Praxis-Tipps für das Fliegen im Winter
Wetter, Landschaftsbild, Flugvorbereitung und -betrieb: Fliegen im Winter ist anders als in wärmeren Jahreszeiten. Kein Grund zur Pause! Man muss sich nur auf die Besonderheiten einstellen.
„Das lohnt sich doch nicht!“ Wirklich? Zugegeben – wer im Winter fliegen will, muss ein bisschen mehr Aufwand in Kauf nehmen als in wärmeren Jahreszeiten und auf Dinge achten, die sonst keine Rolle spielen. Aber was für eine Belohnung: der Blick aus dem Cockpit auf eine verschneite Landschaft, ruhige Luft, weil keine Erwärmung des Untergrunds Turbulenz erzeugt, dazu die vorzügliche Motor- und Steigleistung in der dichten Luft!
Bei der Flugvorbereitung ist das Wettergeschehen wie im Sommer auf mögliche Veränderungen hin zu analysieren, im Winter sind manche aber folgenreicher. Eine Kaltfront bei moderaten Temperaturen, begleitet von Regenschauern, mag immer noch Flüge nach Sicht ermöglichen. In einem Schneeschauer hingegen ist sie schlagartig weg. Unterkühlter Regen richtet direkt Schaden an: Wenn die großen Tropfen aus Cumuluswolken bei null bis minus 10 Grad Celsius an der Flugzeugoberfläche gefrieren, bildet sich Klareis, das die Außenhaut überzieht. Darunter leiden sowohl die
Flugeigenschaften als auch die Performance: Der Widerstand nimmt zu, der Auftrieb ab, und die Stallspeed erhöht sich.
Fliegen im Winter bringt neue Gefahren mit sich
Auch Regen aus Schichtwolken, im Sommer harmlos, birgt im Winter Gefahr. Bei minus 5 bis minus 20 Grad lassen die kleinen unterkühlten Wassertröpfchen an den Stirnseiten des Flugzeugs Raueis in die Strömung wachsen. Besonders kritisch ist das an den Profilnasen von Tragfläche und Leitwerk. Die gestörte Aerodynamik beeinträchtigt nicht nur den Auftrieb, sondern kann auch die Lastigkeit ändern.
Muss man Wetterphänomene umfliegen, nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, sein Ziel nicht zu erreichen. Umso wichtiger sind Ausweichplätze und Reserven, sowohl was den Kraftstoffvorrat betrifft als auch die nutzbare Tageszeit – die im Winter eh kürzer ist.
Worst Case: Unbedingt Notfallausrüstung einpacken!
Für den worst case, bei einer Außenlandung, sollte Notfallausrüstung an Bord sein, um sich am Boden gegen Schnee und Kälte schützen zu können. Wie gut die Cockpitheizung ist, darf nicht über die Kleidung entscheiden, die wir mitnehmen.
Am Flugplatz ist für die Vorbereitung eines Flugs im Winter mehr Zeit einzuplanen als im Sommer, vor allem, wenn die Maschine draußen steht. Die gesamte Außenhaut muss von Schnee, Eis und Reif befreit werden. Allenfalls Partien, die weder Auf- noch Abtrieb erzeugen, dürfen mit einer dünnen Reifschicht bedeckt sein. Es ist ja nicht wie beim Auto, wo die Laufflächen der Reifen der einzige Kontakt zu dem Medium sind, das bei der Fortbewegung maßgeblich ist (sieht man von der Bedeutung der Aerodynamik bei höheren Geschwindigkeiten mal ab). Ein Flugzeug ist in dieser Hinsicht wie ein U-Boot – die gesamte Oberfläche zählt, alles wird umströmt, und von der Strömung hängt alles ab, was ein Flugzeug zum Flugzeug macht: Auftrieb, Widerstand, dynamische Stabilität, Steuerbarkeit, nutzbarer Anstellwinkelbereich und das Verhalten beim Überschreiten von Betriebsgrenzen.
Vorsichtig säubern: Eisscharber können den Lack ruinieren
Weiche Handbesen und Frotteehandtücher eignen sich, um die unerwünschte „Beschichtung“ loszuwerden, Eisschaber können den Lack ruinieren. Vorsicht bei der Verglasung: Hier muss man besonders behutsam vorgehen, um Kratzer zu vermeiden. TKS-Flüssigkeit, wie sie auch in Enteisungsanlagen verwendet wird, hat sich bewährt. Abtaumittel fürs Auto zerstören eventuell die Verglasung. An Ruder- und Klappenspalten ist darauf zu achten, dass Schnee und Eis nicht in Bereiche gelangt, wo etwas blockiert werden kann – auch wenn Tauwasser wieder gefriert. Also immer von den Spalten wegwischen. Die feinen Öffnungen in Staurohr und statischer Druckabnahme sind besonders sorgfältig zu säubern. Wer die Möglichkeit hat, das Flugzeug in einen beheizten Hangar zu schieben, spart sich Arbeit. Die Morgensonne leistet eventuell Ähnliches, doch beides kostet Zeit.
