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Rettungssystem im Flugzeug: Zwei Cirrus-Unfälle mit Fallschirm
Zwei Cirrus-Unfälle belegen, welchen enormen Sicherheitsgewinn Gesamtrettungssysteme bringen können, wie sie in Deutschland für ULs vorgeschrieben sind. Der Pilot muss sie nur rechtzeitig einsetzen
Nach wie vor sind die Cirrus-Modelle SR20 und SR22 die einzigen E-Klasse-Flugzeuge mit serienmäßig eingebautem Gesamtrettungssystem. Dennoch ist gerade in Deutschland die Zahl der Luftfahrzeuge mit Fallschirm an Bord sehr hoch: Für ULs ist diese Ausstattung hierzulande nämlich vorgeschrieben. Doch immer noch bleibt nach vielen Unfällen die traurige Frage, warum der Pilot das System nicht ausgelöst hat. Zwei typische Unfallszenarien der Allgemeinen Luftfahrt zeigen, wie die Insassen dank Fallschirm unverletzt davon kommen konnten: bei Motorversagen und nach Einflug in IMC.
Der Fall von Richard McGlaughlin ist schnell erzählt, auch wenn die Unfalluntersuchung noch nicht abgeschlossen ist: Am 7. Januar 2012 ist der Arzt mit seiner Tochter Elaine in 9500 Fuß Höhe auf dem Weg von Florida nach Haiti, wo er freiwillig medizinische Hilfsarbeit leistet. Nahe der Bahamas-Insel Andros Island verliert seine SR22 innerhalb weniger Minuten den Öldruck. 17 Knoten Fallgeschwindigkeit am Schirm statt 60 Knoten Speed beim Aufsetzen – die Entscheidung für weniger Aufprallenergie hatte McGlaughlin schon lange vorher bei theoretischen Notfallüberlegungen getroffen. Nun bleibt tatsächlich der Motor stehen.
Motorausfall über den Bahamas: Pilot der SR22 löst den Fallschirm aus
Der Pilot setzt einen Notruf ab und löst in 2300 Fuß Höhe das Rettungssystem aus. Nach dem Aufprall im warmen Wasser verlässt er mit seiner Tochter das Cockpit und bläst seine Rettungsinsel auf. Der riesige Fallschirm bleibt vom Wind gefüllt, die Maschine versinkt nicht. Die beiden halten sich an den Leinen des Schirms fest – eine weise Entscheidung, denn die Besatzung des nahenden U.S.-Coast-Guard-Helikopters erkennt die rot-weiße Kappe schon aus acht Meilen Entfernung. McGlaughlin findet sogar Zeit, Fotos zu machen. Erst zur Bergung lassen sich die beiden vom Leinengewirr des Fallschirms wegtreiben. Das Flugzeug wird später 25 Meilen entfernt gefunden und geborgen, der Motorschaden soll analysiert werden.
Ein ganz anderes Szenario spielt sich am 28. Mai 2010 in Südnorwegen ab. Vor Monaten hat ein Pilot in Stavanger mit drei Freunden einen Ausflug nach Oslo verabredet. An diesem Freitag soll es losgehen, am Sonntag ist ein Konzertbesuch geplant. Der Pilot hat eine VFR-Berechtigung; er fliegt eine Cirrus SRV, die nur für VFR-Flüge zugelassene Variante der SR20. Etwa 50mal ist er diese 70 Minuten dauernde Strecke schon geflogen. Am Vormittag hat sich der Pilot im Internet über die Wetterentwicklung informiert. Die Luft ist labil geschichtet, mit Gefahr von Cumulonimben und Gewitterschauern. Ein Telefonat mit einem Freund an der Südküste ergibt, dass dort schon Gewitter stehen. Der Pilot entscheidet sich daher für den direkten Kurs über das Bergland. Drei altbekannte Unfallfaktoren vereinen sich: viel Druck, den Flug durchzuführen; eine vertraute Route, auf der es bisher immer geklappt hat; dazu kritisches Wetter.
