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Trim Runaway? Strömungsabriss einer Cessna 172 S nach dem Start
Gleich nach dem Abheben steigt eine Cessa 172 steil auf und stürzt ab. Der Pilot bezahlt mit seinem Leben. Eine Unfallanalyse!
Trimmungen sind großartige Helfer für jeden Piloten. Mit ihrer Hilfe gelingt es, Steuerdrücke zu reduzieren, sodass ein Flugzeug ohne großen Kraftaufwand gesteuert werden kann. So die Theorie. Doch wenn eine Trimmung falsch eingestellt ist oder sich selbstständig macht, wird aus dem nützlichen Helferlein schnell ein Albtraum. Diese Erfahrung musste ein Pilot im Jahr 2018 machen – und bezahlte sie mit seinem Leben.
An einem sommerlichen Morgen im Juli bricht der 53-jährige Pilot gemeinsam mit seinem Schwager in einer Cessna 172 S zu einem Flug vom österreichischen Bad Vöslau (LOAV) nach Wels (LOLW) auf. Das Wetter ist gut: Es herrscht nahezu Windstille bei einer Sicht von mehr als zehn Kilometern und hoher Bewölkung. Die Temperatur beträgt angenehme 24 Grad Celsius. Um 10.10 Uhr beschleunigt der Hochdecker auf der Piste 31L des Flugplatzes. Unmittelbar nach dem Abheben bäumt sich das Flugzeug stark auf. Kurze Zeit später kippt die Cessna über die rechte Tragfläche ab und schlägt nahezu senkrecht rechts neben der Asphaltpiste auf. Das Flugzeug wird bei dem Aufprall vollständig zerstört, für die beiden Insassen kommt jede Hilfe zu spät.
Trimmung auf voll hecklastig eingestellt
Die Ermittler der österreichischen Sicherheitsuntersuchungsstelle standen zunächst vor einem Rätsel. Es galt für sie die Frage zu beantworten, wieso der Viersitzer direkt nach dem Abheben in einen derart steilen Steigflug überging, sodass es zu einem Strömungsabriss kam. Zur weiteren Untersuchung des Wracks wurde dieses in einen Hangar am Flugplatz Bad Vöslau gebracht. Dort fiel den Unfalluntersuchern auf, dass das Trimmruder am Höhenruder der Cessna auf „voll hecklastig“ getrimmt war. Weitere technische Mängel konnten nicht festgestellt werden. Es lag nun nahe, dass die Stellung der Höhenrudertrimmung die Ursache für das Aufbäumen des Flugzeuges war. Doch warum war die Trimmung nicht korrekt eingestellt?
Das Unfallflugzeug war mit einem G1000-Avioniksystem sowie einem Autopiloten GFC700 von Garmin ausgestattet. Die Trimmung kann auf zwei Weisen verstellt werden: Manuell über ein Trimmrad in der Mittelkonsole oder elektrisch durch gleichzeitige Betätigung zweier Schiebeschalter am linken Steuerhorn. Auch der Autopilot nutzt die elektrische Trimmung, um die ihm vorgegebene Flughöhe oder Steig- und Sinkflugparameter einzuhalten. Naheliegend war zunächst, dass es sich bei der falsch eingestellten Trimmung um einen menschlichen Fehler handelte. Dem Piloten wäre dann die „Vertrimmung“ beim Abarbeiten der Checklisten vor dem Start nicht aufgefallen. Laut Flughandbuch ist bei der „Before Takeoff“-Checkliste zu prüfen, dass sich die Trimmung für den Start in der Stellung „T/O“ befindet.
„Trim Runaway“ als Ursache?
Mit dieser Erklärung wollten sich die österreichischen Ermittler, denen der Pilot als sehr gründlich und umsichtig beschrieben wurde, allerdings nicht zufriedengeben. Sie zogen in Betracht, dass es sich um einen unbemerkten „Trim Runaway“ gehandelt haben könnte, also eine selbstständige Verstellung des elektrischen Systems.