Damit die Maschine beim Anlassen nicht wegrutscht, stellt man sie auf einen schnee- und eisfreien Untergrund. Vor dem Propeller darf nichts rumliegen – die Luftschraube saugt Eisstücke und losen Schnee an, was ihr nicht guttut.
Startprobleme: Ab unter minus sechs Grad sollte man den Motor vorheizen
Dickes Motoröl und eine schwächelnde Batterie sind Handicaps beim Anlassen. Spätestens unter minus sechs Grad sollte man einen Flugmotor vorheizen. Ein Gebläse, das Warmluft durch Schläuche in die Cowling leitet, macht das Öl dünnflüssiger. Wenn die Batterie vollständig leer ist, kann das Triebwerk zwar mit Hilfe einer externen Stromquelle gestartet werden, doch die Versorgung der elektrischen Systeme ist damit nicht gewährleistet: Sie benötigen eine Mindestspannung, ohne die der Alternator die Batterie nicht lädt. Wird im Winter länger nicht geflogen, baut man sie besser aus, lagert sie im Warmen und hängt sie an ein Automatik-Ladegerät.
Wenn bei vergeblichen Anlassversuchen zu viel Benzin eingespritzt wird – in der Hoffnung, der Motor startet so eher –, kann ein Vergaserbrand entstehen. Kraftstoff, der sich im Vergaser entzündet, ist meist an verdampfenden Ölresten im Motorraum zu erkennen. Dann zieht man sofort den Gemischhebel, was die Spritzufuhr unterbricht, und betätigt weiter den Anlasser, damit die Flammen in den Motor gesaugt werden. Dort erhalten sie keinen Nachschub.
Bei zu viel Bremseinsatz kann das Flugzeug ins rutschen geraten
Auf dem Weg zur Piste empfiehlt sich langsames Rollen. Die Bremsen sollten möglichst nicht zum Einsatz kommen – das Flugzeug könnte wegrutschen und mit Hindernissen kollidieren. Tiefdecker sind in dieser Hinsicht besonders gefährdet; die Bodenfreiheit unterm Flügel ist eventuell zu gering, um Schneeverwehungen oder aufgehäuften Schnee passieren zu können, der vom Räumfahrzeug zur Seite geschoben wurde.
Auf der Piste wählt man nach Möglichkeit eine Spur, die beiden Haupträdern den gleichen Untergrund bietet. Schnee- oder eisbedeckte Stellen, dazwischen Gras, Matsch oder blanker Asphalt – da kommt schnell Unruhe um die Hochachse auf, bis hin zur Ausbrechtendenz, wenn am linken und am rechten Rad unterschiedlich viel Widerstand entsteht. Ist die Führung von Bug- und Spornrad auf Glätte beeinträchtigt, müssen auch die Antriebseffekte besser kontrolliert werden, damit das Flugzeug geradeaus beschleunigt. Vorsichtig Gas geben hilft.
Änderung der Startstrecke: Das Flughandbuch kann Aufschluss geben
Sofern das Flughandbuch keine Auskunft darüber gibt, wie sich die Startstrecke je nach Untergrund ändert, gelten gegenüber einer Hartbelagpiste folgende Aufschläge: 25 Prozent bei Pulverschnee (bis acht Zentimeter dick), 30 Prozent bei stehendem Wasser, großen Pfützen und Schneematsch (maximal ein Zentimeter), 50 Prozent bei normal-feuchtem Schnee (maximal fünf Zentimeter). Entsprechend verschiebt sich auch die Stelle, an der ein Startabbruch unumgänglich ist.
Nach dem Start lässt man bei einem Flugzeug mit Einziehfahrwerk die Räder (ungebremst) so lange draußen, bis alle Anhaftungen weggeschleudert sind. Schnee und Eis können im Fahrwerksschacht Schaden anrichten, Sensoren und Mikroschalter für die Fahrwerksanzeige durch Spritzwasser oder festgefrorenes Eis ihre Funktion verlieren.
Bei Minusgraden meiden selbst IFR-Piloten Gebiete mit sichtbarer Feuchtigkeit: Nebel, Wolken, unterkühlter Regen oder Schnee – auch wenn mit Enteisungsanlage und „Fluchtplan“ wärmere Regionen erreichbar sind. Umso mehr gilt es bei VFR-Flügen, Eisansatz zu entgehen. Kann man die Vorderkanten von Flügel und Leitwerk nicht sehen, ist ein Blick auf Flügelstreben oder den Stab des Außentemperatursensors hilfreich, um Vereisung zu erkennen.
