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Schrecklicher Unfall auf der Wasserkuppe – ausführliche Analyse
Fünf Jahre ist es nun her, doch daraus lernen lässt sich noch heute: Ein Landeanflug auf den Flugplatz Wasserkuppe misslingt, der Pilot einer vollbesetzten Cessna muss durchstarten. Das Manöver geht schief, und die Maschine erfasst Fußgänger auf einer querenden Straße.
Hoch gelegene Flugplätze sind an warmen Tagen für die meisten Kolbenflugzeuge und deren Piloten eine Herausforderung. Kommen dann noch schwieriges Gelände und eine hohe Zuladung hinzu, kann es schnell brenzlig werden. Dies musste auch der Pilot einer Cessna 172N im Oktober 2018 auf der Wasserkuppe leidlich erfahren.
Der 56-Jährige startet an jenem Sonntag gemeinsam mit drei Begleitern in Mannheim (EDFM) zu einem Sichtflug mit dem Zielflugplatz Wasserkuppe (EDER). Der Flug verläuft zunächst ohne besondere Vorkommnisse. Als sich der Hochdecker dem historischen Fluggelände in der Rhön nähert, teilt der Flugleiter dem Piloten mit, dass die Piste 24 in Betrieb sei und er sich im rechten Gegenanflug erneut melden solle. Der Wind kommt zu diesem Zeitpunkt aus 150 Grad mit sechs Knoten. Die Temperatur am Boden beträgt 20 Grad. Alles in allem herrschen gute Sichtflugbedingungen mit geringer Bewölkung.
Gute Sichtflugbedingungen: Zielflugplatz der Cessna 172 war die Wasserkuppe
Der Landeanflug der Cessna sieht zunächst völlig normal aus. Doch schnell wird klar, dass die Maschine viel zu hoch ist: Auf Höhe der Halbbahnmarkierung der 820 Meter langen Piste schwebt das Flugzeug laut Angaben von Zeugen noch mannshoch über der Bahn. Auch der Pilot erkennt, dass die Landung nicht mehr gelingen wird und entscheidet sich zum Durchstarten. Er gibt Vollgas und versucht wieder Höhe zu gewinnen. Dies gelingt jedoch nicht, denn Piste und Gelände steigen erheblich an.
Stattdessen kommt es zirka 70 Meter hinter dem Pistenende links neben der Pistenverlängerung auf einer Wiese zur Bodenberührung. Anschließend dreht das Flugzeug nach links und kollidiert mit dem Pfeiler einer Schrankenanlage an der quer hinter der Landebahn verlaufenden Straße. Beim Überqueren der Straße erfasst die Cessna drei Personen und prallt schließlich auch gegen die Schrankenanlage auf der anderen Seite der Straße. Schwer beschädigt kommt der Viersitzer etwa 46 Meter hinter der Straße auf einer Wiese zum Stillstand. Die drei vom Flugzeug erfassten Personen – eine Mutter und ihre beiden Kinder – überleben den Unfall nicht. Die vier Insassen der Einmot verlassen die Maschine unverletzt.
Gefangen im Bodeneffekt: Technisch war das Flugzeug in Ordnung
Doch wie konnte ein vermeintlich einfaches Durchstartmanöver derart tragisch enden? Technisch war das Flugzeug in Ordnung, die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) finden keine Mängel, die zur Unfallursache beigetragen haben. Auffälligkeiten gibt es hingegen bei der Zuladung: Die Rekonstruktion von Tankinhalt, Passagier- und Gepäckgewichten beim Abflug zeigt, dass die Cessna 172 mit einem Abfluggewicht von 1105 Kilogramm um 62 Kilogramm überladen war. Die maximale Abflugmasse des Unfallflugzeugs betrug 1043 Kilogramm. Beim Durchstartmanöver auf der Wasserkuppe dürfte das Flugzeug laut BFU immerhin noch 28 Kilogramm zu schwer gewesen sein.
