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RLU-1 Breezy Selbstbau: „Breezy fliegen ist wie nackt schwimmen“
Frei im Luftstrom sitzen, nur Fahrtwind im Gesicht, nicht mal einen Propellerstrahl – berührender kann ein Flugerlebnis nicht sein. In Süddeutschland hat sich ein Pilot die perfekte Maschine dafür geschaffen.
Morgens viertel vor zehn, Startpunkt 25 in Mengen. Es weht kein Lüftchen, und ich habe zirka 1500 Meter Asphalt vor mir. Eigentlich nichts Neues, bis auf das, was sich hinter mir befindet. Ich sitze ganz vorne auf der Spitze meiner selbstgebauten Flugmaschine, der RLU-1 Breezy. Ein Konvolut alter und neuer Flugzeugteile, angetrieben vom Wankelmotor eines japanischen Sportwagens. Ich trage zum ersten Mal beim Fliegen Helm und Rettungsfallschirm und bin erstaunlich gut gelaunt.
Ein letzter Check der Motorinstrumente, dann Gashebel mit der linken Hand beherzt in Flugrichtung. Fast drei Meter hinter mir setzt sich eine Herde von 180 Pferden in Bewegung. Sie schiebt mich über die Piste, schon nach wenigen Sekunden im gestreckten Galopp. Nach nur 250 Metern sind 60 Knoten erreicht, ich hebe ab und steige in den weiß-blauen Himmel. Ich fliege!
Die gigantische Aussicht genießen
Leicht angeschickert vom Adrenalin in meinen Adern gehe ich auf Platzrundenhöhe und nehme im Gegenanflug das Gas zurück. Zum ersten Mal genieße ich diese gigantische Aussicht, immer wieder kurz unterbrochen durch einen kritischen Blick auf die Instrumente.
Zwei Minuten später schon bin ich im Final und konzentriere mich auf die unvermeidliche Landung. Jetzt bloß nicht rumzappeln und genügend Leistung stehen lassen, um ganz sanft aufsetzen zu können. Alles easy – sie reagiert direkt auf Steuerinputs und küsst den Asphalt, ohne dass ich es spüre.
RLU-1 Breezy: Erfolgreiches Selbstbauprojekt
Nach der Landung stehe ich, noch immer mit Helm und Fallschirm, wie in Trance vor dem Flieger. Ich bemerke, wie die blonde Wolkenfee auf der Bugverkleidung mich anlächelt. Ich grinse zurück und bin sehr glücklich. Es ist der 30. Juni 2020, am Abend feiere ich wie ein Siebzehnjähriger.
Als junger Musikstudent geriet ich auf einer Nordamerika-Tournee zufällig an einen Sprühpiloten, der mich in seiner Piper Cub mitnahm. Er zeigte mir in Baumwipfelhöhe, wozu er und sein Flugzeug fähig waren. Ich saß zum ersten Mal in so einem kleinen Flieger. Das Erlebnis weckte in mir die Euphorie, die man braucht, um sein Leben lang fliegen zu wollen.
Fliegen ist mehr als bloße Fortbewegung
Nachdem ich dann einige Zeit später meine PPL in der Tasche hatte, gab es kein Halten mehr. Ich flog, was der Geldbeutel hergab, wurde Fluglehrer und machte die Berufspilotenlizenz. Endlich konnte ich fliegen, soviel ich wollte, und bekam sogar noch etwas Geld dafür!
Auf Konzertreisen nach Afrika charterte ich kleine Cessnas. Ich flog über Landschaften, die ich bis dahin nur aus Beschreibungen von Antoine de Saint-Exupéry oder Tania Blixen kannte. Ich merkte bald, dass Fliegen für mich viel mehr war als bloße Fortbewegung in der Luft. Es ist eine besondere Form der »Weltanschauung«.
Back to the roots mit der RLU-1 Breezy
Während der folgenden Jahre lernte ich, immer komplexere Flugzeuge zu fliegen. Irgendwann aber, nach vielen Jahren als Fluglehrer und Freelancer in der gewerblichen Fliegerei, besann ich mich darauf, was das Fliegen eigentlich für mich bedeutet. Ich wollte wieder »back to the roots«. Als ich dann im Internet über ein altes Schwarzweiß-Foto der ersten Breezy stolperte, wusste ich: Dieses Flugzeug will ich haben!
