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Neue Herausforderung? Wasserflug-Schulung bei Scandinavian Seaplanes in Norwegen

Die Fjorde Norwegens werden mit dem Wasserflugzeug zu einem ganz besonderen Erlebnis. Hier kann man das Rating bei Piloten erwerben, die hauptberuflich auf Schwimmern unterwegs sind.

Von Heike Schweigert
Tanken in Eidfjord
Lange Leitung: Im Eidfjord reicht der Spritschlauch bis hinaus auf den Anleger. Die traumhafte Landschaft lockt auch Kreuzfahrer an. Foto: Heike Schweigert

„Wenn Du in der Mitte des Fjords startest, musst Du lange schwimmen, wenn etwas schief geht. Näher am Ufer machst Du mehr Lärm am Strand.“ Über diese Aussage von Bjørn Horne, Head of Training der Flugschule Scandinavian Seaplanes Training, muss ich erstmal nachdenken. Der klassische SEP-(Land)-Pilot stellt solche Überlegungen nicht an. Erstens muss er sich nicht mit jedes Mal unterschiedlichen Start- und Landeflächen befassen, noch spielt es eine Rolle, wie kalt das Wasser ist – in den Fjorden von Norwegen auch im Sommer immer ein Sicherheitsfaktor. Beim Wasserflug ist viel Neues zu lernen.

Die vor zwei Jahren in Bergen gegründete Scandinavian Seaplanes Training, eine DTO (Declared Training Organisation), bietet das auch deutschen Piloten an. Heike Schweigert war für das fliegermagazin vor Ort!

Erhöhte Anforderungen an Wasserflugpiloten in Norwegen

Initiator und Inhaber Daniel Boden startete die Flugschule zunächst zum Selbstzweck. Denn auch die Wasserflugpiloten im kommerziellen Bereich benötigen regelmäßige Trainings und Checkflüge. Seit 2016 fliegen die Piloten seiner Charterfirma, der Scandinavian Seaplanes, Passagiere und Fracht zu entlegenen Stellen in engen Fjorden und zu flachen Bergseen auf der Hochebene Hardangervidda. Oder sie zeigen Touristen, die zum Beispiel mit Kreuzfahrtschiffen zu Besuch sind, die Gletscher von oben.

Die ersten drei Jahre war ich aktiv dabei und setzte meine vorherige Buschflugerfahrung aus einigen Jahren Charterflug in Botswana täglich ein. Denn sowohl im afrikanischen Busch als auch in den Fjorden in Norwegen fliegt man fern der Zivilisation. Der Pilot ist auf sich gestellt. Alle Entscheidungen werden allein getroffen und auf dem Wasser gibt es noch nicht einmal vorgegebene Start- und Landeflächen und auch keine Windsäcke. So übersteigen die Anforderungen an die Wasserflugpiloten in Norwegen teilweise sogar die der Buschpiloten in Afrika.

Komplettes Seaplane Rating SEP möglich

Entsprechend praxisnah vermitteln die Fluglehrer ihr über viele Jahre und Flugstunden gesammeltes Wissen an die Schüler und Schülerinnen. Die können die komplette europäische Klassenberechtigung, das Seaplane Rating SEP (Sea), erlangen, denn auch der Prüfungsflug kann nach Abschluss der Ausbildung vor Ort geflogen werden. Klassenberechtigungen lassen sich verlängern oder erneuern. Interessierte Inhaber des Ratings kommen für Schnupperflüge nach Norwegen, die sie mit den erfahrenen Wasserflugpiloten in einem einmaligen Ambiente erleben.

SchulmaschineSchulmaschine
Kurz vor dem Aufsetzen: Mit geringer Sinkrate geht’s ans Wasser. Die Schulmaschine vom Typ Cessna 180 ist einfach und herkömmlich instrumentiert.

Neben der Schulung bietet die norwegische Firma auch mehrtägige Touren mit Safety Pilot oder Fluglehrer an. Ein solcher Trip führt beispielsweise entlang der Schären bei Bergen zu dem wunderschön gelegenen Restaurant Skjerjehamn, einem ehemaligen Handelsplatz am Meer.

Nach einer Pause geht es weiter entlang des größten Fjords Norwegens, dem Sognefjord, zum malerischen Dorf Fjærland, das direkt unterhalb des Jostedals-Gletschers liegt. Übernachtet wird hier in einem pittoresken Fjordhotel. Die Tour geht weiter über den Gletscher zu dem abgelegenen Fischerdorf Kalvåg auf einer Insel im Atlantik. Hier gibt es die traditionellen „Rorbuer“. Das sind kleine Holzhäuser direkt am Meer, die ursprünglich von Fischern genutzt wurden.

