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Nachlässiges Spritmanagement: Notlandung einer Cessna P210
Die Kraftstoffkalkulation ist ein zentraler Teil der Flugvorbereitung. Mehrere Faktoren sind dabei zu beachten – vor allem, wenn man an die Grenze der Höchstflugdauer geht
Wissen Sie aus dem Stegreif, wieviele Liter einer US-Gallone entsprechen? Oft ist der Tankinhalt in Gallonen angegeben, den Verbrauch dagegen errechnet man in Pounds (lbs/h) oder Liter pro Stunde (L/h); und verkauft wird der Treibstoff (zumindest in Europa) nur in Liter oder Tonnen – nichts passt zusammen. Einheiten umzurechnen gehört zum lästigen Alltag vieler Piloten. Faustformeln kommen zur Anwendung: (L/4) + 5 % = US-Gall, oder die genauen Werte müssen mit dem richtigen Umrechnungsfaktor (1 US-Gall = 3,785 L) ermittelt werden. Bei der Treibstoffberechnung ist Genauigkeit gefragt.
Dabei spielen neben Einheitenwirrwarr auch andere Faktoren eine wichtige Rolle: Wieviel Kraftstoff schwappt tatsächlich noch in den Tanks? Wieviel muss nachgetankt werden? Typische Situation: Die Anzeige an der Tankstelle gibt den gezapften Kraftstoff in Litern an; die Tankanzeige im Cockpit ist aber in US-Gallonen geeicht. Im Zweifel tankt man voll und weiß dann genau, wieviel ausfliegbarer Kraftstoff zur Verfügung steht. Doch wie lange kann man damit in der Luft bleiben; wie hoch ist der tatsächliche Verbrauch?
Privatflugzeuge: Bei der Treibstoffberechnung ist Genauigkeit gefragt
Bei einer Cessna 172 ist die Kalkulation noch relativ einfach: 38 Liter pro Stunde, je nach Triebwerk-Version. Schwieriger wird’s bei komplizierteren Modellen, wie einer Cessna P210N mit Turbolader und Intercooler. Hier sind nicht nur Leistungseinstellungen zu beachten. Kraftstoffdurchfluss-Anzeigen helfen bei der Überwachung des Treibstoffvorrats, wobei auch hier die Einheiten eine immense Rolle spielen. Wie sind die Skalen geeicht? Liter, US-Gallonen oder Pounds pro Stunde? Der (genaue) Blick ins Flughandbuch hilft, um sichere Verbrauchswerte zu ermitteln und ausreichend Treibstoff einzuplanen.
Oder man verlässt sich auf seine „Erfahrung“ nach der Devise: Kennst du eine Cessna 210, kennst du alle – und geht davon aus, dass die eine genauso durstig ist wie jede andere und die Handbücher ohnehin alle mehr oder weniger identische Verbrauchswerte aufführen. Ein fataler Trugschluss, der – neben weiteren Fehleinschätzungen hinsichtlich der mitgeführten Spritmenge – am 23. Mai 2001 zu einer Notlandung mit leeren Tanks führte, weniger als 20 Nautische Meilen vom Zielflughafen entfernt. Rückflug einer Cessna P210N von Hannover nach Krems in Österreich (LOAG): Um 15:08 Uhr startet ein 36-jähriger Berufspilot mit seinem Copiloten und vier Fluggästen nach Instrumentenflugregeln Richtung Krems. Die Gesamtflugerfahrung des Piloten beträgt 667 Stunden, davon mindestens 61 Stunden auf der Cessna P210N. Sein Co (PPL und IR) hat keinerlei Flugerfahrung auf dem Muster und übernimmt den Funk.
Rückflug einer Cessna P210N von Hannover nach Krems in Österreich
Vor dem Start in Hannover wird die Cessna mit 59 Liter Avgas 100LL betankt. Der rechte Tank ist voll, die Fehlmenge im linken Tank schätzt der Pilot auf etwa 60 Liter. Die zum Startzeitpunkt ausfliegbare Kraftstoffmenge liegt damit – nach Meinung des Piloten – bei 260 Liter. Reicht der Treibstoff, um die rund 370 Nautischen Meilen zurück nach Krems zu bewältigen? Laut ATC-Flugplan beträgt die geplante Flugzeit bis Krems 02:30 Stunden, die Reisegeschwindigkeit 148 Knoten (TAS) in Flugfläche 170. Den Kraftstoffverbrauch für den Rückflug kalkuliert der Pilot mit mageren 44 Liter pro Stunde (70 lbs/h). Knapp kalkuliert, weil bereits die Bordbuchaufzeichnungen einen (über ein Jahr) gemessenen durchschnittlichen Verbrauch von 65 bis 70 Liter pro Stunde (105 bis 112 lbs/h) angeben.
Rückblende: Die Tankliste im Bordbuch belegt, dass die Cessna drei Tage zuvor in Krems voll getankt worden ist. Danach ist die Maschine fast zwei Stunden geflogen, ohne dass jemand die Tanks wieder aufgefüllt hat. 120 Liter wurden dabei verbraucht. Der verbleibende Tankinhalt beträgt somit 200 Liter. Hier beginnt sich ein Fehler in die Treibstoffplanung einzuschleichen: Für seinen Flug von Krems nach Hannover (Hinflug) plant die Crew volle Tanks (320 Liter) ein, tankt aber nur 84 Liter nach – vermutlich, weil die Aufzeichnungen in der Tankliste um eine Zeile verrutscht sind und die Fehlinterpretation zulassen, dass Sprit für etwa eine halbe Flugstunde mehr als tatsächlich im Tank ist. Ein Fehler, zu dem im Flugverlauf weitere falsche Einschätzungen hinzukommen.