Anfang der sechziger Jahre fanden die befreundeten Piloten Charles Roloff, Robert Liposky and Carl Unger aus Chicago in der Ecke eines Hangars die Flügel einer PA-12. Sie beschlossen, daraus etwas zu bauen, was den ersten fliegenden Kisten der Luftfahrt ähneln sollte. Sie kauften einen Continental C-90 und schweißten munter drauflos.
Breezy fliegen ist wie nackt schwimmen
Die RLU-1 Breezy war natürlich der Hingucker auf allen Fly-ins. Die drei Erbauer, deren Initialen sich in der Typenbezeichnung wiederfinden, ließen bald Pläne für den Nachbau erstellen, mit Ausnahme der Tragfläche. Die muss man sich selber suchen. Geeignet sind auch Flügel der PA- 14, PA-18, J-3, J-4, J-5 und sogar Motorsegler-Flächen.
Im Sommer 2005 fliege ich nach Oshkosh, wo ich zum ersten Mal eine Breezy in natura sehe. Arnold Zimmerman, den ich im Internet kennengelernt hatte, nimmt mich in seiner Breezy mit und überlässt mir den hinteren Steuerknüppel. Ich bin total aufgekratzt und denke nur: Das ist ja noch viel besser, als ich es mir vorgestellt habe. Breezy fliegen ist wie nackt schwimmen!
RLU-1 Breezy: Kein Bausatzflugzeug
Wieder zurück in Deutschland fange ich erstmal an, den Rumpf zu bauen und nach Piper-Flächen zu suchen. Es vergehen Jahre, bis ich endlich meine Flügel habe. Sie lagen seit 1957 originalverpackt in einem Bundeswehr-Hangar und waren als Ersatzteile für die L-18C gebunkert, die Militärversion der PA-18. Die originale Bespannung ist natürlich spröde und muss durch Ceconite ersetzt werden. Innen sind die Flügel wie neu – Glück muss man haben.
Die Breezy ist kein Bausatzflugzeug; man muss jedes einzelne Rohr genau ablängen und die Enden sauber auf Passung angleichen, damit keine Lücken bleiben. Sonst verzieht sich das Gestell beim Schweißen. Bei rund 500 Rohren und Blechen kommt keine Langeweile auf. So habe ich vier Jahre Zeit, mir sämtliche Details des fertigen Fliegers vorzustellen und die entsprechenden Teile zu sammeln. Fürs Schweißen hefte ich alles zusammen, anschließend zieht Flugzeugbauer Roman Weller in Schwäbisch-Hall die Schweißnähte durch. Drei lange Sitzungen braucht er dazu.
Selbstbauprojekt dauert länger als geplant
Im Frühjahr 2010 darf ich meinen Rohbau auf der AERO am OUV-Stand ausstellen. Ich bin stolz wie Bolle und behaupte, bis zum Erstflug noch drei Jahre zu brauchen …
Nach und nach füllt sich mein Lager mit Cessna-Rädern und -Bremsen, Piper-Leitwerksteilen, Doppelsteuerung und Fußbremszylindern. Cockpitinstrumenten und Tausenden von Schrauben, Schläuchen, Beschlagteilen, Spezialwerkzeugen und was weiß ich nicht noch alles.
Mazda Motor ist die Lösung: RLU-1 Breezy
Als der vordere Teil des Rumpfs dann endlich fertig ist und ich ihn in die Garage trage, um ihn mit dem hinteren Teil zu verbinden, stellt sich raus, dass der neue Arbeitsplatz einen halben Meter zu kurz ist! Schon am nächsten Tag stehe ich mit einem Abbruchhammer im hinteren Teil der Garage. Ich hacke ein Riesenloch in die Rückwand.
Im Internet stoße ich zufällig auf Edy Schütz, der seine Breezy kurz zuvor mit einem Mazda-Wankelmotor aus dem RX-7 fertiggestellt hat. Damit erfüllt er die strengen Schweizer Lärmschutzforderungen. Ein Pusher erzeugt mit seinem Druckpropeller direkt hinter der Tragfläche mehr Lärm als nach den deutschen Vorschriften zulässig. Edys Motorsisierung könnte die Lösung sein.
Selbst bei hohen Drehzahlen standfester Motor
Ich fliege zum Flugplatz Speck bei Zürich, um mir seine Maschine anzuschauen. Selbstverständlich war ich sehr skeptisch mit meinem Halbwissen über Rotationskolbenmotoren, aber das Konzept und Edys Sachverstand räumen sämtliche Zweifel aus. Auch für meine Breezy ist das genau die richtige Wahl!
