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Notlandung im Maisfeld: Absetzflug einer Cessna U206 G
Gewöhnlich verlassen Fallschirmspringer ihre Absetzmaschine in einer Höhe zwischen 9000 und 12 000 Fuß. Als kurz nach dem Start der Motor ausfällt, bleibt ihnen ein viel geringerer Spielraum

Ein Spruch besagt, dass es keinen vernünftigen Grund gibt, freiwillig aus einem funktionierenden Flugzeug zu springen. Fallschirmspringer können darüber nur lachen und erwidern: „Na und? Wir tun es trotzdem!“ Der Adrenalinschub kurz vor dem Öffnen der Kabinentür und das Hochgefühl danach sind nur mit wenigen Dingen vergleichbar und machen viele Sportler schnell süchtig. Auch bei einem Absetzflug im nordrhein-westfälischen Rheine-Eschendorf bekommen Pilot und Passagiere reichlich ab vom Stresshormon und können mit viel Glück hinterher erleichtert aufatmen – doch aus einem ganz anderen Grund.
Ein Tandem-Team und drei Solospringer bereiten sich am Nachmittag des 29. August 2009 auf ihren Sprung aus einer Cessna U206 G vor. Die METAR-Wetterstation des wenige Kilometer entfernten Platzes Rheine-Bentlage meldet Sichtflugbedingungen mit 20 Kilometern Sicht und 14 Knoten Windgeschwindigkeit. Um 16.40 Uhr rollt der Hochdecker auf die Piste 29 des Verkehrslandeplatzes Eschendorf und startet wenige Augenblicke später. Die Maschine steigt nach dem Start zunächst in südöstlicher Richtung, um rasch in die Absprungzone zu kommen. Nach etwa drei Minuten bemerkt der Pilot ungewöhnliche Geräusche aus dem Motorraum. Beim Kontrollblick auf die Abgastemperatur wird dem 64-Jährigen klar, dass mit dem Antrieb etwas faul ist: Der Zeiger steht etwa 100 Grad Celsius über dem üblichen Wert.
Cessna 206: Motorausfall in geringer Höhe
Der Pilot handelt rasch: Er geht sofort in den Horizontalflug über und dreht zurück Richtung Flugplatz; die Maschine fliegt knapp unter 1400 Fuß. Wenige Sekunden später wird das Flugzeug plötzlich heftig durchgeschüttelt, aus dem Triebwerk steigen kurz Qualm und Flammen auf. Dann verstummt der Motor. In dieser extremen Stresssituation behält der Pilot dennoch einen kühlen Kopf und informiert seine Passagiere darüber, dass er es nicht mehr bis zur Piste schaffen wird. Drei der Insassen springen daraufhin aus dem Flugzeug und vertrauen auf ihr Können und ihr Sportgerät; das Tandemsprungteam bleibt in der Kabine und hofft mit dem Mann am Steuer auf einen glücklichen Ausgang. Die Maschine segelt zu diesem Zeitpunkt in 1000 Fuß über dem Boden. Der Pilot meldet der Flugleitung in EDXE die Notlage und kündigt die bevorstehende Notlandung an.
Er steuert ein nahe gelegenes Maisfeld an und setzt die Klappen auf 10 Grad. Kurz bevor die Maschine das Feld erreicht hat, fährt er die Klappen voll aus, schaltet die Elektrik ab und schließt den Brandhahn. Die Cessna schwebt jetzt mit Mindestgeschwindigkeit über den bis zu 2,50 Meter hohen Maispflanzen. Mit etwa 40 Knoten Fahrt setzt der Pilot den tonnenschweren Hochdecker dann im überzogenen Flugzustand ins Grün, anschließend rauscht die Maschine noch 40 Meter durch den Mais. Für einen Moment geht der Sechssitzer auf die Nase, dann aber kippt er wieder zurück und kommt 1,2 Nautische Meilen östlich der Schwelle von Rheine-Eschendorf zum Liegen. Der Pilot und die beiden an Bord verbliebenen Passagiere haben großes Glück: Sie überleben den Crash unverletzt. Kurze Zeit später erfahren sie, dass die drei Springer ebenfalls ohne Verletzungen gelandet sind.
Segelflug ins hohe Grün
Mit Hilfe der Daten aus dem mobilen GPS-Empfänger der Cessna rekonstruieren die Ermittler der Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) den Flugweg. Die Entscheidung des Piloten, eine Notlandefläche anzufliegen, wird bei der Auswertung der Daten als korrekte Schlussfolgerung bestätigt: Die Cessna hätte keine Chance gehabt, den Flugplatz noch zu erreichen. Dass die Wahl auf ein Maisfeld mit hohem Bewuchs fiel, hat vielleicht sogar Schlimmeres verhindert, denn die meterhohen Pflanzen konnten einiges von der Energie beim Aufsetzen aufnehmen. Doch warum kam es zu dem Motorausfall? Als die Experten der BFU das Triebwerk untersuchen, stellen sie an vier von sechs Zylindern erhebliche Schäden fest. An der Pleuelstange von Zylinder eins sind die Lagerschalen nicht mehr vorhanden, der Pleuel hat sich rotbraun verfärbt. Auch die Lagerschalen der Zylinder zwei und drei weisen deutliche Überhitzungsspuren und tiefe Verschleißrinnen auf.
An Zylinder vier ist das obere Pleuelauge abgerissen. Offensichtlich wurde die Ölversorgung an den Pleuel- und Kurbelwellenlagern der Zylinder eins und zwei unterbrochen, so die Vermutung der Ermittler. Folge: Totalausfall des Triebwerks. Im Abschlussbericht heißt es dazu: „Aufgrund des Zerstörungsgrades der Lagerschalen einiger Pleuellager konnte nicht festgestellt werden, ob die (Störung der) Ölversorgung durch ein einmaliges Ereignis, wie zum Beispiel durch Verstopfung der Ölleitungen, hervorgerufen wurde.“
In der Kurbelwelle finden die Ermittler Ablagerungen von Ölschlamm und Teer, im Ölfiltergehäuse Metallspäne – und noch dazu eine vollgesogene Getreideähre in der Ölwanne. Wie diese aber dorthin gekommen ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Die Minderversorgung der Kurbelwellenlager wurde dem Bericht der BFU zufolge aber „mit großer Wahrscheinlichkeit“ durch die Schlamm- und Teerablagerungen verursacht.
Absetzflug: Frisch gewartet in den Unfall
Offen bleibt, ob der kritische Zustand des Motors bei der letzten 100-Stunden-Wartung, die nur drei Tage vor dem Unfall absolviert wurde, hätte auffallen können. Der Ölverbrauch der Cessna von 0,7 Liter pro Stunde war hoch, aber immer noch im zulässigen Bereich; zudem wurde der als mögliche Ursache in Frage kommende undichte Ölkühler bei der Wartung ausgetauscht. Bei der Zylinderkompressionsmessung des Continental IO-520-F lagen die Werte ebenfalls nah an der vom Hersteller festgelegten Grenze, über die hinaus ein Betrieb nicht zulässig ist, etwas Spielraum nach unten war aber noch vorhanden. So war es wohl Glück im Unglück, dass die Passagiere als erfahrene Fallschirmspringer den Notabsprung ohne Probleme bewältigen konnten, dass der Pilot in der sehr kurzen Zeit bis zur Bruchlandung die richtigen Entscheidungen traf – und die passende Notlandefläche ganz in der Nähe war.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 11/2012
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