Tödliches Missverständnis: „Simulated ILS“ führt zu Absturz einer Cessna 414
Ein Instrument Landing System, kurz ILS, bedeutet für viele Piloten eine sichere und entspannte Landung. Zum Sicherheitsrisiko wird das Verfahren allerdings, wenn Pilot und Lotse vom genauen Ablauf unterschiedliche Vorstellungen haben – und sich jeder auf den anderen verlässt …
Eine Grundregel in der Fliegerei lautet: Wer sich auf den anderen verlässt, ist selbst schuld. In der modernen Verkehrsluftfahrt ist die Konsequenz aus dieser Regel zwar nicht mehr ganz praktikabel, das Prinzip aber bleibt das gleiche: Jedes Stück Verantwortung, das der Pilot aus dem Cockpit abgibt, landet auf einem Schreibtisch, der fest auf dem Boden steht.
Am Ende kommt jede Entscheidung, auch diejenige, die man an einen anderen abgegeben hat, durch ihre Folgen ins Cockpit zurück.
Ganz in diesem Sinne hatte der Pilot einer Cessna 414A seine erste Entscheidung am Morgen des 17. Dezember 2002 getroffen: Vom Flughafen Cottbus-Drewitz aus plante er seine Route über Reinsdorf nach Egelsbach und Hahn, da einer der beiden Passagiere erst in Reinsdorf an Bord gehen wollte. Dort hatte sich das Wetter nach den letzten Meldungen jedoch erheblich verschlechtert. Der Pilot entschied sich daraufhin für die sichere und direkte Route nach Südwesten.
Missverständnis zwischen Pilot und Lotse
Mit dem Reinsdorfer Fluggast vereinbarte er einen neuen Treffpunkt am Flughafen Leipzig-Halle. Dort landete die Cessna um 11.55 Uhr. Nach kurzem Aufenthalt wurde der Flug in südwestliche Richtung IFR fortgesetzt. Die Maschine landete nach etwa einer Stunde in Egelsbach, wo der zugestiegene Passagier von Bord ging. Zu diesem Zeitpunkt konnte er nicht ahnen, dass er einer tödlichen Katastrophe entgehen würde.
Der tragische Ausgang der Reise zeichnete sich bereits bei diesem letzten Zwischenstopp ab:
Hatte der Pilot am Morgen noch vorausschauend und verantwortungsbewusst seinen Flugplan den neuesten Wettermeldungen angepasst, so schien diese Sorgfalt am Flugplatz Egelsbach dem Zeitdruck zum Opfer gefallen oder auf andere Art abhanden gekommen zu sein: Der erfahrene Fluglehrer und langjährige IFR-Pilot startete zum letzten Streckenabschnitt nach VFR. Das allerdings ohne die dafür notwendigen Wetterdaten im Tower erfragt zu haben und vermutlich ohne Kenntnis der neuesten Warnungen vor aufliegender Bewölkung über den Mittelgebirgen Sonnwald und Idarwald. Über sie sollte die Route führen.
Fatale Entscheidung: Pilot einer Cessna 414 im Dezember 2002
Um 13.38 Uhr nahm die Cessna Funkkontakt mit Hahn-Tower auf. Zu diesem Zeitpunkt flog die Maschine in etwa 2500 Fuß MSL, oberhalb der Wolkendecke und etwa zehn Seemeilen östlich des Pflichtmeldepunktes ECHO. Hier nahm das Unglück seinen Lauf: Die anfliegende Zweimot bat um einen „… short simulated ILS approach …“. Fast wie eine Unwetterwarnung kam die Antwort aus dem Tower: „… maintain all the time VMC, all given headings and altitudes are recommendations …“
Der Pilot verstand die Meldung des Lotsen als Bestätigung seiner Anfrage um einen geleiteten Instrumentenanflug und folgte den weiteren Anweisungen routinemäßig. Dagegen fasste der Lotse den Funkspruch der Cessna seinerseits nur als Bitte um weitere Kursempfehlungen auf. Für die Überwachung der Flughöhe sollte der Pilot demnach selbst zuständigbleiben.
Wegen starken Verkehrsaufkommens wurde die Cessna kurz darauf in eine Warteschleife geleitet. Dann wies der Lotse ein Roll-out heading von 300 Grad an. Ahnungslos, dass er geradewegs dem Bergwald entgegen raste, bejahte der Pilot – routinemäßig – um 13.52 Uhr auch die Anfrage „You are coming in for full stop?“ Das letzte Radarsignal wurde um 13.53 Uhr in FL 22 aufgezeichnet. Auf die folgenden Anfrage des Towers nach der Höhe kam keine Antwort mehr. Die wenigen Sekunden nach dem letzten Funkkontakt sind anhand der Unfallspuren leicht zu rekonstruieren: In den dichten Wolken am südöstlichen Hang des Idarwaldes streifte die Maschine in niedriger Höhe einige Bäume, geriet daraufhin in Brand und wurde schließlich durch die finale Kollisionen auseinandergerissen.
