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Sichtverlust beim VFR-Flug
Was tun, wenn die Sicht schwindet? Sie haben alles richtig gemacht: Die Flugplanung ist komplett, auch der Wetterbericht klang beruhigend. Doch nun ist alles anders: Sichtverlust
„Was machst du eigentlich bei Regen? Hast du auch Scheibenwischer? Und was ist, wenn du mal in die Wolken fliegst? Siehst du dann noch was?“
Wer interessierten Laien im Freundeskreis von seiner Leidenschaft erzählt, bekommt oft solche Fragen gestellt. Fein raus ist, wer die Instrumentenflug-Berechtigung besitzt. Dann darf man sich entspannt zurücklehnen und kann lässig sagen: „Alles kein Problem!“ Es muss ja keiner wissen, dass es so einfach nun auch wieder nicht ist, ohne Sicht nach draußen durch die Luft zu reisen, und dass ein Pilot dafür lange büffeln und viel Geld bezahlen muss.
Gewissenhafte VFR-Piloten haben dagegen nur eine einzige, richtige Antwort zu bieten, die vielleicht nicht ganz so aufregend klingt: „Ich fliege nach Sicht, und das heißt, dass mir so etwas erst gar nicht passieren darf. Im Zweifel bleibe ich am Boden.“ Damit wäre die Sache mit dem „Blindflug“ durch schlechtes Wetter auch schon erledigt. Oder?
In der Theorie schon, denn es ist ja als ordentlicher VFR-Pilot schlichtweg unmöglich, sich „vom schlechten Wetter überraschen“ zu lassen. Zur Flugplanung gehört schließlich das sorgfältige Überprüfen der Wetterlage, und deswegen gibt es in der Luft gar keine Überraschungen, denn entweder ist das Wetter fliegbar – oder eben nicht. Wenn es dennoch passiert, dass im Flug die Sichtweite schwindet, dann hat man es sich ganz offensichtlich mit der Flugvorbereitung zu einfach gemacht.
Doch was nutzt die Einsicht, zu locker mit dem Wetter-Check umgegangen zu sein, wenn sich vor einem dunkle Wolken auftürmen und auch der Weg zurück versperrt ist? Und hat man denn nicht alles richtig gemacht, den GAFOR-Bericht besorgt, verstanden und das Flugwetter für gut befunden? Was kann ein Pilot denn dafür, dass sich das Wettergeschehen auf einmal ganz anders entwickelt?
Um Sichtverlust zu vermeiden, muss man Wetterdienste richtig nutzen
Gewissenhafte Piloten verlassen sich nicht nur auf eine einzige Quelle, sondern nutzen mehrere Angebote. Je weiter die geplante Flugstrecke ist, umso gründlicher muss die Analyse der Daten sein. Dabei sind längst nicht alle brauchbaren Angebote kostenpflichtig, doch verlangen sie alle eine gewisse Einarbeitungszeit und auch Verständnis für das Wettergeschehen. Fünf Minuten vor dem Start ist das natürlich nicht mehr zu schaffen, also beschäftigen Sie sich besser vorher in aller Ruhe mit diesem Thema – und es findet sich bestimmt auch jemand, der Ihnen beim Umgang mit Wetterdaten helfen kann, falls das in der Pilotenausbildung Gelernte zu tief verschüttet sein sollte.
Wetterdienste
- Wetterdaten von 4000 Flugplätzen in Europa mit METAR / TAF (kostenfrei) www.allmetsat.com
- Umfassende Website mit vielen Spezialkarten, unter anderem auch Vorhersagen für neun Tage (kostenfrei) www.wetterzentrale.de
- Abo-Service für Flugwetterkarten für ganz Europa, auch mit Mobiltelefon abrufbar und mit flexiblen Preismodellen ab 9 Cent pro Einzelkarte www.wetter-jetzt.de
- Flugwetter vom Deutschen Wetterdienst (kostenpflichtig, ab 79,50 Euro/Jahr; spezielles Log-in für Handys und PDAs) www.flugwetter.de
- Weltweites Wetter mit allen relevanten Diensten und Infos wie METAR, TAF, Sigmet, mit Satellitenkarten und Radarbildern (kostenfrei) www.baseops.de
Wenn nun aber die Dinge anders laufen als in der Theorie, das Unmögliche dennoch eintritt, und der Einflug in Instrument Meteological Conditions (IMC) droht: Was ist dann zu tun?