Südnorwegen: Cirrus SR20 mit VFR-Flug im Schlechtwetter
Um 18.40 Uhr hebt der Tiefdecker von der Piste in Stavanger-Sola ab und geht auf Ostkurs. Die Cirrus steigt bis auf 6000 Fuß. Auf Reiseflughöhe entwickeln sich jedoch in Flugrichtung bereits Wolken. Der Pilot entschließt sich zum Flug über der Wolkendecke und bittet um 19.01 Uhr, auf FL90 steigen zu dürfen. Aber auch dort lassen sich die Wolken nicht abschütteln. Die Cirrus fliegt jetzt durch eine Art Wolkental, die grauen Schleier türmen sich bis 500 Fuß unter der Maschine und auf beiden Seiten, nach vorn ist die Sicht noch gut. Nach wenigen Minuten on top quellen die Wolken jedoch immer höher. Schließlich bauen sich auch vor dem Cockpit Wolkenberge auf. Der Pilot sucht deshalb sein Heil in einer Umkehrkurve. Da aber die Gefahr besteht, beim Drehen für kurze Zeit in die Wolken zu geraten, fliegt er den Turn per Autopilot – ganz so, wie es auch das Handbuch bei unbeabsichtigtem Wolkeneinflug empfiehlt.
Nach etwa einem Drittel der 180-Grad-Kurve taucht der Tiefdecker in die Wolken ein. Durch einen langsamen Sinkflug per Autopilot versucht der Pilot nun, so schnell wie möglich wieder aus dem Grau herauszukommen. Der Plan misslingt. Innerhalb von 15 Sekunden bildet sich eine bis zu fünf Zentimeter dicke Eisschicht auf Frontscheibe und Tragflächennase. Zudem wird die Cirrus jetzt von schweren Turbulenzen durchgeschüttelt: Die Maschine ist in einen Schneesturm geraten. Das Pitot-Statik-System fällt aus – vermutlich hat der Pilot die Pitot-Heizung zu spät aktiviert. Aber es kommt noch schlimmer: Das Glascockpit meldet vermutlich aufgrund der Vereisung einen Stall, worauf sich der Autopilot deaktiviert. Statt Speed und Höhe zeigt das Glascockpit nur rote Kreuze, immerhin funktioniert der Künstliche Horizont.
Wolkeneinflug der SR20: Keine Chance für VFR-Piloten
Als Sichtflieger ist der Cirrus-Pilot mit der Situation hoffnungslos überfordert. Er verliert die Orientierung und die Kontrolle über sein Flugzeug. Vertigo! Die Cirrus taumelt fast eine Minute durch das Grau, stallt, erreicht bei einer VNE von 200 eine Speed von 250 Knoten und eine Querneigung von 120 Grad – all das verrät später der Datenspeicher des Glascockpits. Dann sieht der Pilot plötzlich durchs Seitenfenster das bergige Gelände. Erst jetzt trifft er die einzig richtige Entscheidung: Er aktiviert das Rettungssystem. Sieben Sekunden später hängt das Flugzeug am Schirm.
Beim Aufprall auf einem Berghang wird das Flugzeug schwer beschädigt, doch alle Insassen steigen unverletzt aus. Nur 45 Minuten später landet ein Sea-King-Rettungshubschrauber unweit der Cirrus und nimmt die Havarierten auf. Die Radar-Controller hatten den erratischen Flug der Cirrus und den Verlust des Radarechos verfolgt und fürchteten das Schlimmste. Gerade als das Telefon klingelt und jemand von der Rettung berichtet, findet einer der Lotsen im Internet ein Video, in dem eine Cirrus am Fallschirm hängend zu sehen ist. Dass es so etwas gibt, war ihnen bis dahin unbekannt.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin, 4/2012
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