Norwegens Landschaft mit dem entdecken

Die Flugreise kann so oder ähnlich individuell gestaltet werden. Zusätzlich zu den fliegerischen Herausforderungen in den Fjorden, im Gebirge und über den Gletschern, mit Wasserlandungen und -starts in Tälern, auf Seen und in den zahlreichen Fjorden können die Piloten ihre flugfreie Zeit vielfältig genießen: Kajaktouren, Wanderungen, Sauna-Besuche, Angel-Ausflüge oder einfach nur in traumhafter Landschaft die Seele baumeln lassen beim Blick über das türkisfarbene Wasser. Lokale Köstlichkeiten mit Meeresfrüchten aller Art ergänzen das sowieso schon einmalige Erlebnis.

Die erfahrenen Wasserflugpiloten teilen ihr Wissen über die lokalen Gegebenheiten gern mit anderen Piloten und Gästen. Das Erlebnis der Buschfliegerei auf Floats übertrifft garantiert alle Erwartungen.

HardangerviddaHardangervidda
Zu kurz zum Landen: Auf der einzigartigen Hochebene Hardangervidda sind nur wenige Seen groß genug für Wasserflugbetrieb. Die Natur ist dennoch spektakulär.

Die Vielfalt in der Natur und die daraus resultierende notwendige fliegerische Flexibilität und Kompetenz wird in der Flugschule vermittelt. Deren Büro ist zwar in Bergen, aber gebrieft und geschult wird nicht nur an einem Ort. Auch im Training fliegen, starten und landen die Schüler an verschiedenen Plätzen mit unterschiedlichen Bedingungen. Jeder Fjord ist anders, der eine endet in einer engen Sackgasse, wo man die gelernten Steilkurven benötigt. Oder ein Tal mündet in einem Fjord, wo an windigen Tagen starke Turbulenzen entstehen, weil die Luft durch den Venturi-Effekt in den engen Tälern beschleunigt werden und im Fjord aufeinander prallen.

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Das komplette Gegenteil findet der Wasserflugpilot an windstillen Tagen in eher kleineren Gewässern vor: spiegelglattes Wasser. Hier zu landen, muss geübt und gelernt sein. Bei einer sogenannten „glassy water landing“ hat der Pilot nämlich keine Referenz zum Wasser, er kann die Höhe bis zum Aufsetzen nicht abschätzen. Die richtige Landetechnik kann zwar unter simulierten Bedingungen geübt werden, doch je mehr reale Situationen Flugschüler während der Ausbildung meistern muss, desto besser.

Kompliziertes Tankverfahren bei Wasserfliegern

Wasserfliegen ist schon bei der Vorflugkontrolle ganz anders: Ums Flugzeug herumgehen – Fehlanzeige. Das Schulflugzeug, eine Cessna 180, hat beispielsweise keinen Spanndraht vorne zwischen den Schwimmern. Das bedeutet, dass man für die Vorflugkontrolle auf der nicht am Dock liegenden Seite durch die Kabine hinüber klettern muss. Sonst würde man über den Draht vorne am Propeller vorbei balancieren, um zum Schwimmer auf der anderen Seite zu gelangen. Denn gecheckt wird selbstverständlich rundherum. Dazu gehört auch das Lenzen der Schwimmerkammern, in denen sich je nach Material und Zustand über Nacht mehr oder weniger Wasser ansammelt, das mit einer Lenzpumpe manuell abgepumpt werden muss.

VorflugchecksVorflugchecks
Vorflugchecks: Die Schwimmer sind nicht ganz wasserdicht, also müssen sie vor dem ersten Flug eines Tages mit der Handpumpe »gelenzt« werden. Solche Vokabeln aus der Seefahrt sind beim Wasserfliegen üblich.

Auch das Tanken gestaltet sich anders als beim Landflugzeug. Ohne Tankstelle am Dock wird aus Kanistern getankt. Einer klettert auf die Tragfläche, platziert den speziell für diesen Einsatz konstruierten Trichter mit eingebautem Filter und lässt sich die Kanister von unten hoch reichen. Bei vielen Plätzen, die die Wasserflieger anfliegen, muss zwischendurch aus Kanistern getankt werden. Immerhin können in den Stauräumen der Schwimmer (auf Englisch Float) drei volle 20-Liter-Kanister mitgenommen werden. Dann kann hinten aus Gewichtsgründen aber keiner mehr sitzen. Das kommt öfter vor: Bei Schnupperflügen sitzt hinten der Partner des Schülers, während der Ausbildung ein weiterer Schüler, mit dem man abzuwechseln. Die 180 ist dank ihrer 230 PS gut ausgerüstet. Und: Ihr Continental O-470 ist auch für Mogas zugelassen, dass sich in den Marinas öfter findet.

