WISSEN

Umgang mit Notfällen: Für Piloten vor allem Kopfsache

Motorausfall, stotternder Motor, schlechtes Wetter: Durch gute Vorbereitung und fundierte Kenntnisse lässt sich der besonnene Umgang mit Notfällen vorbereiten.

Von Redaktion
Motorausfall im Anfangssteigflug: Man mag sich noch so schön im Detail ausgerechnet ha- ben, wann und wie eine perfekt geflogene Umkehrkurve machbar ist: Im Eifer des Gefechts ist die Rückkehr zum Flugplatz ein sehr risikoreiches Manöver. Besser geradeaus landen!
Motorausfall im Anfangssteigflug: Man mag sich noch so schön im Detail ausgerechnet ha- ben, wann und wie eine perfekt geflogene Umkehrkurve machbar ist: Im Eifer des Gefechts ist die Rückkehr zum Flugplatz ein sehr risikoreiches Manöver. Besser geradeaus landen! Bild: ZEICHNUNGEN HELMUT MAUCH ILLUSTRATIONEN ERIC KUTSCHKE

Eingerichtet hatte man sich auf einen schönen Flug mit einem attraktiven Ziel. Und bislang lief alles nach Plan. Und dann das: eine rote Warnleuchte, ein stotternder Motor, ein beißender Geruch »nach Ampère« oder richtig schlechtes Wetter voraus. Und schon ist es vorbei mit dem Genuss.

Adrenalin schießt ins Blut, Stressfaktoren schieben die Glücksgefühle erst einmal beiseite. Was danach passiert – auch auf emotionaler Ebene – lässt sich trainieren! Ein kühler Kopf ohne jeden Anflug von Panik: Wie bereitet man sich darauf vor?

In Notfällen auf eigene Fähigkeiten vertrauen

Wichtigste Voraussetzung für innere Ruhe und besonnenes Handeln ist Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Und die erwirbt man sich in erster Linie durch Fachkenntnis und einen guten Trainingsstand. Wer mit gesichertem Wissen, viel Erfahrung und gut vorbereitet unterwegs ist, hat es leichter als jemand, der nach langer Pause und im Vertrauen darauf, dass er schon irgendwie alle Knöpfe und Hebel finden und alles wie immer ablaufen wird, unvorbereitet einsteigt und Gas gibt.

Jede noch so prekäre Situation verliert an Schrecken, wenn man sie gedanklich schon durchgespielt hat. Das gilt in besonderem Maße für den Triebwerksausfall direkt nach dem Abheben. Deshalb ist dafür ein detailliertes Briefing vor dem Start, ganz speziell bezogen auf die bevorstehende Situation, die beste Vorbereitung. Da wird ein Film kreiert, der dann im Bedarfsfall abgespult wird.

Memory Items sollen im Kopf sein

Dazu sollte man einige Memory Items abgespeichert haben. Das sind Parameter der Notfallcheckliste, die man aus dem Kopf ablaufen lassen muss, weil für den Blick auf die Checkliste nicht genug Zeit ist. Im erwähnten Fall wäre das bei einer Einmot zuerst ein Nachdrücken, um zu- mindest die Fahrt für das beste Gleiten zu halten. Die sollte man kennen und auch die Minimalfahrt für das Aufsetzen auf dem Landeacker.

Notlandung auf dem Acker: Im Seitengleitflug oder mit S-Kurven lässt sich überschüssige Höhe abbauen. Das geht besser, wenn man es mal geübt hat.

Zur mentalen Vorbereitung einer solchen Situation gehört auch, dass man die Versuchung einer Umkehrkurve rational bewusst ausschließt. Die Emotionen ziehen zurück zur scheinbar sicheren Piste die doch so nahe hinter uns liegt. Der Verstand hält dagegen, dass eine Umkehrkurve mindestens 500 bis 700 Fuß Höhe verschlingt und der Versuch, die Sinkrate zu reduzieren, leider allzu oft im Strömungsabriss endet.