Das Gelände rund um die Wasserkuppe ist schwierig. Der Sonderlandeplatz liegt auf einer Höhe von 2959 Fuß. Aufgrund der meteorologischen Bedingungen am Unfalltag lag die Dichtehöhe des Flugplatzes bei 4300 Fuß. Die 670 x 15 Meter große Asphaltpiste wird in Richtung 24 von einem Grasstreifen umgeben, sodass die Gesamtdimension der Piste 820 x 30 Meter beträgt. Die Asphaltpiste steigt im Längsprofil von Schwelle zu Schwelle um 24,1 Meter an, was einer Längsneigung von 4 Prozent entspricht. Als der Pilot das Durchstartmanöver einleitete, hatte er laut BFU noch eine verbleibende Pistenlänge von 400 Metern vor sich.
Durchstarten unmöglich: Dem Piloten standen nicht mehr genug Pistenlänge zur Verfügung
Gemäß Flughandbuch sollen die Klappen beim Durchstarten stufenweise erst auf 20 und dann auf 10 Grad gefahren werden. Die Unfalluntersucher ermittelten, dass das ungefähr sieben Sekunden dauert; währenddessen legte die Cessna – bei optimaler Fluggeschwindigkeit – etwa 207 Meter zurück. Als Streckenbedarf für den Überflug eines 15 Meter hohen Hindernisses (Kurzstart) bei maximaler Beladung, einer Flugplatzhöhe von 3000 Fuß und 20 Grad Außentemperatur errechnet die BFU 265 Meter, woraus sich für das Manöver eine nötige Gesamtstrecke von 472 Metern ergibt. Daraus folgt, dass dem Piloten für das erfolgreiche Durchstarten nicht genug Pistenlänge zur Verfügung stand, zumal das Gelände allein von der Halbbahnmarkierung bis zum Pistenende um 18 Meter ansteigt. Auch der leichte Seitenwind von links dürfte die Landung erschwert haben.
Zeugen gaben an, dass die quer zur Piste verlaufende Straße, abgesehen von den Schrankenbereichen, mit Fahrzeugen zugeparkt war, verbotenerweise. Der Pilot konnte die Fußgänger in diesem Bereich nicht sehen, umgekehrt konnten die Passanten das sich annähernde Flugzeug ebenfalls nicht wahrnehmen.
Konsequenzen des Unfalls: Für die Wasserkuppe ergeben sich weitere Regelungen
Die Ermittler der BFU kommen zu dem Ergebnis, dass sowohl die zu späte Entscheidung zum Durchstarten als auch das anspruchsvolle Fluggelände sowie die Hindernissituation im Abflugbereich maßgeblich zum Unfallverlauf beigetragen haben.
Für den Flugplatz Wasserkuppe hat der Vorfall erhebliche Konsequenzen. Zusätzlich zur bereits vor dem Vorfall gültigen PPR-Regelung für nicht am Platz stationierte Flugzeuge sind inzwischen erweiterte Regelungen in Bezug auf die Einweisung und Inübunghaltung platzfremder Piloten eingeführt worden. Seit 2019 benötigen alle, die das Gelände anfliegen wollen, den Nachweis über einen eintägigen Einweisungskurs mit theoretischer und praktischer Einweisung. Nach Abschluss des Kurses wird ein Zertifikat ausgestellt, das nur dann gültig bleibt, wenn der Inhaber innerhalb von drei Jahren drei Starts und Landungen auf der Wasserkuppe durchführt. Auch die Piste wurde neu vermessen und die Gesamtlänge auf 743 Meter verkürzt. Dadurch ist der Abstand zwischen dem Ende der Asphaltpiste und der quer verlaufenden Landesstraße nun größer.
Fahrlässige Tötung: Der Pilot wird zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt
Der Unfallpilot musste sich wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten. Das Landgericht Fulda verurteilt ihn später zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Darüber hinaus erklärte er, dass er 5000 Euro an den als Nebenkläger aufgetretenen Familienvater zahlen will, der bei der Tragödie Frau und Kinder verlor. Im Rahmen des Verfahrens wurde der anfänglich zusätzlich erhobene Vorwurf der fahrlässigen Gefährdung des Luftverkehrs fallengelassen, da das Flugzeug laut Aussage eines Gutachters nur geringfügig überladen und dies nicht ursächlich für den Unfall gewesen sei.
Text: Martin Schenkemeyer
Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.
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