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Notwasserung mit dem Kleinflugzeug
Frauen und Kinder zuerst!
Im Kleinflugzeug kommt diese Regel wohl eher selten zur Anwendung – aber dafür gibt es jede Menge andere wichtige Tipps für Wasserlandungen und Notwasserungen
Eigentlich sollte es mit unserer Piper PA-28 von Valencia zurück nach Hamburg gehen. Aber wir hatten einen Tag mehr Zeit als gedacht. Also doch noch ein Abstecher nach Mallorca? Das bedeutet 150 Nautische Meilen Wasser.
Stirbt der einzige Motor auf halber Strecke, müssten wir 40 000 Fuß hoch sein, um die nächste Küste im Segelflug zu erreichen. Eine Wasserlandung der Archer mit ihrem festen Fahrwerk, so waren wir damals sicher, bedeutet: Überschlag. Zu viert über Kopf aus einem sinkenden Flugzeug, und nur eine Tür? Wir haben gekniffen.
Überschläge mit Kleinflugzeugen bei Notwasserungen sind selten
Heute sind wir schlauer. Viele Mythen ranken sich um Wasserlandungen mit Kleinflugzeugen – fast alle sind falsch. Überschläge sind extrem selten; bei Notwasserungen sind die Überlebenschancen exzellent und vor allem für Tief- und Hochdecker praktisch gleich; Flugzeuge schwimmen erstaunlich lange.
Eine amerikanische Untersuchung von 179 Notwasserungen über acht Jahre hinweg hat ergeben, dass 88 Prozent ohne Verlust eines Menschenlebens verliefen. Mehr noch: In 92 Prozent der Fälle kamen zumindest einige der Insassen aus dem Flugzeug ins Wasser, auch wenn sie dann nicht rechtzeitig gerettet werden konnten.
Rettungswesten oder -Inseln werden erst außerhalb des Fliegers aufgeblasen
Mit einer soliden Vorbereitung kann man die Erfolgsaussichten deutlich steigern. Die beginnt weit vor dem Trip, selbst für Flüge in Küstennähe. Denn auch geübte Schwimmer sind in der Dünung des kalten Meerwassers schnell überfordert.
Die Investition in geeignetes Rettungsgerät ist nicht gerade billig, wird aber im Bedarfsfall wahrscheinlich die beste Ihres ganzen Lebens gewesen sein.
Für eine Seenotausrüstung im privaten Flugbetrieb gibt es Vorschriften
Präzise Vorschriften für eine Seenotausrüstung im privaten Flugbetrieb sind gerade erst in Kraft getreten. Bislang galt allein Paragraf 21 der LuftBO: Für Flüge über Wasser, bei denen im Falle einer Störung mit einer Notlandung auf dem Wasser zu rechnen ist (…), müssen die Luftfahrzeuge entsprechend den zu erwartenden Verhältnissen mit den erforderlichen Rettungs- und Signalmitteln ausgerüstet sein.
Doch nun schreibt die neue 3. Durchführungsverordnung zur LuftBO konkret vor, dass Schwimmwesten mit Ortungslicht an Bord sein müssen, sobald die Küste nicht mehr im Gleitflug erreichbar ist. Bei einer Entfernung von mehr als 100 Nautischen Meilen von Land ist jetzt das Mitführen einer Rettungsinsel vorgeschrieben.
Bleibt der Propeller stehen, so liegt eine kleine Einmot spätestens nach wenigen Minuten im Wasser. Das Anlegen der Schwimmwesten muss daher schon vor dem Einsteigen oder spätestens bei Überflug der Küstenlinie erledigt sein. Wie unbequem das Tragen ist, hängt nicht zuletzt von der Bauart ab.
Rettungswesten müssen für Privatflüge nicht luftfahrtzugelassen sein
Schwimmwesten müssen für Privatflüge nicht luftfahrtzugelassen sein. Auch die einmal pro Jahr angeratene Überprüfung der Weste kann der Pilot selbst vornehmen. Die oft benutzten, knallgelben Westen aus der Passagierluftfahrt haben zwar die Zulassung, sind aber erstens sehr unbequem und zweitens gar nicht zum dauerhaften Tragen gedacht. Im Bootssport dagegen gibt es sehr schmale Rettungskragen, die sich erst bei Auslösung zu einem dicken, knallgelben Luftkissen aufblasen.