Eine gute Gelegenheit, das einmal in der Praxis auszuprobieren, wäre ein Auffrischungsflug, bei dem man mit Fluglehrer eine Umkehrkurve ausge- hend von 2000 Fuß über Grund ausprobiert und sich Landschaftsmerkmale wie eine Autobahnabfahrt oder eine Kanalschleuse als Schwelle setzt.

Als Pilot immer mal wieder Notfälle üben

Der erwähnte Auffrischungsflug eignet sich auch für die Simulation anderer Notfälle wie eine strukturierte Notlandung aus Reiseflughöhe, bei der man der Versuchung begegnen muss, einen immer noch besseren Acker in größerer Entfernung anzustreben, den man möglicherweise gar nicht erreicht, oder bei dem Hindernisse wie Gräben oder Stromleitungen erst zu spät erkannt werden.

Auch hier kann man durch Versuch und Irrtum sein Einschätzungsvermögen trainieren und sich die innere Sicherheit erwerben, durch die man im echten Notfall seine Möglichkeiten verbessert, ruhig und besonnen zu agieren. Außerdem kann man auch hilfreiche Abläufe mit einbauen, etwa den Blick auf das GPS mit der Liste der »nearest airports«. Es ist schon vorgekommen, dass eine echte Notlandung in unmittelbarer Nähe einer Landebahn durchgeführt wurde, weil man diese Option übersehen hatte.

Ein Gespräch mit FIS kann helfen

Da könnte unter Umständen auch ein Gespräch mit FIS helfen. Die Lotsen können auch eventuell nötige Hilfsmaßnahmen einleiten. Dennoch wird FIS nie das Fliegen übernehmen können. Die Reihenfolge auf der Prioritätenliste sollte, wie hinreichend bekannt, grundsätzlich »aviate – navigate – communicate« sein.

Ein gutes mentales Training ergibt sich auch aus den Durchspielen möglicher Szenarien in einer ruhigen Flugphase. Was täte man, wenn jetzt …? Und was steht dazu in den Checklisten? Die sollte sich natürlich in jedem Fall griffbereit im Cockpit befinden. Solche Überlegungen können aber auch zu Hause im Sessel gemacht werden. »Arm chair flying« nennen das die Amerikaner. Und ja, dass man immer mal wieder die Handbücher für Flugzeug, Avionik und Zubehör durchliest gehört auch dazu.

Auf alles vorbereitet zu sein und das fliegerische Umfeld zu kennen, nennt man Situationsbewusstsein, auf Englisch »situational awareness«. Dazu gehört neben Position und Höhe auch die Wetteentwicklung und für etwaige Triebwerksstörungen die Beschaffenheit des Geländes, das man überfliegt.

Aufgeben ist in Notfällen keine Option

Gute Vorbereitung erleichtert nicht nur das Situationsbewusstsein, sondern schafft auch eine Basis für das nötige Selbstvertrauen, mit einer Notfallsituation umgehen zu können. Fängt der einzige Motor an zu stottern, heißt die allererste Maßnahme: Ruhe bewahren und die Situation akzeptieren. Bloß nicht darüber nachdenken, warum das nun gerade mir passiert, und warum ich heute überhaupt auf die Idee gekommen bin, zum Fliegen zu gehen statt zu Hause auf dem Sofa zu liegen. Oder noch schlimmer: sich mögliche katastrophale Folgen auszumalen. Klingt vielleicht absurd, doch so reagieren manche Menschen unter Druck, bis hin zur Resignation.

Kurzer Blick auf die entscheidenden Schalterstellungen

Viel hilfreicher ist eine Einordnung der Situation als Herausforderung mit dem Ziel, die bestmögliche Lösung zu finden und umzusetzen – und dabei auf jeden Fall eine stabile Fluglage aufrechtzuerhalten..