Als VFR-Flieger hilft bei Sichtverlust nur: Ausweichen oder Umkehren
Die allererste Option: Ausweichen oder umkehren. Bloß nicht stur weiterfliegen. Das klingt einfach, ist in der Realität jedoch eine psychologische Hürde, die man nicht unterschätzen sollte. Gründe fürs Zögern gibt es viele: Sie möchten den Zielort unbedingt erreichen, weil Sie zu einer bestimmten Zeit erwartet werden oder weil Sie es Ihren Mitfliegern versprochen haben.
Amerikaner nennen diese Krankheit „Get-Home-itis“. Ein verständliches Bestreben, denn wenn Sie Ihr Vorhaben abbrechen, müssen Sie unbestimmte Zeit am Boden warten, sich vielleicht ein Auto mieten oder ein Hotelzimmer nehmen. Sie fliegen ein Charterflugzeug und haben keine Lust auf Diskussionen über Ausfallzeiten, falls die Maschine wetterbedingt an einem anderen Flugplatz stehenbleiben muss. Sie verlieren Zeit und Geld, das möchten Sie nicht. Alles nachvollziehbar.
Doch was ist besser? Ist eine Bruchlandung nicht teurer als ein Leihwagen? Sind unzufriedene Passagiere nicht eher zu ertragen als die Vorstellung, der Stoff für die nächste „Unfallakte“ zu sein? Sind ein Termin, ein wartender Freund oder ein nörgelnder Vercharterer es wert, das Flugzeug, Ihre Gesundheit und Ihr Leben aufs Spiel zu setzen?
Ohne den Instrumentenflug beträgt die statistische Überlebenschance bei Sichtverlust 180 Sekunden
Antworten auf diese Fragen sollten Sie am besten mal am Boden durchgespielt haben, denn in der Luft bleibt dafür nicht viel Zeit. Wenn Sie erst im Dunst über einem Waldgebiet oder in tief hängenden Wolken sind, lässt der Orientierungsverlust nicht mehr lange auf sich warten: Ohne IFR-Avionik und vor allem ohne Ausbildung für den Instrumentenflug beträgt die statistische Überlebenschance 180 Sekunden – ohne Sicht wissen Sie nicht mehr, wo oben und unten, rechts und links ist.
Lassen Sie es erst gar nicht so weit kommen, entscheiden Sie rechtzeitig, handeln Sie schnell – kehren Sie um, weichen Sie dorthin aus, wo bessere Sichten zu erwarten sind, fliegen Sie den nächsten Flugplatz an, und warten Sie darauf, dass sich die Lage bessert.
Niemals stur weiterfliegen bei Sichtverlust
Und wenn das alles nicht mehr geht, und auch der Rückweg versperrt ist? Machen Sie eine Außenlandung, oder lösen Sie das Rettungssystem aus, falls Sie eins haben. Im letzten Sommer noch konnte sich über Köln ein UL-Pilot auf diese Weise retten, als er nach dem Einflug in IMC die Orientierung verlor.
Hüten Sie sich vor der verführerischen Möglichkeit, nach oben durch die Wolken zu steigen, in der Hoffnung, dann schnell wieder den Horizont zu sehen und ganz sicher auf ein Loch in der Wolkendecke zu stoßen. Die Risiken sind groß. Beispielsweise wissen Sie gar nicht, wie hoch Sie dafür steigen müssen: Die Wolkenobergrenze kann für Ihr Luftfahrzeug unerreichbar sein. Noch dazu gibt es keine Garantie dafür, überhaupt ein Loch für den Abstieg zu finden, wenn Ihnen das Manöver geglückt sein sollte.
Ohne fremde Hilfe kommen Sie dann nicht mehr gefahrlos runter, denn Sie haben wahrscheinlich keine Gewissheit darüber, was sich unter der Wolkendecke verbirgt: Berge, Hügelketten, Funktürme, Stromleitungen, Windräder? Die reinste Lotterie.