Ungeeignet sind Westen mit Automatik, die sich bei Wasserkontakt aufblasen: Passiert das noch in der engen Einmot-Kabine, kommt im Zweifel niemand mehr durch die Tür. Zum Anlegen vor dem Flug gehört folglich auch die gründliche Einweisung der Passagiere für den Notfall – so beunruhigend dies für sie sein mag. Besonders wichtig ist dabei: Die Weste erst außerhalb des Flugzeugs mit Luft füllen.
Im Notfall die Flugreichweite strecken und dazu die Geschwindigkeit des besten Gleitwinkels nehmen
Doch zunächst einmal gilt es, die Menschen an Bord möglichst unversehrt ins Wasser zu bringen. Hat man eine Chance, in die Nähe der Küste zu gelangen, sollte man die Reichweite strecken und die Geschwindigkeit des besten Gleitwinkels einnehmen.
Mitten über dem Meer aber zählt jede Minute, die man länger außerhalb des Wassers zubringt, also gilt die deutlich langsamere Geschwindigkeit des geringsten Sinkens. Dieser Wert lässt sich je nach Flugzeugtyp noch geringfügig verbessern durch Ausfahren der Klappen auf die erste Stufe oder Verstellen des Propellers auf die größte Steigung (blauen Hebel ganz zurück).
„Gelandet“ wird dann mit voll ausgefahrenen Landeklappen und der geringstmöglichen Landegeschwindigkeit. Das gilt auch für Tiefdecker. Die Sorge eines dadurch forcierten Eintauchens der Nase ist unbegründet, wenn man sie so lange wie möglich hoch hält. Aufgesetzt wird mit exakt parallel zum Wasserspiegel ausgerichteten Tragflächen und mit dem Schwanz zuerst, wobei keinesfalls ein vorzeitiger Strömungsabriss riskiert werden darf. Denn jedes unkontrollierte Eintauchen mit der Nase oder Unterschneiden einer Tragfläche birgt die Gefahr, Flugzeug und Besatzung schwer zu schädigen.
Wer auf kurzer Graspiste landen kann, bekommt auch eine Wasserlandung hin
Lieber also fünf Knoten zu schnell als zu langsam. Bis zum Stillstand im Wasser sollten Sie konzentriert und bewusst steuern, ohne sich ablenken zu lassen! Üben konnte das noch nie jemand vorher – aber wer auf einer kurzen Graspiste landen kann, kriegt auch die Wasserlandung hin.
Bei dieser Landetechnik ist auch mit festem Fahrwerk das Überschlagrisiko relativ gering. Trotzdem macht man es sich wohl leichter, wenn man einziehbare Räder in ihren Schächten lässt.
Von allen notgewasserten Piloten wird die Verzögerung beim Eintauchen als brutal hart beschrieben. Man muss sich dabei mit allen Mitteln vor Verletzungen schützen, vor allem Personen, die nur mit einem Beckengurt gesichert sind.
Bei der Notwasserung soll jeder Insasse die Schutzhaltung „Brace Position“ einnehmen
„Brace position“ heißt die Schutzhaltung, bei der man den Kopf vor einem Aufschlag am vorderen Sitz schützt. Je nach Raumangebot und Körpergröße wird der Kopf möglichst abgepolstert auf die Unterarme und gegen die Rückenlehne des Vordersitze gelegt, oder man presst den Oberkörper auf die Schenkel und umfasst dabei die Knie, um den gefürchteten Peitscheneffekt zu vermeiden. Alle Gurte werden bis zur Schmerzgrenze festgezogen.
Klar, dass man vor der Landung nach Möglichkeit einen Notruf absetzt. Viele ELT-Einrüstungen sind mit einem manuellen Schalter zur Aktivierung des Notsenders im Panel versehen. Er ist perfekt für die Minuten vor einer Notwasserung geeignet: Schalten Sie den ELT rechtzeitig ein, denn wenn er erst mit dem Flugzeug versunken ist, nützt er Ihnen nicht mehr.
Vor der Notwasserung unbedingt einen Notruf absetzen
Wenn Schiffe oder Boote zu sehen sind, planen Sie Ihre Landung in deren Nähe möglichst schräg vor ihnen – nur nicht genau davor, denn große Schiffe haben kilometerlange Bremswege. Jetzt ist auch die Zeit, alles in die Taschen Ihrer Kleidung zu stecken, was Sie mit raus nehmen wollen – hinterher werden Sie nicht nochmal ins Flugzeug kommen, um etwas zu holen. Eine eventuell vorhandene Rettungsinsel sollte am Boden bereit gelegt werden, damit sie beim Aufprall nicht als Geschoss durch die Kabine fliegt.