Fliegen im Winter: Der Vergaser vereist zuerst
Bevor Zelle, Ruder oder Propeller vereisen, dürfte allerdings der Motor schwächeln – wegen Vergaservereisung. Sie droht in feuchter Luft schon bei 15 Grad Celsius Außentemperatur. Ursache ist der Unterdruck im Ansaugtrakt, der dort die Temperatur weiter senkt. Läuft der Motor bei nasskaltem Wetter ohne erkennbaren Grund unrund, verliert er Drehzahl (mit Festpropeller) oder sinkt der Ladedruck (mit Constant-Speed-Propeller), ist sofort die Vergaservorwärmung zu ziehen. Vorbeugend kann man sie etwa alle 30 Minuten betätigen. Dabei zeigt sich, ob Eis bereits den Ansaugtrakt verengt: wenn die Drehzahl oder der Ladedruckt trotz Vorwärmung nicht abfällt – weil das unbemerkt schon passiert ist. Muss die Vergaservorwärmung permanent eingeschaltet bleiben, sollte man das Gemisch abmagern, damit weniger Leistung verloren geht.
In Zeiten von GPS ist der ständige Vergleich von Landschafts- und Kartenbild für die Navigation zwar nicht mehr so wichtig. Dennoch fallen im Winter Positionsbestimmungen und navigatorische Ent-
scheidungen schwerer, denn häufig irritiert der Blick nach draußen: Vertraute Wegmarken und Landschaftsmerkmale sind unterm Schnee verschwunden, Seen und Flüsse eventuell zugefroren, Bahnlinien und Straßen schlechter erkennbar. Kritisch wird’s, wenn sich Hindernisse nicht vom Hintergrund abheben. Die Wahrnehmung kann täuschen, deshalb ist die Kontrolle von Flughöhe und Geländeabstand besonders wichtig.
Seitenwindkomponente: Die Pistenbeschaffenheit spielt eine wesentliche Rolle
Bei der Landung spielt die Pistenbeschaffenheit eine entscheidende Rolle. Schnee reduziert die zulässige Seitenwindkomponente um die Hälfte, auf Eis beträgt sie nur noch ein Drittel. Auch davon hängt die Wahl des Zielflugplatzes ab. Selbst wenn man vor dem Start geklärt hat, ob er angeflogen werden kann, interessiert beim Erstanruf aus der Luft auch der Zustand der Piste.
Im Landeanflug fällt die Höhenabschätzung über einer homogenen weißen Fläche schwer. Referenzpunkte helfen, etwa Gebäude, Fahrzeuge oder Personen nahe der Bahn. Bei Seitenwind stellt sich Tiefdeckerpiloten die Frage, ob „low wing“ dazu führt, dass das Flügelende im Schnee hängenbleibt. Mehr Bodenfreiheit oder schiebefrei aufsetzen? In turbulenter Luft ist Bodenfreiheit jedenfalls wichtiger als in ruhiger.
Aufsetzpunkt: Reifen verlieren auf Glätte schnell ihren Grip
Der Aufsetzpunkt hängt von der Griffigkeit des Untergrunds und seiner Homogenität ab. Ragen irgendwo Schneezungen in die Piste? Sind Pfützen erkennbar? Wie beim Start sollte man vermeiden, dass die Haupträder unterschiedlich stark abgebremst werden, damit das Flugzeug nicht seitlich ausschert. Ruder behalten ihren „Grip“, solange sie schnell genug angeströmt werden, Reifen verlieren ihn auf Glätte.
Auch deshalb darf der Aufsetzpunkt nicht so kalkuliert werden, dass man auf die Bremsen angewiesen ist. Aufsetzen mit Mindestfahrt, Bugrad lange in der Luft halten – so ist der aerodynamische Widerstand am größten und die Rollstrecke am kürzesten. Besteht allerdings der Verdacht, dass sich am Höhenleitwerk Schnee oder Eis festgesetzt hat – beim Start von den Rädern dorthin geschleudert? –, darf nicht mit Mindestfahrt gelandet werden: Am Leitwerk könnte die Strömung verfrüht abreißen. Ob die Stallspeed gestiegen ist, lässt sich in großer Höhe herausfinden.
Plötzliche Gierbewegungen: Die Landung ist erst zu Ende, wenn das Flugzeug abgestellt ist.
Am Boden gilt im Winter generell, was sonst nur auf Taildragger zutrifft: Die Landung ist erst zu Ende, wenn das Flugzeug abgestellt ist. Also jederzeit mit Gierbewegungen rechnen, frühzeitig und wohldosiert mit den Pedalen korrigieren, feinfühlig bremsen. Und natürlich auf seitliche Hindernisse achten, wenn’s zwischen aufgehäuftem Schnee zum Hangar geht. Dort sollte man Matsch und Spritzwasser beseitigen, damit nichts anfrieren kann. Und der nächste Winterflug weniger aufwändig ist.
Text: Peter Wolter, Zeichnungen: Helmuth Mauch, Illustrationen: Eric Kutschke fliegermagazin 01/2022
Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.
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