Das Schulflugzeug kann für den Betrieb an Land umgebaut werden

Eine Besonderheit des Schulflugzeugs ist, dass es sich für den Betrieb an Land zum Spornradflugzeugs umbauen lässt. Deshalb hat der Ölstab zwei Skalierungen, weil die Neigung des Ölbehälters mit Spornrad völlig anders ist als auf Floats. Man muss also beim Check ganz genau hinschauen. Ist das Flugzeug gecheckt und betankt, wird das Ablegemanöver besprochen. Je nach Wind, Welle, Strömung und der Gegebenheiten am Dock legen Lehrer und Schüler das Verfahren fest. Meist geht es einfacher, wenn noch eine Person am Dock mithilft, die sogenannte Dockhand.

AblegenAblegen
Nun aber los: Per und Daniel schauen sich kurz vor dem Ablegen nochmal gründlich um.

Abgelegt, Motor angelassen und alles Notwendige überprüft, wird die Startrichtung festgelegt. „Warte kurz“, sagt Bjørn. „Der Wind dreht. Wir lassen uns vom Flugzeug zeigen, wo er herkommt.“ Wer ein Wasserflugzeug sicher steuern möchten, darf es nicht eilig haben. Der Wind kann in der Mitte des Fjords aus einer anderen Richtung blasen als am Dock. Am besten nimmt man sich die Zeit, bis sich das Flugzeug selbst ausrichtet. Es stellt sich wie eine Wetterfahne in den Wind. Gestartet wird immer mit teils ausgefahrenen Klappen und möglichst in den Wind.

Als Wasserpilot muss man alle Herausforderungen meistern können

Nach der ersten Beschleunigung steuert der Pilot das Höhenruder so, dass das Flugzeug „auf die Stufe“ des Schwimmers kommt. Bei Booten spricht man von Gleitfahrt im Vergleich zur Verdrängerfahrt. Eine Kante im Schwimmer, die „Stufe“, hilft dabei, die wesentlich widerstandsärmere Gleitfahrt zu erreichen. Erst dann kann die Maschine vom Wasser abheben. Schüler Sven hat das richtige Horizontbild bereits drauf, der Start verläuft nach Plan. In der Luft erwarten uns die nächsten Herausforderungen, die Stromleitungen, die teilweise in Höhen bis zu 2000 Fuß MSL über die Fjorde gespannt sind. Aber die Profis wären keine Profis, hätten sie diese Gefahr nicht vorher gebrieft und Plan B und Plan C besprochen.

WasserruderWasserruder
Zum Start raus aus dem Wasser: Die Ruder sind mit den Pedalen gekoppelt. Sie helfen beim Manövrieren, werden aber für den Startlauf mit einem Seilzug angehoben.

Zur sicheren Bewältigung der vielfältigen Aufgabenstellungen gibt es wasserflugspezifische Checklisten. FCAST und TAF-PWR sind die zwei wichtigsten Kürzel dafür. FCAST ist die taxi checklist und steht für Fuel required, Cowl flaps open, Area assessment, Stick and seat und Tank selector. Vor dem Start wird TAF-PWR abgearbeitet: Time, ATC, Flaps, Prop und Water rudder up.

Checklisten müssen verinnerlicht werden

Angehende Wasserflugpiloten müssen diese Checks verinnerlichen. Sie werden ausnahmslos vor jedem Flug abgearbeitet. Das Etablieren standardisierter Abläufe ist ein wichtiger Baustein für die Sicherheit, insbesondere beim Buschfliegen, das so lässig wirken kann. Daniel sieht das genauso. Sein Traum war immer, Airline-Standards mit der Buschfliegerei zu kombinieren. Diesen Satz habe ich von Daniel früher schon gehört, als ich in den ersten drei Jahren in der Charterfirma ausgeholfen habe. Seine Philosophie setzt er sowohl im kommerziellen Teil, als auch in der Flugschule der Scandinavian Seaplanes um, soweit dies möglich ist.

glassy waterglassy water
Spiegelglattes Wasser: Die „glassy water landings“ sind Teil der Ausbildung, denn die Höhe lässt sich unter diesen Bedingungen schwer abschätzen.