Doch es muss nicht mal so dick kommen, um den Stress im Cockpit schlagartig zu steigern. Marginale Sichtverhältnisse, die Sie zum gerade noch legalen Tiefflug zwingen, haben genug Potenzial, um Sie rasch an Ihre Grenzen zu bringen. In geringer Höhe bleibt Ihnen weniger Zeit, um markante Landschaftsmerkmale zu identifizieren, die Sie für die sichere Navigation brauchen.
Aus 4000 Fuß Höhe können Sie sich beinahe alle Zeit der Welt nehmen, um Flüsse, Autobahnen und Städte zweifelsfrei zu erkennen – wichtig ist das vor allem, wenn es sich um Ihre in der Flugplanung festgelegten Auffanglinien handelt. Stellen Sie sich das in 1000 Fuß Höhe oder tiefer vor, während Sie dabei noch versuchen, Wolkenfetzen und Dunstschleiern auszuweichen, um nicht auch noch die letzte Bodensicht zu verlieren.
GPS-Empfänger sich wichtige elektronische Helfer bei Sichtverlust
Eine wichtige Hilfe sind GPS-Empfänger; die moderneren Geräte haben oft sogar eine Anzeige mit dem Höhenprofil der Umgebung und schlagen Alarm, wenn die Route zu tief ins Gelände geht. Doch man muss sie zu bedienen wissen, und wer erst während des Flugs und unter Anspannung damit anfängt, hektisch durch selten benutzte Seiten und Menüs zu blättern, vernachlässigt eine der elementarsten Grundregeln in schwierigen Situationen: „Fly the Aircraft“, flieg das Flugzeug!
Hundertprozentigen Schutz vor dem „Verfranzen“ bieten auch GPS-Geräte nicht. Wie alle anderen technischen Systeme können Sie ausfallen oder ungenaue Daten liefern, wenn der Satellitenempfang schlecht ist. Nicht jedes Flugzeug hat den passenden Stromanschluss, doch können die meisten portablen Geräte auch mit Akkus oder Batterien betrieben werden. Sehr unangenehm nur, wenn diese schlapp machen und der Bildschirm plötzlich dunkel wird. Auch muss die Datenbank regelmäßig aktualisiert werden, sonst nutzt das teuerste Gerät wenig.
Die klassische Funknavigation hat ebenfalls ihre Tücken und kann versagen, wenn umliegende Berge oder Hügel das Signal abschatten: Bei zu geringer Höhe verschwindet die Anzeige des VOR-Empfängers dann im „OFF“. Ein Ruf nach Radarunterstützung über INFO oder bei militärischen ATCs auf 122.10 Megahertz ist im Notfall keine Blamage und kann zumindest bei der Positionsbestimmung helfen.
Unter den Radarlotsen – ob zivil oder militärisch – sind oft auch Piloten, und die können sich sehr gut in Ihre Lage versetzen. Die Anweisungen kommen dementsprechend in ruhiger und sachlicher Tonlage, was zur Entspannung der Atmosphäre im Cockpit beiträgt. Dazu müssen Sie natürlich wissen, wen Sie auf welcher Frequenz rufen: Auch das ist ein Punkt, der bei der Flugvorbereitung nicht leichtfertig abgetan werden darf.
Vor lauter Stress das Wichtigste nicht vergessen: das Flugzeug muss geflogen werden!
Losgelöst von allen nötigen Formalitäten sollten Sie beim Fliegen immer darauf achten, wie sich die Welt da draußen meteorologisch verändert, und ob Ihr sorgfältig ausgearbeiteter Plan noch funktioniert. Zögern Sie nicht, diesen Plan zu verwerfen und Alternativen zu folgen, wenn das Wetter Sie dazu zwingt. Das ist nicht etwa inkonsequent oder ängstlich, sondern zeigt Ihre Lern- und Anpassungsfähigkeit. Und das sind schließlich diejenigen Eigenschaften, die es uns überhaupt erst möglich gemacht haben, in Maschinen durch die Luft zu reisen.
Text: Helmut Mauch, fliegermagazin 05/2009
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