Weltweit fliegen etwa zweihundert dieser Motoren in Experimentals. Dank fehlender Nockenwellen und Ventile sind sie selbst bei hohen Drehzahlen unglaublich standfest. Mazda hat über eine Million dieser Motoren gebaut; die anfänglichen Probleme mit den Dichtleisten beim NSU Ro 80 sind schon lange Schnee von gestern.
RLU-1 Breezy: 1000 Extrastunden Bauzeit für Umrüstung
Die elektronische Motorsteuerung ist allerdings nicht redundant. Obwohl die Lufttüchtigkeitsforderungen für Experimentals diese Absicherung nicht vorschreiben, entscheide ich mich für ein redundantes Oldschool- System aus dem amerikanischen Rennsport. Außer dem Bratpfannendeckel aus unserer Küche, der den Luftfilter krönt, finde ich alle nötigen Teile in einem Hotrod-Shop in Chicago.
Die etwa tausend Stunden zusätzliche Bauzeit für die Umrüstung auf Weber-Rennvergaser und die Konstruktion der Doppelzündung sowie der Kühl- und Abgasanlage haben sich wirklich gelohnt. Der Motor läuft nahezu vibrationsfrei und rund wie eine Turbine.
Nichts versperrt die Sicht aus dem Cockpit
Die Soundmischung aus zweifacher Schalldämpfung und dem großen Catto-Propeller mit seinen Schuhkartonbreiten Blättern ist im Standgas so leise, dass man sich im offenen Cockpit ohne Intercom bequem unterhalten kann. Sobald man den Motor aber auf Startleistung bringt, ändert sich das gewaltig. Der Dreiblattprop beginnt zu singen wie eine riesige Basstuba, dezent begleitet von den angenehm gedämpften Arbeitstakten des Zweikammer-Wankels.
Mein Flugzeug hat zwei Bordnetze, um die Redundanz der doppelten Zündanlage zu gewährleisten. Die beiden Lichtmaschinen liefern genug Strom für Avionik, Harley-Davidson-Landescheinwerfer und elektrisch beheizte Kleidung für beide Sitze. Normalerweise ist eine Breezy ja total nackt, man sitzt völlig ungeschützt im Freien. Die niedrigen Cockpitwände und der Boden neben dem Pilotensitz sind aus Plexiglas. Nichts versperrt die Sicht, egal in welche Richtung man schaut. Das ist im Prinzip sehr schön, aber für mich waren andere Dinge wichtiger.
RLU-1 Breezy: Gegengewicht im Bug notwendig
Ich wusste, dass mein Triebwerk deutlich schwerer ist als ein Continental C90, wie er in der ersten Breezy verwendet wurde. Um mir Weight and Balance nicht zu verderben, brauchte ich also ein Gegengewicht im Bug. So sind beispielsweise die Batterien nach der Wägung auf die Reise von ganz hinten nach ganz vorne gegangen.
Zugegeben – das Instrumentenbrett ist der totale Overkill für eine Breezy. Aber es ist eine wertvolle Versicherung auf langen Flügen bei unerwartetem Postpiloten-Wetter. Es liefert deutlich mehr Informationen als stumpfer Bleiballast. Im Wesentlichen besteht das Panel aus den von mir schon immer geschätzten runden Uhren. Lediglich der Bootskompass musste oben auf die Haube, um ihn vor Störungen zu schützen. Selbstverständlich sind alle Instrumente beleuchtet.
Goldene Verzierungen am Flugzeug
Mein Freund Klaus Hoppe, ein Werbetechniker, baute eine wunderschöne Haube aus GFK. Er versah sie mit den von mir gewünschten Verzierungen. Zum Schriftzug war mein Wunsch: »Gerne so eine Typo wie bei Coca-Cola und irgendwie glitzernd, wie bei Autoscootern, in Gold oder so«. Er: »Also willst Du jetzt Gold oder nicht?« »Hast Du denn Gold?« »Klar!«
Er hatte noch einen Rest 24-Karat-Goldstaub von einem früheren Auftrag. Das Mädchen vorn rechts wurde von einem Poster abgescannt, die Wolken hat Klaus mit Airbrush gemalt. Hinterher noch Klarlack drüber – ist aalglatt und fühlt sich an wie eine Billardkugel.
