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Unfall im Jetblast: Piper PA-28R Cherokee Arrow in Florenz, Italien
Drei Piloten wollen mit ihrer Einmot auf einem italienischen Verkehrsflughafen landen. Im Endanflug geschieht Unfassbares
Hexerei und andere magische Kräfte sind bei Piloten in der Regel keine veritablen Erklärungen für die Vorgänge beim Fliegen. Und doch gibt es Erlebnisse, die scheinbar jedes Gesetz der Aerodynamik über den Haufen werfen. Es ist der 20. November 2004, an dem ein solches Erlebnis die Crew einer Piper PA-28 buchstäblich aus den Sitzen reißt. Der Tag beginnt freundlich. Am Himmel ist keine Wolke zu sehen, die Wetterlage stabil. Am Morgen starten die drei Piloten mit einer Piper PA-28R-200 vom schweizerischen Lugano in Richtung Süden: Sie wollen nach Florenz und haben zwischen 11 und 11.15 Uhr einen Slot auf dem norditalienischen Flughafen Firenze-Peretola zugewiesen bekommen.
Die schneebedeckten Alpengipfel lässt die Piper schon bald nach dem Start hinter sich und passiert rasch Cimone und Parma. Dann ziehen unter dem Tiefdecker die herbstlichen Wälder des Ligurischen Apennin vorbei. Nördlich von Galciana meldet sich der Lotse von Peretola: „Report runway in sight“, weist der die Piper-Crew an. Doch im Luftraum über Florenz ist viel los; die PA-28 muss ins Holding. Nach fünf Runden über Sesto Fiorentino meldet sich erneut der Tower: „Report established final 23“, instruiert der Lotse den PIC jetzt. Der 42-jährige Fliegerarzt am Steuerhorn der Piper beginnt daraufhin, die Checkliste abzuarbeiten. Dann erhält er die Freigabe für den Landeanflug: „Clear to land, runway 23, wind 040, eight knots.“
Piper PA-28 über Norditalien: Lotse stiftet Verwirrung
Die angewiesene Landerichtung löst im Cockpit eine kurze Diskussion aus. Der Grund: In diese Richtung bläst der Wind die Piper von hinten an. Nach der AIP der italienischen Luftfahrtbehörde ist Landen dann verboten. Der PIC stellt jedoch die Anweisung des Tower-Lotsen über die allgemeinen Verfahrensweisen: Nur bei Lebensgefahr dürfe man sich über diese Anweisungen hinwegsetzen, was hier nicht der Fall sei, so seine Argumentation.
Indes nähert sich die Einmot der Piste. Um den Aufsetzpunkt nicht zu verfehlen, beginnt der Pilot in geringer Höhe mit dem Abfangbogen, die Klappen sind auf zehn Grad gesetzt. Der Tiefdecker schwebt knapp zwei Meter über der Bahn, als das Unfassbare geschieht: Der Anflug geht abrupt und wie von Geisterhand gelenkt in einen schier unmöglich scheinenden Zustand über. Die Piper stellt sich mit der Nase voran fast senkrecht auf, sodass die Fluglotsen im Tower das Kennzeichen auf den Flügelunterseiten lesen können. Wie ein Blatt im Wind dreht sich das über eine Tonne schwere Fluggerät um die Längsachse nach links, ohne dabei jedoch auf der Piste aufzuschlagen. Im Gegenteil: Jenseits von Auftrieb und Strömungsabriss bewegt sich die Maschine weiter, in fünf Meter Höhe fast senkrecht in der Luft stehend. 13 Sekunden später setzt der Flugplatzzaun dem Spuk nach einer Strecke von 160 Metern ein Ende.
Der Tiefdecker schwebt knapp zwei Meter über der Bahn, als das Unfassbare geschieht
Die Crew hat es schlimm erwischt, der Pilot ist schwer verletzt: Der harte Aufprall hat ihm das Steuerhorn ins Gesicht geschlagen und unter anderem seine Augen schwer verletzt. Der 66-jährige Passagier auf dem rechten Sitz muss von der Feuerwehr mit Spezialgerät aus dem Wrack geborgen werden, die Ärzte diagnostizieren drei gebrochene Wirbel, eine weitere lebensgefährliche Fraktur an der Hüfte sowie Trümmerbrüche an den Rippen und im Gesicht. Durch das in die Kabine gedrückte Instrumentenpanel samt Steuerhorn hat er außerdem ein Loch im Hals und drei Löcher in der Lunge.
Nach dem Unfall liegt er zehn Tage im Koma, überlebt aber. Nur der hinten sitzende zweite Passagier kann sich mit leichten Verletzungen selbst aus dem Wrack befreien. Beim Aufprall am Zaun des Flughafengeländes wurden Fahrwerk und Motor von der PA-28 abgerissen; Tragfläche und Leitwerk sind abgeknickt und verbogen, das Cockpit stark gestaucht und in den Rumpf gedrückt.
Crash der PA-28: Privatgutachten bringt Klarheit
Mehr als ein Jahr vergeht, bis die physischen Verletzungen der zwei vorn sitzenden Piloten verheilt sind. Mit viel Glück und guten Ärzten kommen beide ohne bleibende Schäden davon. Da die Unfalluntersuchungen der italienischen Behörden in dieser Zeit kaum vorankommen, gibt einer der Insassen bei einem Experten der schweizerischen Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung ein Gutachten in Auftrag. Das Ergebnis ist 250 Seiten stark und enthält auch eine Computersimulation, die das Geschehen mit den zur Verfügung stehenden Informationen rekonstruiert.
Der Spezialist kommt zu einem überraschenden Schluss: Exakt zwei Minuten und 50 Sekunden, bevor die Piper den Aufsetzpunkt erreichte, hatte ein Airbus 319 beim Startlauf auf der „23“ rotiert. Gemeinsam mit dem Rückenwind von 8 Knoten, der in knapp drei Minuten etwa 750 Meter zurücklegt, bildete der Jetblast aus den Motoren des über 70 Tonnen schweren zweistrahligen Jets gewaltige Turbulenzen, die längs der Pistenachse in Richtung der Schwelle 05 auf das landende Propellerflugzeug trafen. Wie in einem unsichtbaren Strudel wurde es 160 Meter über den Flugplatz hinweggezogen.
Eine kurze Warnung des Lotsen an den Piloten der Piper hätte das Unglück vielleicht verhindern können – nur eine weitere Schleife im Holding, und den Fliegern wäre womöglich viel Leid erspart geblieben. Übrigens hatte die italienische Polizei bei den Ermittlungen in diesem Fall kein besonders vorbildhaftes Verhalten an den Tag gelegt. Das Wrack war, so einer der Insassen, nach der Freigabe durch die Behörden vollständig ausgeplündert.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 10/2014
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