WISSEN

Seit wann gibt es Flugboote?

Ein Boot zum Fliegen zu bringen ist gar nicht so einfach. Berufene Ingenieure haben sich daran versucht, mit mehr oder weniger Erfolg. Ein paar Flugboote wurden weltberühmt, andere blieben eher unbekannt.

Von Stefan Bartmann
Model F
Gelungener Flug: Das Model F von Curtiss mit Stufe diente als Vorlage für eine Serien- produktion. Eine lange Baureihe folgte dieser klassischen frühen Flugboot-Konstruktion. Foto: Bildsammlung Bartmann

Das erste „Flugboot“, wenn man es als solches bezeichnen mag, ist viel älter als gemeinhin angenommen. Nur – es ist nie geflogen. Der Österreicher Wilhelm Kress, Klavierbauer und Ingenieur, setzt schon 1898 drei mächtige Flügel mit leichter Staffelung hintereinander. Der „Kress’sche Drachenflieger“, finanziert mit Spendengeldern, schwimmt auf zwei Röhren aus Aluminium. Die handwerkliche Umsetzung zieht sich bis nach der Jahrhundertwende hin.

Erst 1901 ist der ersehnte Mercedes-Motor da: 380 Kilo schwer, 30 PS schwach. Kress, inzwischen 65 Jahre alt, betätigt sich selbst als Testpilot, als im Oktober 1901 auf dem Tullnerbach-Stausee bei Wien (heute heißt er Wienerwaldsee) die Erprobung beginnt. Wegen des schweren Motors liegt das Flugzeug entsprechend tiefer im Wasser. Nach ein paar Übungen schiebt Kress den Gashebel nach vorn. „Geschwindigkeit und Auftrieb nahmen rapide zu …“, erinnert er sich später.

Flugboote: Aller Anfang ist schwer

Den ersten Motorflug schon in Reichweite muss er am Stauwehr drosseln und in eine Kurve gehen. Eine Böe, die unter die Flächen greift, macht alles zunichte: der Apparat kentert und versinkt. Kress ist unverletzt, kann aber keine weiteren Mittel für seine Flugversuche mehr auftreiben und gibt verbittert auf.

Curtiss FCurtiss F
Gelungener Flug: Das Model F von Curtiss mit Stufe diente als Vorlage für eine Serien- produktion. Eine lange Baureihe folgte dieser klassischen frühen Flugboot-Konstruktion.

Ein gutes Jahrzehnt später: Der Amerikaner Glenn Curtiss, ein Pionier des Wasserflugs, ist der erste, der einen Bootsrumpf mit Tragflächen verbindet und zum Fliegen bringt. Vor seiner Werkstatt in Hammondsport im US-Bundesstaat New York erstreckt sich der Lake Keuka. Im Frühjahr 1912 testet er dort sein „Model E“, genannt „Flying Fish“. Curtiss’ zweite Leidenschaft ist der Wassersport. Im Sinn hat er ein fliegendes Sportgerät für die gelangweilte Oberschicht, wie Curtiss einräumt. Doch bald interessiert sich das Militär noch mehr für seine Flugboote.

Neues Element: Auch europäische Piloten wagen sich aufs Wasser

Auch europäische Piloten wagen sich inzwischen aufs Wasser. Doch der Umgang mit dem ungewohnten Element muss in diesen Pionierjahren mühsam erlernt werden. Die frühen Wettbewerbe für Wasserflugzeuge, voller Ausfälle und Totalversager, haben einen Berg technischer Probleme offenbart. Alle müssen dazulernen, auch die selbstbewussten Franzosen. Ihr erstes brauchbares Flugboot – das erste in Europa überhaupt – hat Ingenieur Francois Denhaut konstruiert. Bei Donnet-Lefeque wird es gebaut.

DrachenfliegerDrachenflieger
Österreich 1901: Der Drachenflieger von Wilhelm Kress wäre beinahe das erste Flugzeug mit Verbrennungsmotor geworden. Es wird auf einem Stausee bei Wien erprobt.

Mit diesem Apparat startet im August 1912 der Rennpilot Jean Beaumont auf der Seine bei Paris; er will nach London. In Boulogne nahe Calais wird der Apparat bei der Landung beschädigt, als eine Fläche ins Wasser taucht. Tags darauf zwingt ihn der ruppige Wind zur Rückkehr an die Küste. Nach ein paar Sprüngen verschwindet das Flugboot in den Wellen und ist ein Wrack, an das sich Beaumont hilferufend klammert. Alles nicht so einfach…

Rotes Flugboot aus Zedernholz

Etwa zu dieser Zeit kommt Emmitt C. Bedell, ein Curtiss-Designer, auf die pfiffige Idee mit der „Stufe“ im Rumpfboden, um den klebrigen Wasserfluss durch Luft zu unterbrechen; bis dahin war der Start auf dem Wasser ein mühsamer Kraftakt gewesen. Curtiss’ guter Ruf als Flugbootkonstrukteur bringt ihn mit Leuten zusammen, die schon 1913 an einen Flug nach Europa denken. Die Technik scheint reif, und ein idealistischer Finanzier ist auch dabei.Aus diesen Ambitionen geht die aus edlem Zedernholz gefertigte „America“ hervor – ein knallrotes Flugboot mit 22 Metern Spannweite und vollverkleidetem Cockpit. Zwei Curtiss-OX 5-Motoren mit Druckprops sollten genügen, meint man. Doch der britische Testpilot, Lieutenant John Cyril Porte, bemerkt im Juni 1914, dass es an der Zuladung hapert. Fliegerisch scheint die mächtige „America“ ganz okay.