Aufwendige Gutachtenerstellung: RLU-1 Breezy
Natürlich ist die Breezy ein Exot, das Ergebnis meines Projekts sieht aus wie die Hauptattraktion eines Kinderkarussells. Umso dankbarer bin ich, von den Gutachtern und Ingenieuren des LBA und vom Selbstbauerverband OUV, der mich tatkräftig unterstützt hat, überhaupt ernst genommen worden zu sein. Es wäre sicherlich einfacher gewesen, ein Kitplane zu bauen, von dem das LBA schon alle Unterlagen hat. Das erleichtert die Erstellung von Gutachten enorm.
Bei einem Nachbau nach Plänen sind die Änderungsmöglichkeiten überaus verlockend, aber auch ein Fluch. Glücklicherweise stellte mir Edy Schütz die Strukturberechnung seiner Breezy zur Verfügung. Sie war schon in der Schweiz anerkannt und wurde vom LBA akzeptiert. Der komplette Ausdruck ist so dick wie ein Telefonbuch, und ich verstehe keine einzige Zeile davon.
Selbstbauflugzeug fliegt gutmütig
Vor dem Erstflug konnte ich in den USA wertvolle Erfahrungen sammeln. Bei meinen Oshkosh-Besuchen ließ mich Arnie Zimmerman, der inzwischen ein Freund geworden war, täglich seine Breezy fliegen.
Bei meinem Flugzeug reagiert die Bugradlenkung ausgesprochen direkt auf Steuerbefehle. Wenn man Gas gibt, hat man schon am Boden das Gefühl, in einem Hotrod zu sitzen. Die D-EPCF rotiert sehr spät, sodass die Geschwindigkeit beim Abheben bereits fünf Knoten über Vx liegt. Leichtes Ziehen am Knüppel, und man kann zusehen, wie sich der Boden zügig nach unten wegbiegt. Erwartungsgemäß ist der Flieger recht gutmütig.
Fehlende Horizontreferenz: RLU-1 Breezy
Man muss sich wirklich erst an die fehlende Horizontreferenz gewöhnen, bevor man sich halbwegs sicher fühlt. Der Pilot hat fast das gesamte Flugzeug hinter sich. Einzig das sprichwörtliche Hosenbodengefühl lässt einen spüren, wie sich der Flieger unterm Hintern dreht. Durch das offene Rumpfgitter und die Bugverkleidung – hinten keine vertikale Rumpffläche, vorn dagegen schon – ist die Breezy bei Start und Landung recht unempfindlich gegenüber Seitenwind.
Ich konnte schon bis zu 15 Knoten problemlos erfliegen. Seiten- und Höhenruder wirken durch das direkt angeblasene Leitwerk angenehm direkt. Lediglich die Querrudersteuerung erinnert noch an die gute alte Super Cub.
Von den Alpen bis in die Lüneburger Heide
90 Prozent des Blickfelds bestehen aus Himmel und Erde. Fliegen pur wie Peter Pan, der unverwirbelte Fahrtwind ist bei der geringen Reisegeschwindigkeit sanft und gleichmäßig zu spüren. Wem das zu langweilig ist: Kurz andrücken, und sofort fühlt man sich im steilen Sinkflug bei 90 Knoten wie Superman.
Im vergangenen Sommer war ich zum ersten Mal mit Zelt und Schlafsack auf »Großer Fahrt« unterwegs. Es ging von den Schweizer Alpen bis in die Lüneburger Heide. Am Boden winken mir Menschen zu, nicht nur auf Flugplätzen. Die Kommentare während meiner Tankstopps reichten von »oh, ist die aber schön!« bis zu »geile Karre, Alter!«
RLU-1 Breezy: 14 Jahre Arbeit
Nie zuvor habe ich die Landschaft unter mir so hautnah vorbeiziehen gesehen. Wenn ich am frühen Morgen unterwegs bin, der Nebel in den Tälern sich langsam auflöst und ich durch tiefen Drei-Achtel-Stratus steige, möchte ich am liebsten die Wolken anfassen. Aber man darf sie ja leider nicht berühren. Dafür riecht man das frisch gemähte Heu und jedes Lagerfeuer. Manchmal kommen Greifvögel bis auf wenige Meter heran und schauen neugierig zu mir rüber.
Der Bau dieser Flugmaschine hat vierzehn Jahre gedauert und war die kreativste Aufgabe meines Lebens. Ich durfte in dieser Zeit viel lernen und bleibende Freundschaften schließen.
TEXT CARL-FRIEDRICH SCHMIDT FOTOS JEAN-MARIE URLACHER
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