Misserfolge bei Landungen im offenen Meer sind in erster Linie auf hohen Seegang zurückzuführen. Unterschieden wird dabei zwischen der Dünung, die durch Tiefdruckwetterlagen großflächig gesteuert wird, und die durch lokale Winde verursachten Wellen. Die Situation lässt sich bei guten Sichten und Tageslicht gut aus etwa 3000 Fuß Höhe in einem flachen Kreisflug beurteilen.
Es sollte am besten parallel zum stärksten vorhandenen Dünungssystem auf dem Kamm gewassert werden, möglichst nicht auf der windabgewandten (Lee-)Seite. Erst bei Windgeschwindigkeiten über 35 Knoten wird ungeachtet von Dünung und Wellen gegen den Wind gelandet, möglichst auf der Dünung „bergab“.
Ein Notsender passt immer in die Tasche
Selbst bei blitzsauberer Landetechnik wird die Form des Rumpfs leiden. Die Türen könnten sich verklemmen und müssen deshalb kurz vor dem Aufsetzen entriegelt und nach Möglichkeit geöffnet werden. Bei Hochdeckern besteht zwar die Gefahr, dass die Kabine dadurch schneller geflutet wird. Das ist aber immer noch besser, als die Ausstiege gegen den Wasserdruck nicht öffnen zu können.
Nun aber raus! Nur bei Kleinkindern wird eine Schwimmwesten-Kammer schon vor dem Touchdown aufgeblasen, da sie die Reißleine noch nicht selbstständig betätigen können. Sollten Sie Signalspiegel, Fackeln oder Leuchtmunition dabei haben, werden Sie von den Rettern erheblich besser zu finden sein.
Auch eines der neuen „Personal Locator Beacons“ (PLB) kann jetzt helfen: Die tragbaren, wasserdichten Notsender ohne Luftfahrtzulassung kosten ab 550 Euro, passen in jede Jackentasche und übertragen mit dem Notsignal ihre GPS-Position. Die havarierte Besatzung sollte in jedem Fall zusammen bleiben, notfalls durch Aneinanderbinden der Schwimmwesten.
Eine am Flugzeug befestigte Leine gemeinsam festzuhalten ist sicherer, als sich am Wrack festzumachen, denn früher oder später taucht das Flugzeug ab. Wann das sein wird, nach drei Minuten, drei Stunden oder auch drei Tagen, ist kaum vorhersagbar, abhängig vom Grad der Beschädigung und auch vom Spritpegel in den Tanks.
Wasser treten kostet Kraft, und die schwere nasse Kleidung zieht nach unten. Trotzdem sollten Sie sie nicht ablegen, denn Ihr größter Feind ist die Unterkühlung, und die wird selbst durch eine nasse Hose noch verzögert. Anders in der Rettungsinsel: Nasse Kleidung dort ablegen und auswringen, dann wieder anziehen.
Bei Kälte sinken die Chancen, eine geglückte Notwasserung zu überleben
Die Überlebenschancen sind gut, allerdings nur unter optimalen Wetterbedingungen. Bei Kälte, Sturm oder aufliegender Bewölkung sinken die Chancen rapide. Auf einen Flug über das offene Meer sollte man zumindest mit einem Triebwerk dann besser verzichten.
Hätten wir also damals den Sprung über das Mittelmeer wagen sollen? Die Antwort heißt nein. Aber nicht, weil die Sorgen um unseren Motor berechtigt gewesen wären. Der hat klaglos den Rückflug bis nach Hamburg durchgehalten, hätte also auch über dem Mittelmeer nicht versagt.
Das Wetter war in Ordnung, auch Schwimmwesten hätten wir dabei gehabt. Aber ansonsten nichts: kein PLB, keine Signaleinrichtungen, nicht einmal einen Spiegel zum Reflektieren der Sonnenstrahlen – und schon gar kein Floß. Vor allem aber wussten wir damals viel zu wenig über das richtige Verhalten, mit dem wir selbst unter den relativ günstigen Bedingungen bei Tageslicht im sommerlich temperierten Mittelmeer eine echte Chance gehabt hätten.
Text: Helmuth Lage, fliegermagazin 05/2009
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