Vor einem Griff zur Notfall-Checkliste löst ein kurzer Blick auf die entscheidenden Schalterstellungen vielleicht schon das Problem eines Motorausfalls: Zündung – Gemisch – Gashebel – Tankwahlschalter. Das Gemisch könnte nach Abstieg aus größerer Höhe einfach noch zu mager eingestellt sein. Und der Tankwahlschalter auf der leeren Seite wäre ein nicht untypischer Fehler, aber leicht zu korrigieren – jedenfalls, wenn die andere Seite nicht auch leer ist.

Was besagt das FORDEC-Modell?

Erst wenn diese naheliegenden Überprüfungen ohne Ergebnis bleiben und der Motor unwiderruflich steht, geht es um die Vorbereitung einer Notlandung, deren Chancen für einen erfolgreicher Ausgang durch ruhiges und besonnenes Handeln deutlich steigen, durch aufkommende Panik (auch der Passagiere) aber gefährdet werden können.

Für die Entscheidungsfindung wird oft das Akronym FORDEC gelehrt, das eine Handlungsanleitung gibt. Es steht für:

  • Facts: Analysieren Sie die vorliegenden Situation anhand der Fakten.
  • Options: Finden Sie heraus, mit welchen Handlungsoptionen Sie die Lage meistern können.
  • Risks: Analysieren die Risiken Ihrer Hand- lungs-Optionen.
  • Decision: Entscheiden Sie sich für eine der Handlungsoption.
  • Execution: Setzen Sie die Option um.
  • Check: Überprüfung Sie die Wirkung Ihres Handelns.

Eine Entscheidung kann sich dabei nachträglich als falsch erweisen, wenn sich zum Beispiel eine der Fakten ändert. So kann sich die Entscheidung für eine Notlandung logischerweise als überflüssig erweisen, wenn man den Fehler gefunden hat und der Motor wieder rund läuft.

Der Pilot sollte sich für einen Plan entscheiden

Man sollte aber grundsätzlich einen einmal getroffenen Plan zu Ende führen und nicht ständig neu aufrollen, weil das von der Konzentration auf die Durchführung ablenken könnte. So ist, wie beschrieben, der zweitbeste Notlandeacker direkt unter dem Flugzeug sicherer als der vielleicht bessere in unkalkulierbarer Entfernung.

Rechtzeitig entscheiden: Zum Umgang mit Notfällen gehört auch, dass man sich eingesteht, in einer Notlage zu sein – und dann entsprechend handelt. Typisches Beispiel: der Ein- flug in schlechtes Wetter.

Überquert man ein größeres Gelände ohne geeignete Notlandemöglichkeiten wie die Nordsee oder auch manche Gegenden der Alpen, ist es immer gut, einen Plan B oder auch C parat zu haben. Wenn man eine Vorstellung davon hat, in welcher Himmelsrichtung man am schnellsten ein mögliches Landefeld erreichen könnte, fliegt man nicht unnötig lange in die falsche Richtung. Ganz klar, dass in den Bergen bei Problemen eine schnelle Drehung Richtung Tal schon mal Handlungs- spielraum gibt. Gleiches gilt über See Richtung Land – oder auch nur auf ein nahes Schiff zu.

Wie auch immer eine technische Störung abgelaufen sein mag und ob das Lösungsmodell sich als bestmögliche Option erwiesen hat – das sollte man hinterher seinen Mitpiloten als Erfahrung zukommen lassen. Dann kann das Missgeschick des einen auf jeden Fall noch von Nutzen für andere sein.

Text: Helmuth Lage / Zeichnungen: Helmut Mauch / Illustrationen: Eric Kutschke

LESEN SIE AUCH
Stress
PPL

Single Pilot Resource Management: Was ist das überhaupt?

Schlagwörter
  • Notfall
  • Notfallübung
  • Motorausfall
  • FORDEC