Unfallakte

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Startunfall einer Socata TB-10 Tobago in Konstanz

Ein Tiefdecker vom Typ Socata TB-10 Socata beschleunigt auf einer Graspiste mit schwierigem Untergrund. Der Pilot wähnt sich irrtümlich längst in der Luft, der Startlauf misslingt

Von Redaktion
Foto: Thomas Borchert

Piloten mögen es am liebsten butterweich. Egal ob auf Gras-, Asphalt-, Beton- oder Buschpiste: je sanfter die Landung, desto besser fürs Material und auch fürs Ego. Auf manchen Plätzen tun sich Piloten damit aber selbst beim Start schwer, etwa weil der Untergrund uneben ist. Gut, wenn man darauf vorbereitet ist. Ist man es nicht, kann es unter Umständen sogar gefährlich werden.

Die 760 Meter lange Graspiste von Konstanz (EDTZ) hat einige Besonderheiten, die man als Pilot kennen sollte. So wird in der Anflugkarte darauf aufmerksam gemacht, dass die 50 Meter breite Bahn „zeitweise nur auf 25 Meter Breite benutzbar“ sei – was allerdings immer noch komfortabel ist. Grund dafür ist der hohe Grundwasserspiegel, der an manchen Tagen den Boden stark aufweicht und auch schon mal für stehende Wasserpfützen sorgen kann. Am Morgen des 27. Mai 2012 will der Pilot einer TB 10 Socata mit einem Fluggast von dem Verkehrslandeplatz zu einem Überlandflug aufbrechen.

Start der Socata TB-10 Tobago: Nur ein kurzer Hüpfer

Der 48-Jährige ist seit 2008 im Besitz der Lizenz für Privatpiloten und hat seither 211 Flugstunden gesammelt. Auf der TB 10 ist seine Erfahrung deutlich geringer: 32 Stunden sowie 29 Starts und Landungen mit dem Tiefdecker stehen in seinem Flugbuch, davon neun Stunden und fünf Starts in den letzten 90 Tagen. Bereits seit 2006 ist er Inhaber des Luftfahrtscheins für Luftsportgeräte (SPL). Um 8.55 Uhr steht die TB 10 am Rollhalt der Graspiste 30, und der Pilot schiebt den Gashebel nach vorn. Der Tiefdecker beschleunigt zunächst gleichmäßig; der Pilot gibt später zu Protokoll, dass er sich noch an die vielen Unebenheiten der Piste erinnere. Schon beim Anrollen der Maschine hat er das Bugrad leicht angehoben, wie Zeugen bestätigen.

Misslungen: Die Grafik der BFU zeigt den Startlauf der TB 10 (Foto: BFU)

Auf Höhe der Halbbahnmarkierung macht der Tiefdecker einen kurzen Hüpfer in die Luft. Gleich darauf setzt er aber wieder auf und rollt weitere 200 Meter mit angehobenem Bugrad. Erst dann löst sich das Flugzeug vollends vom Boden. Zu diesem Zeitpunkt sei die TB 10 bereits querab der Flugleitung und damit kurz vor dem Ende der „30“ gewesen, berichten Zeugen. Nach dem Take-off gewinnt die Maschine aber kaum Höhe. Erst über dem Pistenende vergrößert sich der Abstand zum Boden etwas, die Steigrate bleibt dabei aber gering. Über eine sechs Meter hohe Buschreihe, die etwa 150 Meter hinter dem Ende der Bahn quer zur Abflugrichtung steht, quält sich der Tiefdecker um Haaresbreite hinweg. Doch das nächste Hindernis ist nur Sekunden entfernt: ein Wald. Die ersten Bäume sind an dieser Stelle bis zu 14 Meter hoch und stehen 340 Meter hinter dem Pistenende.

Kurz vor dem Waldrand reißt der TB-10-Pilot den Tiefdecker hoch

Kurz bevor das Flugzeug den Waldrand erreicht, reißt der Pilot die Maschine hoch, doch es reicht nicht mehr. Die TB 10 kracht nach mehreren Baumberührungen in etwa acht Metern Höhe in eine Baumkrone, stürzt daraufhin 30 Meter weiter durch dichtes Buschwerk auf den Waldboden und fängt sofort Feuer. Pilot und Passagier können zwar gerettet werden, beide tragen jedoch schwerste Verletzungen davon. Am Wrack der TB 10 sind beide Tragflächen vom Rumpf abgerissen und stecken tief im Unterholz. Der Rumpf selbst und Teile der Tragflächen sind ausgebrannt.

Nach Berechnungen der Ermittler der Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) ergeben sich aus den Angaben des Flughandbuchs der TB 10 unter den Bedingungen des 27. Mai 2012 eine Startrollstrecke von 550 Metern sowie eine Startstrecke von 800 Metern über ein Hindernis von 15 Metern. Die 760 Meter Startrollstrecke, die in Konstanz zur Verfügung stehen, müssten nach diesen Berechnungen ausreichend gewesen sein, um sicher in die Luft zu kommen. Auch die Startstrecke bis zu einem 15-Meter-Hindernis hätte für die TB 10 unter den gegebenen Bedingungen kein Problem darstellen sollen. Schließlich ist die Distanz von der Schwelle 30 bis zum Waldrand mit 1100 Metern genau 300 Meter länger als die berechnete Startstrecke.

Ausgebrannt: Nach der Kollision mit Baumkronen stürzt das Flugzeug zu Boden und fängt Feuer, die beiden Insassen überleben schwer verletzt (Foto: BFU)

Auf den ersten Blick scheint auch die Starttechnik des Piloten den widrigen Verhältnissen auf der Graspiste angemessen gewesen zu sein: Beim Start auf unbefestigten Pisten, womöglich noch mit Pfützen oder Schlammlöchern, sollte man möglichst früh vom bremsenden Untergrund loskommen. Dazu gehört, durch Ziehen des Höhenruders das Bugrad rasch anzuheben – was der Pilot der TB 10 auch getan hatte.


Beim Start in Konstanz: Nicht schnell genug

Darüber hinaus ist aber der Zeitpunkt für den Take-off von besonderer Bedeutung: Abheben sollte der Pilot erst, wenn die Fahrt für den besten Steigwinkel (Vx) erreicht ist; darunter ist höchstens ein Flug im Bodeneffekt möglich. An dieser Stelle könnte der entscheidende Fehler passiert sein: Nach eigener Aussage glaubte der Pilot, dass er schon auf Höhe der Halbbahnmarkierung in der Luft gewesen sei. Mehrere Zeugen beobachteten aber, dass die Maschine an dieser Stelle nur für einen Augenblick den Boden verließ – auch das möglicherweise nur durch eine Bodenwelle – und anschließend weitere 200 Meter gerollt sei. Unglücklicherweise wähnte sich der Pilot nach dem Hüpfer längst in der Luft, als die Maschine in Wahrheit noch auf der Piste klebte. Hätte er den Irrtum bemerkt, wäre es ihm vielleicht noch möglich gewesen, den Start sicher abzubrechen. So aber kam der Tiefdecker nicht auf die notwendige Startgeschwindigkeit.

Kurios: Nur etwa zwei Monate später verunglückte eine weitere Maschine in Konstanz unter ähnlichen Umständen. Der Pilot hielt in diesem Fall die an einigen Stellen der Piste ausgelegten Kunststoffplatten für „braune Lehmkuhlen“. Irritiert und aus Angst vor Fahrwerksschäden steuerte er nach links und zog das Flugzeug in die Luft. Auch ihm reichte die Speed nicht für den Start, erneut war es eine TB 10.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 12/2015

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