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Triebwerksausfall über dem Bodensee: AS 202 „Bravo“ in Seenot
Motorausfälle haben oft die gleiche Ursache: kein Sprit in den Tanks. Aber selbst wenn
der Pilot in Sachen Treibstoffmanagement alles richtig gemacht hat, kann die Luftschraube plötzlich still stehen – besonders bei Start und Landung eine lebensgefährliche Situation
Motorausfälle haben oft die gleiche Ursache: kein Sprit in den Tanks. Aber selbst wenn der Pilot in Sachen Treibstoffmanagement alles richtig gemacht hat, kann die Luftschraube plötzlich still stehen – besonders bei Start und Landung eine lebensgefährliche Situation. Wer mit einem gut gewarteten Triebwerk und vollen Tanks in die Luft geht, braucht einen Motorausfall nicht zu fürchten – eigentlich. Doch obwohl Kolbentriebwerke tatsächlich als sehr zuverlässig gelten, heißt es vor jedem Start: Wo ist die nächste Wiese für eine Notlandung? Und diese Frage ist kein Relikt aus den Pionierzeiten der Luftfahrt. Der Albtraum, in 500 Fuß von einem stotternden und schließlich verstummenden Triebwerk überrascht zu werden, ist immer präsent. Wer darauf nicht vorbereitet ist, hat schlechte Karten.
Die Schweizer Pilotin einer AS 202/15 „Bravo“ ist am 11. April 2009 perfekt vorbereitet. Sie will vom Flugplatz St. Gallen-Altenrhein aus zu einem Rundflug über den Bodensee starten. Die Wetterbedingungen sind optimal: rund 20 Kilometer Sicht, mäßiger Wind aus südlicher Richtung und 22 Grad Lufttemperatur. Beim Vorflug-Check inspiziert die 68-Jährige den Tiefdecker eingehend – ohne auf Unregelmäßigkeiten zu stoßen. Die Flächentanks sind fast voll, der Weg zur Tankstelle erübrigt sich also. Wenig später rollt die Bravo zur Piste 28 und erhält über Funk von der Verkehrsleitstelle eine Startfreigabe. Am Rollhalt verläuft der Magnetcheck ohne auffälligen Ausschlag der Nadel des Drehzahlmessers. Um 15.05 Uhr geht der Tiefdecker auf die Piste und beginnt mit dem Startlauf. Der Motor bringt wie gewohnt seine volle Leistung, nach kurzer Strecke hebt die Bravo ab. Noch bevor die Maschine das Ufer des Bodensees erreicht hat, etwa 30 Meter über Grund, fängt der Motor plötzlich an zu stottern. Dann setzt das Triebwerk ganz aus.
AS 202/15 „Bravo“: Motorausfall kurz nach dem Start
Jetzt geht alles sehr schnell. Die Bravo neigt sich vornüber und rollt nach links weg. Der Sinkflug dauert nur wenige Sekunden. In leichter Schräglage schlägt der Tiefdecker auf der Wasseroberfläche auf. Dabei wird die Pilotin schwer verletzt. Ein Boot ist schnell an der Unfallstelle und bringt sie in Sicherheit. Das Wrack der AS 202 liegt an einer seichten Stelle im ufernahen Bereich in nur 90 Zentimeter Tiefe. Cockpit, Rumpfrücken und Seitenleitwerk sowie eines der Propellerblätter ragen sogar über die Wasseroberfläche aus dem See hinaus. Beide Tanks sind noch intakt, das sensible Ökosystem am Seeufer bleibt von einer Verschmutzung verschont. Mit Luftkissen hebt die Bergungsmannschaft die havarierte Maschine aus dem Wasser und schleppt sie in einen nahe gelegenen Hafen. Nach der Bergung wird der Treibstoff aus den Tanks komplett abgepumpt.
