Unfallakte

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Start in Landekonfiguration: Falke SF 25C in den Stall gebremst

Banale Fehler passieren jeden Tag und fallen nicht mal auf: weil sie folgenlos sind. Beim Fliegen können ihre Folgen existenziell sein

Von Peter Wolter

Kein guter Auftakt: Der Motor will nicht anspringen. Ein Techniker, der aus der Nähe die Startvorbereitungen mitverfolgt, kommt zu Hilfe und stellt fest, dass keine besondere Qualifikation erforderlich gewesen wäre, um das Triebwerk in Gang zu bringen – die Zündung ist aus. Später werden Zeugen zu Protokoll geben, dass der Pilot bei den Startvorbereitungen einen unkonzentrierten Eindruck gemacht habe. Doch nachdem der Motor bei richtiger Zündschalterstellung problemlos angesprungen ist, deutet erstmal nichts auf einen ungewöhlichen Ablauf des geplanten Rundfluges hin. Mit einem Fluggast neben sich im Cockpit des C-Falken nimmt der Pilot mit der Flugleitung in Oehna Kontakt auf. Dann dirigiert er den vollgetankten Reisemotorsegler zum Rollhalt der Piste 26.

Extrem langsam: Um 17.55 Uhr hebt die SF 25C ab

Die „26“ des brandenburgischen Verkehrslandeplatzes ist eine 850 Meter lange Asphaltbahn, der Wind kommt 40 Grad von links mit acht Knoten, am wolkenlosen Himmel steht die Sonne flach überm Horizont, ungefähr in Verlängerung der Piste. Es ist kurz vor 18 Uhr an jenem Freitag im Mai 2006. Am Rollhalt überprüft der Pilot nochmal verschiedene Funktionen des am Platz stationierten Scheibe-Klassikers und meldet Startbereitschaft. Um 17.55 Uhr hebt die SF 25C ab. Einem anderen Piloten, der in Platznähe Fotoaufnahmen aus seinem Luftfahrzeug macht, fällt auf, dass der Falke ungewöhnlich langsam fliegt. Ungefähr eine Stunde später wird die Maschine zweieinhalb Kilometer hinterm Bahnende auf einem Acker gefunden: vollkommen zerstört. Beide Insassen sind tot.

Perfektes Flugwetter, eine lange Piste in anspruchslosem Gelände, ein gutmütiges Flugzeug, das vor dem Flug kontrolliert worden war – wie ist so et- was möglich? Die Aufschlagspuren verrieten, dass der Aufprallwinkel sehr steil war und der Motorsegler in einer trudelartigen Bewegung nach links zerschellt sein musste. Der linke Flügel wurde abgerissen, die Kabine zertrümmert, auch große Teile des rechten Flügels wurden abgetrennt, ebenso die Ruderflächen des Höhenleitwerks. Am Triebwerk deutete nichts auf eine Störung hin, das Spurenbild am Propeller verriet, dass der Motor beim Aufprall unter Last gelaufen war. Technische Mängel schien das Flugzeug nicht gehabt zu haben. „Alle Brüche konnten dem Aufprall zugeordnet werden“, steht im BFU-Untersuchungsbericht, und die Experten wiesen nach, dass der Motorsegler aus dem Anfangssteigflug heraus bei Vollgas abgestürzt sein muss: Der Hauptschalter war an, der Gashebel in Stellung Volllast. Steuerversagen? Nein, denn „die kraftschlüssigen Verbindungen der Steuereinrichtungen waren bis zum Aufprall gegeben“.

Dicht überm Boden: Der Falke wurde von seinem eigenen Anker in den Stall gerissen

Aufschluss über die Unfallursache gab die Untersuchung der Flaps, Schempp-Hirth-Klappen, die beim Falken nach oben aus der Fläche gefahren werden und ausschließlich bremsende Funktion haben (Störklappen). Deren Mechanismus wies markante Anschlagstellen und Verformungen auf. Ein Klappenantrieb war abgerissen und die Rückholfeder deutlich überdeht. Außerdem wurde die Klappenarretierung im Cockpit stark deformiert: alles Hinweise darauf, dass die Flaps beim Aufprall ausgefahren gewesen sein mussten. Also während des gesamten Flugs – warum sollte der Pilot sie nach dem Start gesetzt haben? Ein Steigflug mit Bremsklappen gleicht aber dem Versuch, mit angezogener Handbremse einen Berg rauf zu fahren. Der Falke wurde von seinem eigenen Anker in den Stall gerissen und geriet dann in einen trudelartigen Flugzustand, dicht überm Boden.