Ahnungslos, dass er geradewegs dem Bergwald entgegen raste, bejahte der Pilot
Bis zu ihrem Stillstand hatte die Cessna eine 229 Meter lange Schneise der Verwüstung durch den Wald geschlagen. Die Luftschraube des linken Triebwerks wurde zusammen mit Teilen der linken Tragfläche etwa 30 Meter vom Hauptwrack entfernt gefunden und hatte einen Baumstamm in etwa vier Meter Höhe glatt durchtrennt. Das linke Triebwerk war vollständig aus seiner Verankerung herausgerissen worden. In unmittelbarer Nähe lagen die Trümmer des bereits ausgefahrenen Hauptfahrwerks. Die Leichen des Piloten und des verbliebenen Passagiers waren fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Der starke Aufprall hatte beide sofort getötet.
Die fatale Fehleinschätzung der Situation durch den Piloten wird mit einem Blick auf die ICAO-Karte deutlich. Dort ist für das Gebiet um die Unfallstelle, etwa sechs Meilen vor der Schwelle der Piste 03, eine Maximum Elevation Figure von 3100 Fuß (siehe Refresher 5/05 „Mosaik der Vorentscheidungen“) angegeben. Die Cessna flog bereits zum Zeitpunkt des ersten Funkkontakts – zehn Meilen östlich des Pflichtmeldepunktes ECHO – in nur 2500 Fuß MSL und sank den Radaraufzeichnungen zufolge weiter. Nach Sichtflugregeln hätte der Idarwald in einer Höhe von mindestens 3600 Fuß überflogen werden müssen. Auch die maximale Hindernishöhe der Sichtflugkarte (AIP/Flughafen Hahn) von 2911 Fuß (nahe der Unfallstelle sogar nur 2513 Fuß) war dem Piloten offenbar nicht bekannt: Er hatte seinen Sinkflug bis zum Absturz unbeirrt fortgesetzt.
Der Cessna-Pilot hatte seinen Sinkflug bis zum Absturz unbeirrt fortgesetzt.
Der Fluglotse erkannte die Gefahr ebenfalls nicht. Obwohl die Flughöhe der Cessna auf seinem Radarschirm sichtbar war (für dieses Gerät war der Lotse aber nicht ausgebildet), gab er dem Piloten weder eine Höhenempfehlung, noch wies er ihn auf die deutlich unterschrittene Sicherheitsmindesthöhe hin. Im Gegenteil: Während des Funkkontakts verwendete er eine missverständliche Sprechgruppe, in der die vorgeschriebene Formulierung „Suggest heading“ fehlte. Der Pilot konnte die Empfehlungen aus dem Tower daher nicht als solche erkennen und glaubte vermutlich, er befände sich unter Radarführung. Die weiteren Untersuchungen ergaben zudem, dass das Radarsystem für den Betrieb nicht freigegeben war.
Letztlich führte aber nicht nur das unausgereifte Verfahren von ILS-Anflügen, die mangelhafte Kommunikation zwischen Tower und Pilot sowie die dürftige Flugvorbereitung des Piloten zur Katastrophe. Fatal erscheint besonders das grenzenlose Vertrauen in ein zweifelhaftes System und einen fehlbaren Lotsen – an beide hatte der Pilot die Verantwortung für sein Flugzeug, seinen Passagier und sein eigenes Leben leichtfertig abgegeben.
Rätselhaft bleibt, weshalb er den letzten Streckenabschnitt seines Trips entgegen der umsichtigen Flugplanung am Anfang der Reise trotz niedriger, aufliegender Wolkendecke nach VFR durchführte: Die Sicht am südöstlichen Hang des Idarwaldes war so schlecht, dass selbst der Polizeihubschrauber die Suche nach dem Wrack vorzeitig abbrechen musste.
Die Konsequenz aus dem Absturz
Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung hat in ihrem Abschlussbericht zwei Sicherheitsempfehlungen gegeben:
- Die Deutsche Flugsicherung soll dafür sorgen, dass verfahrensmäßig nicht geregelte so genannte „Simulated ILS“-Anflüge nicht mehr angewendet werden (auch an Flugplätzen nach Paragraph 27d Abs. 4 LuftVG). Diese Empfehlung ist bereits umgesetzt: In den Nachrichten für Luftfahrer NfL I 79-85/05 wird in der „Bekanntmachung über die Sprechfunkverfahren“ darauf hingewiesen, dass der Begriff „Simulated Approach“ nicht verwendet werden darf.
- Die DFS soll zudem dafür Sorge tragen, dass die Nutzung installierter PC-gestützter Radardaten-Darstellungssysteme an den jeweiligen Flugplätzen in einer Betriebsanordnung geregelt und die notwendige Qualifikation der Lotsen sichergestellt ist.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 6/2005
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