SOPs, Standard Operating Procedures, also standardisierte Verfahren, Checklisten, Company Procedures, all diese Themen passen Daniel und sein Team kontinuierlich an die vielfältigen Gegebenheiten der Buschfliegerei an. Gebirgsfliegen, Wetterminima, Stromleitungen in den Fjorden, starke und turbulente Winde, Wellen, schwierige Andockbedingungen und vieles mehr. Je mehr Standards auch bei dieser Art der Fliegerei umgesetzt werden können, desto mehr Sicherheit ist die Folge.

Wasserflug in jeder freien Minute

Wasserflug hat eine lange Tradition in Norwegen. Der 1895 geborene Oskar Omdal führte am 16. August 1920 den ersten norwegischen Passagierlinienflug von Stavanger über Haugesund nach Bergen mit einem Wasserflugzeug durch. Zwischen damals und heute gab es diverse Fluglinien und Charterfirmen, die mit unterschiedlich großem Erfolg den Wasserflug in Norwegen betrieben haben. Sogar eine Ju 52 auf Floats wurde von Sandviken bei Bergen geflogen, wo heute Scandinavian Seaplanes sitzt. Das internationale Team fliegt aber auch von Basen in Haugesund und Stavanger, von Ulvik und Eidfjord im Hardangerfjord, von Flåm im Sognefjord und von Skinnerbu auf der Hardangervidda.

BergenBergen
Arbeitshafen: In der sehenswerten Stadt Bergen legen Kreuzfahrer, Ölplattform-Versorger und Marineschiffe an. Von hier ist es nicht weit in die traumhaften Fjordlandschaften.

Daniel Boden ist Deutscher und kam 1996 zum ersten Mal nach Norwegen. Er lernte in Rosendal die Wasserfluggesellschaft Fonnafly kennen. Daniel entschied sich für die ATPL, arbeitete dann aber zunächst für die Deutsche Seeflug in Bremen. Mit einer Lake Buccaneer flog er vom Neustädter Hafen aus Öl-Überwachungsflüge. Es zog ihn aber doch wieder nach Norwegen, wo er 2005 bei Widerøe im Cockpit anfing und in den Sommerferien für Fonnafly ab Sandviken Passagiere und Fracht flog. Seine berufliche Karriere brachte ihn schließlich zu Condor, wo er ab 2012 auf Langstrecken eingesetzt wurde. Aber in jeder freien Minute flog er weiterhin Wasserflugzeuge in Norwegen.

Daniel Boden startet mit Transportflügen

Manchmal transportierte Daniel morgens tote Rentiere in der Cessna 206, zog nach den Flügen mit den Jägern und ihrer Beute den Blaumann aus und flog direkt zur Arbeit bei der Linie nach Frankfurt. Dabei waren dann Blutspuren des erlegten Tiers noch auf seinen Turnschuhen. Für Daniel steht die Sinnhaftigkeit des Transportmittels Wasserflugzeug außer Frage: „Für ein Wasserflugzeug braucht man nur ein Dock. Da weder Stahl für Bahnschienen noch Asphalt für Straßen noch sonstige Infrastruktur erforderlich ist, glänzt das Wasserflugzeug als umweltfreundliches Transportmittel.“

Bordbuch schreibenBordbuch schreiben
Besondere Stimmung: In der Abendsonne des norwegischen Sommers macht sogar Bordbuch-Schreiben Spaß. Wichtige Wasserflieger-Regel: Bloß nichts fallen lassen!

Und Daniels Vision geht darüber hinaus, denn die Cessna Caravan soll ab 2025 elektrisch fliegen. Da es auch bei großen Booten einen Trend zum Elektroantrieb gibt, werden norwegische Marinas in naher Zukunft Ladestationen haben. Für Daniel Boden liegt darin auch die Zukunft einer nachhaltigen Wasserfliegerei.

Text: Heike Schweigert Fotos: Heike Schweigert, Daniel Boden

Über den Autor
Heike Schweigert

Mit CPL, Lehr- und Prüfberechtigung ausgestattet, zieht es Heike Schweigert seit fast 20 Jahren in die fliegerische weite Welt. Zunächst in die Buschfliegerei nach Botswana und später zum Wasserfliegen nach Norwegen. In den letzten fünf Jahren hat sie den südamerikanischen Kontinent von Uruguay aus erkundet. Ihre Spezialität ist neben der Flugschulung die Organisation und Durchführung internationaler Flugreisen. Für das fliegermagazin ist sie seit 2001 als freie Journalistin tätig.

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