In 15 Jahren auf Motorseglern hatte der 65- jährige Pilot gerade soviele Motorseglerstunden gesammelt, dass eine Lizenzverlängreung möglich gewesen war: im Schnitt 12,7 Stunden pro Jahr. Zu wenig selbst für die Mutter Theresa unter den Reisemotorseglern? Zu wenig, um in schlechter Tagesform sicher unterwegs zu sein? Wenn einem entgeht, dass ein 94 Kilogramm schwerer Passagier bei vollem Tank die Abflugmasse 63 Kilo über das Limit treibt? Und wo der Bremsklappen-Hebel steht? Wahrscheinlich hatte der Mann keinen schlechteren Tag als jeder von uns zig Mal im Jahr. An dem wir aber – Glückssache? – nicht fliegen.

Unfallakte II: Mit Gewalt in die Luft

Flugplätze können einsame Orte sein, auch in Deutschland, sogar an einem Tag im Juni. Fast dreieinhalb Stunden können vergehen, bis man eine Maschine findet, die gleich hinterm Bahnende liegt. Wenn der Platz geschlossen ist. Drei Maschinen eines französischen Luftsportvereins fliegen ihn trotzdem an, was kein Fehler gewesen sein muss, denn das Wetter zwingt sie zur Sicherheitslandung in Seedorf, Niedersachsen. Unterwegs sind die Viersitzer des Typs Robin DR 400 von Hoogeven in den Niederlanden nach Oskarshamn in Schweden. Doch Norddeutschland ist von feucht-labiler Luft überzogen; es kommt zu Gewittern, teilweise mit starkem Regen.

Auf dem Sonderlandeplatz, der innerhalb einer militärischen Anlage liegt und von einem niederländischen Club betrieben wird, warten die sieben Reisenden, bis ein Start sinnvoll erscheint. Man geht die nasse, vom Regen an den Vortagen aufgeweichte 450-Meter-Grasbahn ab, die längere Zeit nicht gemäht worden ist, und entscheidet sich für die Startrichtung 24, da der Wind aus 220 Grad kommt, mit zehn Knoten. Zwei Maschinen – eine 180 PS starke mit drei Personen an Bord sowie eine der beiden 160-PS-Robin mit zwei Insassen – nutzen beim Startlauf den 250 Meter langen Grasbereich vor der Piste; auch hinterm Pistenende, vor der „06“, gibt es eine gleich lange Grasfläche. Ungefähr bei der Halbbahnmarkierung kommen die Flugzeuge frei. Es ist 13 Uhr, keine halbe Stunde ist seit den Landungen vergangen.

Unfall beim Start: Für den Start der dritten Robin gibt es keine Zeugen

Über dem Platz kreisend warten die beiden Maschinen auf die dritte. Doch bei der kommt es zu einer Verzögerung, und so fliegen die Wartenden schließlich nach Osten ab. Für den Start der dritten Robin gibt es keine Zeugen. Man weiß nur, dass drei Personen an Bord waren plus 150 Liter Treibstoff und Gepäck für den Urlaub. Und dass sich die Crew für einen Start in Gegenrichtung entschieden hat. Unterdessen werden die beiden zuvor gestartenden Flugzeuge erneut zu einer wetterbedingten Landung gezwungen, diesmal in Lüneburg. Weil niemand weiß, wo der Nachzügler steckt, leitet man die Suche ein.

Gefunden wird die DR 400-160 noch in der Nähe des Seedorfer Platzes: am Waldrand 150 Meter nordöstlich der Piste. Das Flugzeug ist vollkommen zerstört und ausgebrannt, alle Insassen sind tot. Beim Aufschlag muss es zu einer explosionsartigen Entzündung gekommen sein – ein Zeuge hat gegen 13.10 Uhr einen Rauchpilz im Flugplatzbereich gesehen, fast dreieinhalb Stunden, bevor die Polizei das Wrack entdeckt. Die Rekonstruktion des Startablaufs ergibt, dass die Robin zunächst in fünf Meter Höhe einen Baum berührt hat, und zwar mit der rechten Fläche, die dann im Bereich zwischen Querruder und Landeklappe abriss. 13 Meter hinter dem Baum schlug der Rest mit dem Bug zuerst auf den Waldboden. Auf dem linken Vordersitz hatte eine 61-jährige Pilotin mit 430 Stunden Flugerfahrung gesessen, neben ihr ein erfahrener Pilot mit 1165 Flugstunden; der 63- Jährige hatte die Maschine in Seedorf gelandet.

Rekonstruktion des Startablaufs: Baumberührung in fünf Metern Höhe

Erschreckend ist die offensichtliche Unmöglichkeit eines Starts unter den gegebenen Bedingungen: auf der einen Seite drei Personen und Urlaubsgepäck in einer 160-PS-Maschine mit Festpropeller – auf der anderen ein aufgeweichter, lediglich 450 Meter langer, ungemähter Grasplatz und 10 Knoten Wind, in Böen bis 25, fast genau von hinten. Berechnungen ergaben, dass schon zum Abheben 740 Meter erforderlich gewesen wären, zum Überflug eines 15-Meter-Hindernisses gar 1250 Meter. Da helfen auch keine zusätzlichen Grasflächen, insgesamt 500 Meter vor und hinter der Bahn, um in die Luft zu kommen.

fliegermagazin 6/2008

Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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