Piloten sichtbar wurden.
Die BFU-Ermittler stellen fest, dass Beladung und Schwerpunkt des Flugzeugs innerhalb der Betriebsgrenzen lagen. Bei einem Abfluggewicht von 1095 Kilo und einer „Clean Configuration“ mit eingezogenem Fahrwerk und Klappen errechnen sie aus dem Handbuch bei 30 Grad eine Überziehgeschwindigkeit von 65 Knoten. Die Radarspuren ergeben eine Geschwindkeit für den Steigflug von 68 Knoten. Sie dürfte sich im kurzen Horizontalflug vor Einleiten der Kurve nicht wesentlich erhöht haben. Den Einfluss einer thermisch entstandenen Vertikalböe im Moment des Abkippens schließt die BFU nicht aus.
Erfahrung: Der Pilot absolvierte auf dem Muster nur 16 Stunden
In diesem Zusammenhang führt die BFU an, dass der Pilot zwar insgesamt sehr erfahren war, auf dem Unfallmuster in den 15 Monaten vor dem Absturz aber nur 16 Stunden mit ebensovielen Starts und Landungen absolviert hatte. Innterhalb der letzten 90 Tage vor dem Crash waren sechs Starts und Landungen verzeichnet. Die beim Luftfahrtunternehmen vorgesehene regelmäßige Befähigungsüberprüfung hatte im April 2014 stattgefunden. Grenzflugzustände wie Überziehen waren nicht Teil der Überprüfung. Die Ermittler vermuten, dass der Pilot bei einem entsprechenden flugzeugspezifischen Training wahrscheinlich in der Lage gewesen, die sich anbahnende Gefahr zu erkennen.
Der Unfall verdeutlicht zwei Aspekte, die in den Statistiken immer wieder vorkommen. Zum einen spielt nicht nur die Gesamterfahrung eines Piloten eine wesentliche Rolle beim sicheren Umgang mit einem Flugzeug, sondern auch die spezifische Erfahrung und die Schulung auf diesem Muster. Zum anderen ist da die große Versuchung, zur Landebahn zurrückzukehren, die man gerade eben verlassen hat, und die mental noch ganz nah ist. Fliegerisch ist die Rückkehr jedoch höchst anspruchsvoll und oft.
Text: Thomas Borchert Fotos: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen
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