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Sichtflug bei marginalen Wetterbedingungen: Mooney M20 E im Wiehengebirge
Niedrige Wolkenbasis, schlechte Sicht – solche Bedingungen können im Flachland gerade noch für einen VFR-Flug ausreichen. Führt die Route aber in bergiges Gelände, kann es nur heißen: umdrehen oder nichts wie runter
Kaum ein Anblick ist für Sichtflieger furchteinflößender als Berge mit aufliegender Bewölkung. Piloten reagieren in der Regel hochsensibel auf diese Gefahr. Respektvoll Abstand halten ist die Devise. Wenn es eng wird, muss der Kurs korrigiert werden. Höher gelegenes Gelände sollte man bei niedrigen Wolkenuntergrenzen generell meiden. Im Zweifel muss der Pilot den Flug abbrechen. Wer jetzt die Augen stur auf GPS-Display und Karte richtet, um den direkten Weg zu nehmen, überlässt sein Leben dem puren Zufall.
Das Wiehengebirge, der nördlichste Gebirgszug im Korridor von Bremen Richtung Ruhrgebiet, ist so etwas wie der Eiserne Vorhang für Sichtflieger. Ab hier geht bei tiefer Wolkenbasis nichts mehr. Weiter östlich schließt sich das Wesergebirge an, dazwischen gibt ein wenige hundert Meter schmales Tal den Blick auf das Land dahinter frei: die Porta Westfalica. Wer auf dem gleichnamigen Flugplatz aus nördlicher Richtung kommend landen will, muss also eigentlich keinen der Gebirgszüge überqueren, wenn er die Piste durch die Lücke anfliegt. Es mag dieses Gefühl trügerischer Sicherheit gewesen sein, das den Piloten einer Mooney M 20E am 18. Juli 2008 bewogen haben könnte, bei marginalen Wetterbedingungen zu starten und auf Südkurs den kleinen Flugplatz jenseits der beiden Höhenzüge anzusteuern.
Trügerische Sicherheit: Start der Mooney M20 E trotz marginaler Sicht
Seit fast 40 Jahren hat der 70-Jährige einen Luftfahrerschein für Privatpiloten (PPL-A), bis 2003 war in seiner Lizenz auch eine Instrumentenflugberechtigung eingetragen. Außerdem hat er eine Sportpilotenlizenz für aerodynamisch gesteuerte Ultraleichtflugzeuge. Das Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 des erfahrenen Fliegers ist zu diesem Zeitpunkt noch knapp sieben Wochen gültig. Über seinem Heimatplatz Stade, südwestlich von Hamburg, liegt an diesem Tag eine geschlossene Wolkendecke in 800 Fuß. Die Sicht beträgt 3000 Meter. Selbst für einen Flug im Flachland nach VFR kritische Bedingungen.
Weiter südlich, wo die ersten Höhenzüge die norddeutsche Tiefebene begrenzen, bleibt man besser am Boden. Die Vorhersagen verheißen ebenfalls nichts Gutes: Die GAFOR-Prognose für den Bereich Nord warnt am Morgen vor schauerartigen Niederschlägen und Gewittern für die Gebiete 9 und 10, die auf dem Weg von Stade nach Porta Westfalica liegen: X-RAY – nicht fliegbar. Auch GAMET warnt in den Gebietsvorhersagen für die Region Nordwest vor Wolkenuntergrenzen bis 700 Fuß und vereinzelter Cumulonimbus-Bewölkung. Die Luftfahrtberatungszentrale Nord in Hamburg gibt um 6.52 und 7.01 Uhr UTC Warnhinweise (AIRMET) heraus: Für den Bereich Ostseeküste bis Emsland meldet der Wetterdienst Dunst, Sprühregen und eine Bodensicht von nur vier Kilometern.
X-RAY: GAFOR-Prognose für den Bereich Nord
Die Wettermeldestellen Osnabrück, Bad Salzuflen und Bückeburg nennen um 8 Uhr UTC im Bereich der Höhenzüge des Teutoburger Walds und des Wiehengebirges Wolkenuntergrenzen zwischen 700 und 1000 Fuß MSL. Das Fazit des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist eindeutig: In den Kammlagen des Wiehengebirges kommt es zu aufliegender Bewölkung. Die Wetterinformationen und Warnhinweise von GAFOR, GARMET und AIRMET sind bereits am Morgen vor dem Start der Mooney vollständig verfügbar. Allein, der Pilot nimmt sie nicht zur Kenntnis. Für das Kennzeichen seiner Maschine wird an diesem Morgen keine individuelle Flugwetterberatung beim Deutschen Wetterdienst eingeholt, auch liegt für das Self-Briefing-System des DWD unter dem Namen des Piloten keine Nutzerregistrierung vor. Um 9.27 Uhr Ortszeit startet er vom Sonderlandeplatz Stade und nimmt Kurs auf Porta Westfalica. Mit an Bord ist ein Passagier.
