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UL kollidiert mit Hochspannungsleitung nahe Hannover

Während eines simulierten Notfalls in der Flugstunde kommt es zum Ernstfall. Beide Insassen sterben bei einer Kollision mit der Hochspannungsleitung. Eine ausführliche Unfallanalyse.

Von Redaktion
Ausgebrannt: Das UL fängt beim Kontakt mit der Stromleitung Feuer und stürzt ab, die Insassen kommen in den Flammen ums Leben. Bild: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung, Archiv fliegermagazin

Beim Training einer Notsituation können sich bei schlechter Planung Fehler genauso fatal auswirken wie in einer echten Notlage. So sollte etwa das Gelände für eine Notfallübung bestens bekannt, überschaubar und vor allem für das Vorhaben geeignet sein. Unbekanntes Terrain mit überraschenden Hindernissen können den simulierten Notfall sonst leicht zum tatsächlichen Notfall machen. Auch langjährige Flugerfahrung kann das unter Umständen nicht mehr wettmachen. 

Es ist ein ungemütlicher Frühlingstag mit bewölktem Himmel und Temperaturen im einstelligen Bereich. Ein UL-Fluglehrer will am späten Nachmittag mit seinem  Schüler Platzrunden und Landeanflüge trainieren. Das Luftsportgerät vom Typ MD-3 Rider des italienischen Herstellers Next Aircraft ist ein abgestrebter Hochdecker mit Rotax-Antrieb und gutmütigen Flugeigenschaften.

Einsteigerfreundlich: Robust, gutmütig und mit 180 bis 200 km/h flott unterwegs – der Hochdecker MD-3 Rider hat als Trainer viel zu bieten.

Der Lehrer ist als ehemaliger Berufspilot mit über 10 000 Flugstunden und 13 000 Landungen sehr erfahren und routiniert. Seit über 20 Jahren ist der 74-Jährige im Besitz einer UL-Lizenz. In seiner Privatpilotenlizenz sind außerdem die Berechtigungen für Reisemotorsegler, Segelflugschlepp sowie die Lehrberechtigung eingetragen. Der 50-jährige Flugschüler hat seine UL-Ausbildung zwei Monate zuvor begonnen.

 Um 17.18 Uhr startet die MD-3 Rider auf dem Verkehrsflughafen Hannover. Den ursprünglichen Plan, direkt auf dem Flughafen mit dem Platzrundentraining zu  beginnen, kann die Rider-Besatzung nicht umsetzen, denn die Flugsicherung lehnt das Vorhaben ab. Die Verkehrssituation lässt dies nicht zu. Der Hochdecker nimmt daher nordöstlichen Kurs und verlässt die Kontrollzone über den Pflichtmeldepunkt November. Kurz darauf dreht der Pilot Richtung Nordwest und folgt über etwa zehn Kilometer der Autobahn A7 auf diesem Kurs. Dann dreht die Maschine nach Westen. 

Die Außenlandeübungen beginnen 

UL zwischen den Ortschaften Bennemühlen und Brelingen eine zum Üben geeignete Außenlandefläche. Es fliegt den ausgewählten Landestreifen mehrfach an, um vermutlich zu Trainingszwecken Sicherheits- und Notlandungen zu simulieren. Jeweils etwa 20 Meter über dem Boden startet der Hochdecker durch. Nach sechs Durchgängen dreht der Pilot auf einen östlichen Kurs ab. Beim Überfliegen der A7 dreht das UL zwei Vollkreise, um dann der Autobahn weiter Richtung Nordwesten zu folgen. Nahe der Ortschaft Elze geht die Maschine in westlicher Richtung in einen Sinkflug über. Möglicherweise wollen Lehrer und Schüler eine weitere Trainingseinheit absolvieren – oder der Sinkflug hat ganz andere Gründe. 

Rekonstruiert: Die ersten Übungen laufen planmäßig, dann gerät die Notfall-Simulation außer Kontrolle und wird tatsächlich lebensgefährlich.  

Das Gelände ist für eine simulierte Außenlandung jedenfalls denkbar schlecht geeignet: Ein Feld von Windrädern umgibt den schmalen Landestreifen, auf den der Hochdecker zusteuert. Noch gefährlicher ist aber eine Hochspannungsleitung, die den ausgewählten Anflugbereich durchzieht. Offenbar erkennen Lehrer und Schüler die Gefahr nicht. Es kommt zum Albtraum vieler Piloten: Das UL kollidiert mit der Hochspannungsleitung. 

Zeugen sehen einen hellen Lichtbogen, eine starke Stromentladung, bei der Temperaturen bis zu 1500 Grad Celsius entstehen können. Die Maschine fängt sofort Feuer und stürzt zu Boden, sie brennt fast vollständig aus. Rumpf, Leitwerksträger, Cockpit und Instrumentenpanel sowie die Antriebseinheit und große Teile der Tragfläche fallen den Flammen zum Opfer – auch die beiden Insassen. 

Kein Hinweis auf technische Defekte

Die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) können am Wrack keinen Hinweis auf einen technischen Defekt finden. Allerdings sind bei Antrieb und Steuerung aufgrund der starken Zerstörung kaum noch verwertbare Spuren und Hinweise auffindbar. Ob der Sinkflug in dem schwierigen Gelände tatsächlich nicht als Übung, sondern aus einer Notsituation heraus eingeleitet wurde, ist nicht eindeutig zu klären. 

Im Gegensatz dazu lassen sich jedoch die Sichtbedingungen zum Unfallzeitpunkt recht gut rekonstruieren. Zwar wurde die Sicht nicht durch Nebel oder Wolkenfelder beeinträchtigt, doch dürfte vor allem die tief stehende Sonne direkt in Anflugrichtung dem Piloten erhebliche Probleme bereitet haben, die Überlandleitung rechtzeitig zu erkennen. Damit nicht genug, war der nächststehende Strommast beim tiefen Anflug auf den ausgewählten Landestreifen zunächst von einer Waldkante verdeckt. 

Schlechte Sicht: Zum Unfallzeitpunkt steht die Sonne tief, lange Schatten irritieren zusätzlich, und eine Waldkante verdeckt die Strommasten.

Möglicherweise konzentrierten sich Lehrer und Flugschüler zu sehr darauf, Abstand zu den umliegenden Windrädern zu halten, und übersahen dabei die Hochspannungsleitung. Auch die durch die Windflügel verursachten turbulenten Strömungen könnten den Anflug beeinträchtigt haben. 

Bei der Obduktion kann eine bewusstseinstrübende Kohlenmonoxidvergiftung ausgeschlossen werden, doch es zeigt sich, dass der Fluglehrer »erhebliche Vorschäden« an Herz und Lunge hatte. Nach Einschätzung der Gerichtsmedizin hatte dies allerdings keinen unmittelbaren Einfluss auf das Unfallgeschehen.

Text: Redaktion, Bilder: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung, Archiv fliegermagazin

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