Curtiss AmericaCurtiss America
Auf dem Sprung nach Europa: Die Curtiss America schafft den Flug über den Nordatlantik nicht. Technik und der Weltkrieg kommen dazwischen.

Der verzweifelt verbaute dritte Motor – mit Zugpropeller – macht aus dem Flugboot beiläufig die erste Dreimot der Luftfahrt. In Europa dämmert derweil der Weltkrieg herauf. Als es dort losgeht, hat sich der Atlantikflug der „America“ erledigt. Genau dieses Flugboot, als Friedenssymbol geplant, dient ironischerweise später bei der Royal Navy – auf der Jagd nach deutschen U-Booten.

Schneider-Trophy: Flugboote können zunächst mithalten

Bei der seit 1913 heiß umkämpften Schneider-Trophy, einem Geschwindigkeitsrennen für Wasserflugzeuge, können eine Zeitlang sogar die behäbigen Flugboote mithalten, gedrungene, meist unglaublich hässliche Doppeldecker von Macchi und Supermarine, ehe die eleganten Schwimmer-Versionen davonziehen: Italien vs. England. Nach 1925 werden Flugboote in diesem aufregenden Wettbewerb, wo es nur um Speed und sonst gar nichts geht, keine Rolle mehr spielen.

LESEN SIE AUCH
Freizeitziel
Reisen

Mit dem Flugboot zur Masurischen Seenplatte

Erst nach dem Krieg, im Mai 1919, wird die Nordatlantik-Premiere nachgeholt, die der „America“ verwehrt geblieben war. Das mehrmotorige NC-Flugboot („Navy-Curtiss“) ist für die U.S. Coast Guard entwickelt worden. Um den Steuerzahler zu beeindrucken, stellt die Marine eine kleine Flotte aus drei NC-Flugbooten zusammen. In Etappen müssen sich die Crews vorwärts arbeiten. Das Unternehmen wird generalstabsmäßig durchexerziert: Auf der Strecke bis zu den Azoren patrouillieren Kriegsschiffe für den Fall des Falles. Gut so, denn tatsächlich kommt nur eine Maschine, die viermotorige NC-4, in Lissabon an – 19 Tage nach dem Start auf der Marinebasis Rockaway in New York City.

Caproni Ca. 60 mit acht V12-Motoren

Ein paar Schritte weiter, wohl zu weit, geht Giuseppe „Gianni“ Caproni im Frühjahr 1921. Da dümpelt seine geflügelte Monstrosiät auf dem Lago Maggiore. Vor lauter Tragflächen vermag man das Passagier-Flugboot, das die Caproni Ca. 60 darstellen soll, kaum zu erkennen. Der Dreifach-Tandem-Dreidecker mit seinen 30 Metern Spannweite peilt optimistisch den Transozean-Flugverkehr an. Im Krieg hatten die staatlichen Caproni-Werke für die italienische Luftwaffe gefürchtete Groß-Bomber gebaut.

Caproni Ca. 60Caproni Ca. 60
Glückloser Gigant: Die achtmotorige Caproni Ca. 60 ist das größte bis dahin gebaute Flugzeug. Das Flugboot hätte 100 Passagiere über den Atlantik tragen sollen.

Die Öffentlichkeit nimmt das reichlich verstrebte und verdrahtete Hausboot mit Verblüffung und Kopfschütteln zur Kenntnis. In dem Ungetüm machen sich die Triebwerke und Propeller geradezu winzig aus. Caproni hat acht amerikanische Liberty-V12-Motoren zu 3200 PS bündeln lassen. In dem 23 Meter langen Bootsrumpf hätten 100 Passagiere Platz finden sollen; Fensterplätze sind reichlich vorhanden.

Unsteuerbar: Capronis Riesenvogel kommt nicht höher als 20 Meter

Ein Haufen Ehrengäste ist zugegen, als die „Capronisimo“ am 4. März 1921 ihren ersten und einzigen Luftsprung vollführt. Manches daran erinnert an Howard Hughes’ H-4 Hercules 26 Jahre später: die umwerfende „Spruce Goose“, die nie etwas anderes transportieren wird als das Ego ihres Urhebers. Auch Capronis Riesenvogel kommt nicht höher als 20 Meter. Testpilot Semprini verliert schnell die Kontrolle über den unsteuerbaren Giganten.

Als erstes falten sich die mittleren Flächen zusammen, der Rest folgt. Das Wrack wird geborgen, doch man bricht den Wiederaufbau ab, nachdem ein mysteriöser Brand die Reste beschädigt hat; gottlob. Unter dem inoffiziellen Titel der „schlimmsten Flugzeuge der Welt“ nimmt die Caproni Ca. 60 einen der vorderen Plätze ein.

Über den Autor
Stefan Bartmann

Schlagwörter
  • Flugboot
  • Wasserflugzeug
  • curtiss
  • Dornier
  • Caproni Ca. 60