Unfallakte

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Rundflug mit Fehleinschätzung: Absturz einer nicht abflugbereiten Cessna 172

Die Cessna eines Privatpiloten ist wegen Reparaturarbeiten nicht flugbereit. Der Eigentümer startet dennoch zu einem Rundflug – ohne linke Türverriegelung und ohne Pilotensitz, aber mit einem Passagier auf der Rückbank

Von Redaktion
Foto: Archiv

Mit einem Flugzeug ohne Quer- und Seitenruder würde vermutlich kein Pilot, der bei Sinnen ist und an seinem Leben hängt, zu einem Rundflug starten. Beides gehört schließlich zu den notwendigen Systemen eines normalen Flächenflugzeugs; ohne sie ist die Maschine nicht lufttüchtig.


Andere Bauteile scheinen dagegen auf den ersten Blick verzichtbar zu sein. Doch es kann sich als ein fataler Fehler erweisen, die Lufttüchtigkeit eines Flugzeugs allein dem ersten Blick nach zu bewerten. Bei einem kuriosen, wenn auch traurigen Fall aus der Gegend um Hamburg zeigt sich, dass ein Pilot offensichtliche Mängel an seinem Luftfahrzeug ignoriert – oder sie womöglich gar nicht als ernste Gefahr wahrnimmt.

Pilot der nicht abflugbereiten Cessna 172: Beide Augen zugedrückt

Es ist der 7. August 2013, an dem sich der Pilot und Eigentümer einer Cessna F 172N und ein Fluggast vormittags am Flugplatz Uetersen-Heist zu einem Rundflug verabredet haben. Der Pilot hat insgesamt 180 Flugstunden, fast ausschließlich mit seiner Cessna. Dennoch ist dem 80-Jährigen die Maschine, so wie er sie an diesem Tag vorfindet, zumindest als Pilot im Cockpit fremd: Wegen Reparaturarbeiten ist der Pilotensitz ausgebaut, auch die linke Türverriegelung fehlt.

Der Halter des Flugzeugs hatte den Eigentümer am Vortag telefonisch über die Maßnahmen informiert. Doch auch ohne das Telefonat ist dieser Mangel schwer zu übersehen. Den Piloten scheint das nicht zu stören: Er setzt sich auf den verbliebenen rechten Vordersitz, der Passagier begnügt sich mit der Rückbank. Auch die fehlende Türverriegelung scheint kein Grund zu sein, das Vorhaben zu vertagen. 


Bild der Zerstörung: In der Platzrunde kommt es zum Strömungsabriss, beide Insassen sterben beim Absturz (Foto: BFU)

Bevor es losgeht, tankt der Pilot noch zirka 86 Liter Avgas, bevor die Cessna um 11.08 Uhr von der 1100 Meter langen Graspiste in Uetersen abhebt. Kurz darauf verlässt sie die südliche Platzrunde, die Sightseeing-Tour beginnt.Ob dem Piloten dabei die Steuerung des Hochdeckers vom rechten Sitz aus leicht von der Hand geht, ist fraglich – zumindest ist sie für ihn ungewöhnlich, möglicherweise sogar überraschend schwierig. Bislang hat er die Cessna nämlich ausschließlich vom linken Sitz aus pilotiert. Die Bedienung insbesondere des Gashebels ist von rechts durchaus gewöhnungsbedürftig. Auch der Blickwinkel aus dem Cockpit ist ein anderer, und die Übersicht der Instrumente gilt sogar als schwieriger als vom linken Sitz, der im Flughandbuch als geforderte Mindestausrüstung steht und in der Beladeordnung als Sitz des Piloten festgelegt ist.

Rundflug mit Folgen: ungewohnte Sitzanordnung in der Cessna

Der Rundflug verläuft indes zunächst ohne Zwischenfall. Nach etwa 27 Minuten kehrt die Maschine zurück zum Flugplatz, der Pilot meldet sich bei der Flugleitung zur Landung. Nachdem er die Landerrichtung 09 mitgeteilt bekommen hat, dreht die Cessna in die südlich gelegene Motorflug- Platzrunde ein und setzt zur Landung an. Nur Sekunden später, um 11.35 Uhr, stürzt der Hochdecker plötzlich dem Boden entgegen und schlägt etwa eineinhalb Kilometer von der Schwelle entfernt in einem Wald auf. Pilot und Passagier sind sofort tot.

Die Rettungskräfte finden das Wrack in Rückenlage in einem Gebiet mit hohem Baumbestand. Vor dem Aufschlag kollidierte die Maschine mit mehreren über 20 Meter hohen Bäumen, um dann fast senkrecht auf dem Waldboden aufzuprallen. Die Kabine mit den beiden Insassen wurde zertrümmert; Pilot und Passagier hatten keine Chance, den Aufschlag zu überleben. Die Tragflächen sind teilweise vom Rumpf abgetrennt und mehrfach gebrochen, auch das Leitwerk wurde fast vollständig zerstört.

Kurz vor der Landung in Uetersen: Senkrecht auf den Waldboden

Am Wrack können die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) eine „uneingeschränkte Kraftstoffversorgung“ feststellen. Da die Maschine nicht in Brand geriet und der aus den Tanks abgepumpte Kraftstoff noch für einen längeren Streckenflug ausgereicht hätte, ist Spritmangel als Unfallursache auszuschließen. Die gleichmäßig nach hinten verbogenen Propellerblätter deuten ebenfalls darauf hin, dass die Maschine im Landeanflug keine Probleme mit dem Antrieb hatte. Tankwahlschalter und Zündschlüssel stehen am Instrumentenpanel noch auf der letzten geschalteten Position „both“. Die Zündkerzen zeigen keine auffällige Verfärbung. Außer der fehlenden Türverriegelung und dem ausgebauten Pilotensitz stellen die Unfallermittler keine weiteren technischen Mängel fest. Auch mit der ungewöhnlichen Sitzanordnung, so die BFU, seien die Betriebsgrenzen eingehalten worden, was die Beladung betrifft.

Die Ermittler schließen aus den Untersuchungen am Wrack und aus Zeugenaussagen, dass die Cessna durch einen Strömungsabriss in einen steilen, unkontrollierten Bahnneigungsflug geriet, der mit dem Aufprall endete. Der Stall, so formulieren es die BFU-Experten vorsichtig, „könnte durch die Steuerführung aus der ungewohnten Sitzposition begünstigt worden sein.“ Mit der Entscheidung, vom rechten Platz zu fliegen, habe der Pilot ein erhöhtes Risiko in Kauf genommen.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 10/2015

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