Nach Verlassen der Platzrunde fliegt der Tiefdecker in einer Höhe von 700 bis 800 Fuß MSL mit 200 Grad True Track direkt auf das Wiehengebirge zu. Als Navigationshilfe hat der Pilot ein Garmin GPS 296 dabei. Es ist mit der Funktion „Direct To“ auf den Flugplatz Porta Westfalica programmiert. Die Route der Mooney, kaum 800 Fuß über Grund, gleicht einem Hindernisparcours. Die Auswertung der Radardaten ergibt später allerdings, dass der Pilot dessen ungeachtet stur geradeaus fliegt. Auf dem Weg nach Süden schießt der Viersitzer in dieser geringer Höhe und maximal zwei Nautische Meilen nach rechts oder links versetzt über mehrere Hindernisse hinweg. Das sind unter anderem die Türme Wangersen (567 Fuß), Völkersen (662 Fuß) und Landesbergen (697 Fuß), außerdem die Windräder Stade (555 Fuß), Völkersen (660 Fuß), Hoya (509 Fuß), Marloh (704 Fuß) und Petershagen (661 Fuß) sowie der Schornstein Petershagen (881 Fuß).
Der Mooney-Pilot fliegt trotz Hindernissen stur geradeaus
Wenige Minuten nach 10 Uhr ist die Maschine im Anflug auf Porta Westfalica. Der Pilot ruft den Platz und gibt seine Landeabsicht sowie die Position der Mooney über Bückeburg durch. Daraufhin informiert ihn der Flugleiter über Landerichtung und Flugplatzwetter. Außerdem weist er ihn ausdrücklich darauf hin, dass der Flugplatz angesichts der Wolkenuntergrenze von 800 Fuß nur über die Porta Westfalica, jenes schmale Tal zwischen Wiehen- und Wesergebirge, angeflogen werden könne. Der Mooney-Pilot bestätigt den Empfang, setzt seinen Anflug aber fort – auf direktem Kurs Richtung Nordanstieg des Wiehengebirges. Es sollte der letzte Funkspruch aus der Mooney sein. Die Einmot verfehlt die schmale Lücke zwischen den Höhenzügen. Zeugen beobachten, wie die Einmot unmittelbar vor der Hangkante in die aufliegenden Wolken eintaucht.
Um 10.09 Uhr kracht die Maschine in den Bergwald auf der nördlichen Seite des Hauptkamms, etwa zwei Nautische Meilen von der Schwelle der Piste entfernt. Beide Insassen überleben den Aufschlag nicht. Das Cockpit brennt nach dem Crash vollständig aus, auch Rumpf und Tragflächen werden durch das Feuer weitgehend zerstört. Höhen- und Seitenflosse sind bereits vor dem Aufprall vom Rumpf abgerissen worden und in einer Baumkrone hängen geblieben. Der Motor wird ebenfalls vom Rumpf abgetrennt. Die Feuerwehr findet ihn samt Propeller über 30 Meter vom Wrack entfernt.Es scheint fast ein Wunder zu sein, dass die Mooney bei diesen Wetterbedingungen überhaupt so weit kam. Mehrere der zuvor passierten Hindernisse hätten ebenso das vorzeitige Ende des Flugs sein können.
Im Landeanflug kracht die Mooney in einen Bergwald
Der 70-jährige Pilot lenkte die Maschine direkt, ohne nennenswerte Kurskorrekturen, zu seinem Ziel. Die einzige Geländehürde, der Höhenzug des Wiehengebirges, wurde ihm dabei zum Verhängnis. Vermutlich, weil er vom direkten Kurs des GPS nicht abweichen wollte. Dabei hätte das mitgeführte GPS weit mehr als nur die Richtung vorgeben können: Es hatte eine integrierte Hindernis- und Terrainwarnung. Die Warnhöhe war auf 500 Fuß, die Vorausschau auf 90 Sekunden eingestellt. Ein leichter Schlenker nach Osten hätte genügt, um das halsbrecherische Unternehmen doch noch zu einem glimpflichen Ende zu bringen.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 12/2009
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