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Tiefflug ohne Sicht: Orientierungsverlust in einer Tecnam P2006
Trotz marginaler Bedingungen startet der Pilot einer Zweimot zu einem VFR-Flug. Über dem Ziel kann er die Piste nicht finden, dennoch wagt er einen riskanten Landeanflug
Es sollte eigentlich niemals passieren, dass ein Sichtflieger den Überblick verliert. Doch es kann schneller geschehen als gedacht, und dann stellen sich dem verfranzten Pilot in Command Fragen wie diese: Ist das am Horizont ein See oder eine Flussschleife? Müsste auf der rechten Seite jetzt nicht eine Stadt liegen? Und wo bleiben die Windräder, die der Karte zufolge an dieser Stelle stehen sollten?
In Zeiten von GPS und dank der Direct-to-Taste ist es vielleicht nicht mehr ganz so dramatisch, wenn die eigene Navigation versagt hat. Und sollten die elektronischen Helfer gar die Ursache der Verwirrung sein, weil sie defekt sind, kann man es immer noch so handhaben wie gelernt: umkehren bis zu dem Punkt, an dem man noch wusste, wo man war, und dann einen neuen Versuch starten. Etwas heikler wird es, wenn die Sicht nicht sonderlich gut ist oder weitere Faktoren wie ein zur Neige gehender Spritvorrat dazukommen. Nicht nur unangenehm, sondern brandgefährlich ist es, wenn die Suche in niedriger Höhe losgeht – am Ende sogar noch beim Landeanflug.
Tecnam P2006: Flug zum Wartungsbetrieb
Ein ruhiger Herbsttag im November 2012. Auf dem oberschwäbischen Verkehrslandeplatz Pfullendorf rollt eine zweimotorige Tecnam P2006 gegen Mittag Richtung Piste. Der Pilot will die Maschine zu einem Wartungsbetrieb nach Biberach an der Riss bringen; dort steht die Jahresnachprüfung für den freitragenden Hochdecker an. Es ist ein ungemütlicher Tag für Sichtflieger: In Pfullendorf zeigt sich die Bewölkung mit vier Achtel zwar noch moderat, doch der Himmel am Zielflugplatz ist mit sieben Achtel Bedeckungsgrad fast vollständig dicht. Die Wolken behindern die Sicht bereits ab 500 Fuß über dem Landeplatz. Der Flugwetterdienst meldet in der Gebietswettervorhersage GAFOR für den Norden Oberschwabens und am Bodensee ausgedehnte Nebelfelder. Die gesamte Strecke von Pfullendorf nach Biberach ist mit Hochnebel überzogen, der sogar bis 300 Fuß über Grund in die Täler hinunterreicht.
Der Tecnam-Pilot entscheidet sich dennoch für einen Start. Um 13.30 Uhr hebt die Zweimot ab und geht auf Kurs West-Nordwest. Nach einem etwa halbstündigen Flug nimmt der Pilot Funkkontakt mit Biberach auf und erhält von dort Landeinformationen. Zeugen am Zielflugplatz können die Maschine zunächst gar nicht sehen, obwohl sie in unmittelbarer Nähe zum Platz im Anflug ist. Lediglich die beiden Rotax-Motoren sind zu hören. Dann schießt das Flugzeug in niedriger Höhe südwestlich des Platzes aus dem Nebel.
Start des Twins trotz schlechter Aussichten: Flug in den Nebel
Der Pilot fliegt nun in einem weiten Bogen nach links, dann dreht er noch einen Vollkreis rechts der Anfluggrundlinie. Offenbar sucht er die Piste des Verkehrslandeplatzes. Zum Erstaunen der Zeugen setzt die Tecnam südlich versetzt zur Piste 04 ihren Anflug fort. Vermutlich hält der Pilot eine parallel zu der 980-Meter-Asphaltbahn verlaufende Umgehungsstraße für den Flugplatz. Dann bemerkt er den Irrtum und dreht einen weiteren Vollkreis nach links. Aus der Drehung heraus versucht er nun die Piste anzufliegen, doch er überschießt die Grundlinie und korrigiert erneut in die Gegenrichtung – mit einer engen Kurve, die in einen leichten Steigflug übergeht.
Doch das waghalsige Manöver misslingt: Aus niedriger Höhe kippt die Maschine ab und kracht etwa 210 Meter vor der Schwelle auf eine Wiese. Durch die Wucht des Aufschlags hat der Pilot keine Überlebenschance. Die Flugzeugnase ist bis weit in die Kabine hineingedrückt, die Maschine liegt auf dem Rücken. Beide Tragflächen sind vom Rumpf abgetrennt, auch das rechte Triebwerk wird beim Aufprall aus seiner Aufhängung am Flügel herausgerissen. Sogar das Instrumentenpanel und Sicherungstafeln werden aus dem Cockpit herausgeschleudert.
Waghalsiges Manöver: Der Pilot korrigiert, die P2006 kracht jedoch auf eine Wiese
Die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) beginnt ihre Suche nach der Unglücksursache bei der Flugvorbereitung des Piloten. Ob er eine Wetterberatung eingeholt hat und die Lage trotzdem falsch einschätzte oder ob die Flugvorbereitung schlicht mangelhaft war, ist für die Experten nicht zu rekonstruieren. Die Radardaten, die den Ermittlern vorliegen, geben jedoch Aufschluss darüber, dass der Pilot die Piste sehr wahrscheinlich fast während des gesamten Anflugs nicht sehen konnte. Die ungewöhnlichen Flugbewegungen mit weiten und engeren Vollkreisen sowie der offenbar irrtümliche Anflug auf eine Umgehungsstraße lassen diese Annahme als sehr realistisch erscheinen.
Ohne Zweifel waren die Bedingungen für einen Sichtflug marginal, die Einschränkungen unübersehbar. Die für VFR-Flüge erforderliche Mindestflugsicht, die nicht weniger als 1,5 Kilometer betragen darf, war beim Anflug der Tecnam mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden. Auch die Erdsicht, ebenfalls ein Muss, hatte der Pilot zumindest zeitweise komplett verloren. Zeugenaussagen der BFU gegenüber belegen schließlich, dass er auch das Verbot, Wolken zu berühren, offensichtlich ignoriert haben muss. Der Kontrollverlust passierte am Ende im Steigflug – möglicherweise ein letzter Versuch des Piloten, doch noch irgendwie der fatalen Lage zu entkommen, in die er sich gebracht hatte.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 8/2014
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