Bei den folgenden Ermittlungen bereitet den Experten des schweizerischen Büros für Flugunfalluntersuchung (BfU) zunächst die Suche nach dem Grund für den Motorausfall Kopfzerbrechen. Da die abgepumpte Spritmenge in etwa der maximalen Tankkapazität der AS 202 entspricht, kommt die häufigste Ursache für Triebwerksaussetzter – Spritmangel – in diesem Fall nicht in Frage. Auch falsches Kraftstoffmanagament scheidet nach den ersten Untersuchungsergebnissen als Unglücksursache aus. Zwar lässt sich nicht mehr eindeutig nachvollziehen, auf welchen Tank die Pilotin vor dem Start gerastet hatte. Zum Zeitpunkt des Absturzes stand der Tankwahlschalter aber auf dem rechten Flächentank, in dem – wie auch im linken Tank – ausreichend Treibstoff vorhanden war. Auch die elektrische Benzinpumpe hatte die Pilotin für Start und Steigflug vorschriftsmäßig eingeschaltet.
Untersuchung des Unfalls: Schwierige Fehlersuche
Die Unfallermittler bauen im weiteren Verlauf der Untersuchung das Triebwerk der AS 202, ein Lycoming O-320-E2A, aus dem Wrack aus und unterziehen es umfassenden Leistungstests. Das Ergebnis: „keine maßgebenden Abweichungen vom Normalzustand.“ Daraufhin nehmen sie sämtliche Aggregate des Vierzylinders unter die Lupe, unter anderem Vergaser, elektrische Benzinpume, Treibstoffleitungen und Tankwahlschalter. Aber auch hier sind keine Mängel nachweisbar. Schließlich kommen die BfU-Experten dem Teufel im Detail auf die Spur: Im linken Tank entdecken sie einen Defekt am Saugrohr, über das der Treibstoff in den Vergaser gepumpt wird. Die mit einem Grobfilter versehene Benzinleitung ist im Tank durch eine Halterung fixiert. Eine Gummi-blende soll verhindern, dass sich Saugrohr und Halterung zu nahe kommen. Genau das aber ist offenbar bei der verunglückten AS 202 passiert: Die Halterung hat das Saugrohr fast bis zur Mitte durchgescheuert.
Teile der Vorrichtung hatten zusammen mit der Gummiblende die Treibstoffleitung zum Motor abgedeckt und den Spritdurchfluss erheblich reduziert, sodass die Versorgung des Motors mit Benzin nicht mehr gewährleistet war, so der BfU-Bericht. Auch im rechten Flächentank fanden sich ähnliche Scheuerspuren am Saugrohr, die Wand der Treibstoffleitung war hier jedoch noch intakt. Die Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Aufpralls der rechte Flächentank gerastet war, jedoch später am Ansaugrohr im linken Tank schwerwiegendere Beschädigungen festgestellt wurden, lässt nach Ansicht der BfU-Ermittler darauf schließen, dass die Pilotin nach dem Motorausfall den Tankwahlschalter umgelegt haben muss. Zusammen mit der eingeschalteten Benzinpumpe, so die Schweizer Experten, sei damit die Voraussetzung gegeben gewesen, den Motor wieder in Gang zu setzen.
Keine Zeit für Neustart
Die geringe Flughöhe von nur 30 Metern über Grund habe dafür aber nicht gereicht. Mit der Entscheidung für eine Notwasserung hatte die Pilotin deshalb zweifellos die besten Überlebenschancen. Auch ihre Flug-erfahrung auf dem Unfallmuster kam ihr wohl zugute: Sie entschied sich gegen eine Umkehrkurve zurück zur Asphaltpiste von St. Gallen-Altenrhein und flog geradewegs auf den See hinaus. Der Tiefdecker hätte die Schwelle nach einem Umkehrmanöver vermutlich nicht mehr erreicht. Bei einem Absturz über Land wären die Überlebenschancen deutlich geringer gewesen.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 10/2010
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