In diesem Zusammenhang führten sie einige Versuche an baugleichen Flugzeugen durch und befragten deren Piloten. Dabei stellte sich heraus, dass sich die Höhenrudertrimmung sehr wohl selbstständig machen kann, wenn die „Before Takeoff“-Checkliste nicht punktgenau abgearbeitet wird. Diese Klarliste fordert nämlich ein Aktiveren des Autopiloten, damit unter anderem geprüft werden kann, ob der Knopf zum Ausschalten des Autopiloten und zum Deaktivieren der elektrischen Trimmung am linken Steuerhorn funktioniert. Dafür genügt im Normalfall ein kurzer Druck.
Die Ermittler rekonstruieren den Vorfall
Erfolgt dieses Ausschalten des Autopiloten aber nicht, kann sich die Trimmung verselbstständigen. Die Versuche zeigten, dass die Trimmung etwa 25 bis 40 Sekunden nach dem Nichtausschalten des Autopiloten zu laufen beginnt. Dies war unabhängig davon, ob das Flugzeug dabei still stand oder rollte. In den meisten Fällen wurde dabei auf „voll hecklastig“ getrimmt. Dabei erfolgte weder eine akustische noch eine visuelle Warnung. Andere Autopiloten alarmieren den Piloten bei langzeitiger Aktivität des Trimm-Motors.
Was im Fall eines „Trim Runaway“ zu tun ist, beschreibt das Flughandbuch der Cessna 172 S: Der Knopf am Steuerhorn zum Deaktivieren des Autopiloten und der Trimmung muss nicht nur kurz gedrückt, sondern dauerhaft gehalten werden. Anschließend kann das Flugzeug manuell über das Trimmrad getrimmt werden. Dann muss die Sicherung des Autopiloten gezogen werden, bevor man den Knopf loslassen kann.
Die Steuerkräfte waren für den Piloten zu stark
Letztlich konnten die Ermittler nicht zweifelsfrei nachweisen, dass ein „Trim Runaway“ beim Unfallflugzeug zur falsch eingestellten Trimmung führte. Höchstwahrscheinlich wurde der Pilot vom starken Aufbäumen der Maschine nach dem Abheben überrascht. Es gelang ihm nicht schnell genug, die Ursache zu erkennen und korrigierende Maßnahmen zu ergreifen. Auch dürften die Steuerkräfte so stark gewesen sein, dass der Pilot kaum dagegen ankam.
In ihrem Abschlussbericht verweisen die Ermittler in diesem Zusammenhang auch auf den sogenannten „Startle Effect“. Dieser beschreibt einen Schreckmoment nach dem Auftreten unerwarteter Ereignisse, der dazu führt, dass Piloten gar nicht oder falsch reagieren. Der Effekt kann auch dazu führen, dass Passagiere unerwartet und irrational reagieren und zum Beispiel versuchen, sich am Steuerhorn vor ihnen festzuhalten. Die Unfalluntersucher gaben deshalb unter anderem die Empfehlung, beim Briefing von Passagieren explizit auf Haltegriffe und andere Festhalte-Möglichkeiten hinzuweisen.
Lernen aus dem Unfall
Die Sicherheitsuntersuchungsstelle gab noch mehr Sicherheitsempfehlungen heraus. Diese richten sich unter anderem an den Flugzeughersteller Cessna. Die Ermittler schlagen vor, im Flughandbuch auf die Möglichkeit eines „Trim Runaways“ am Boden hinzuweisen. Den Avionik-Hersteller Garmin ersuchen die Österreicher, eine akustische und/oder visuelle Warnung bei einer entsprechend lang andauernden Aktivität der elektrischen Trimmung in das Avionik-System G1000 zu integrieren.
Für die verunfallten Männer kämen diese Verbesserungen zu spät. Doch wie so oft in der Luftfahrt dienen die Erkenntnisse aus tragischen Unfällen dazu, in Zukunft Leben zu retten.
Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.
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