Fehler in der Treibstoffplanung
Auch auf dem Rückflug wählt der Pilot eine Leistungseinstellung von 27 Inch mit 2300 Umdrehungen. Er magert das Kraftstoff-Luft-Gemisch bis zum Spitzenwert der angezeigten Abgastemperatur ab und reichert es anschließend mit einer halben Gemischreglerumdrehung wieder an. Auf der Kraftstoffdurchfluss-Anzeige liest er den Wert „10“ ab. Diesen interpretiert er mit einem Durchfluss von zehn US-Gallonen pro Stunde – entsprechend einem Verbrauch von rund 38 Liter pro Stunde (60 lbs/h). Dass er diese Zahl zwar richtig abgelesen, jedoch falsch interpretiert hat, fällt ihm offenbar nicht weiter auf. Schließlich deckt sich der Wert zumindest annähernd mit seiner Verbrauchskalkulation für den Rückflug (44 L/h). Tatsächlich aber ist die Durchfluss-Anzeige in Pounds pro Stunde (lbs/h) mal zehn geeicht. Der abgelesene Wert entspricht somit real einem Verbrauch von 100 Pounds pro Stunde – umgerechnet also 60 Liter pro Stunde. Die Cessna schluckt auf dem Rückflug demnach 16 Liter pro Stunde mehr als geplant. Bei einer Flugzeit von zweieinhalb Stunden macht das bereits 40 Liter Fehlmenge.
Doch damit nicht genug. Ein weiterer Fehler war dem Piloten unterlaufen, als er die Verbrauchswerte der Cessna mit Turbolader und Intercooler im Aircraft Flight Manual (AFM) der Verbrauchstabelle für die Version ohne In- tercooler entnommen hatte. Damit blieb ein Mehrverbrauch von 10 bis 15 Prozent in der Planung unberücksichtigt. Zudem sieht ein Supplement für Motoren mit Intercooler eine temperaturabhängige Ladedruckkorrektur vor. Aber auch die wird trotz ISA-Abweichung nicht vorgenommen und führt zusätzlich zu einem höheren Kraftstoffbedarf als errechnet.
Kurz vor der tschechisch-österreichischen Grenze liest die Besatzung am GPS eine Restflugzeit von 30 Minuten bis Krems ab. Der Stand der Tankanzeigen macht die Crew nicht weiter nachdenklich: ein nahezu leerer linker Tank und angezeigte 80 Liter im rechten Tank. Wie alle 20 Minuten zuvor wechselt der Pilot die Tanks, schaltet jetzt vom linken auf den rechten. Kurz nach dem Einflug in den österreichischen Luftraum leitet die Crew aus Flugfläche 70 den Sinkflug ein. Eine Überschlagsrechnung des Kraftstoffbedarfs wiegt die Piloten in Sicherheit. Danach müssten sich nach der Landung in Krems noch mindestens 20 Liter (!) im rechten Tank befinden.
Doch die Rechnung geht nicht auf: Gegen 17.16 Uhr, etwa 20 Nautische Meilen nördlich des Zielflughafens, fällt das Triebwerk aus. Sämtliche Wiederstartmaßnahmen bleiben erfolglos. Eine Notlandung steht bevor. Als geeignete Fläche wählt die Besatzung ein parallel zu einer Landstraße liegendes Feld. Doch weil im Endanflug eine Böschung im Weg steht, entscheiden sich die Piloten kurzfristig zur Landung auf der daneben liegenden Landstraße. Die Maschine setzt heil in Straßenmitte auf, kollidiert aber während des Ausrollens mit einem Pkw, bleibt mit der linken Tragfläche an einem Baum hängen und kommt schließlich neben der Straße im Acker zum Stehen. Alle Insassen überleben den Unfall mit leichten Verletzungen.
Die Nachforschungen der österreichischen Flugunfalluntersuchungsstelle zur Rekonstruktion des Flugverlaufs beruhen auf Auswertung von Angaben im Flughandbuch, Analyse der ATC-Radardaten sowie Aussagen der Crew und Augenzeugen. Danach kommt die Behörde zu der Beurteilung, dass zwischen errechneter und tatsächlich getankter Treibstoffmenge erhebliche Differenzen lagen. Zudem hatte der Pilot den Durchschnittsbedarf der Cessna falsch eingeschätzt. Zusätzlich bewirkte die während des Reisefluges gewählte Leistungseinstellung (ohne die Anpassung des Ladedrucks anhand der Differenz-Temperaturanzeige des Intercoolers) einen höheren Bedarf als errechnet.
Der vom Piloten falsch interpretierte Durchflusswert von zehn US-Gallonen entspräche einer Leistungseinstellung von etwa 50 Prozent. Tatsächlich wurde mit etwa 65 Prozent Leistung geflogen, was auch dem wahren Durchflusswert von 100 Pounds pro Stunde (mit Intercooler) entspricht. Über die genauen Fehlmengen in den Tanks können die Unfalluntersucher nur Vermutungen anstellen. Zweifellos dürften die Tanks weder beim Hin- noch beim Rückflug wirklich voll gewesen sein. Dass die volle Tankkapazität nicht genutzt wurde, könnte nach Expertenmeinung nicht nur an der Fehlinterpretation der Bordbucheinträge, den „falschen“ Leistungseinstellungen und dem zu niedrig angenommenen Verbrauch liegen. In Frage kommen ebenfalls eine „Fehleinschätzung hinsichtlich der oberen Füllmarke der Tanks, die Schräglage des Flugzeugs während der Betankung sowie die Ungenauigkeit der Tankanzeigen“.
Ratschläge zum Kraftstoff-Management
- Treibstoffanzeigen in Zeitabständen justieren lassen, damit bei Erreichen der nichtausfliegbaren Restmenge auch tatsächlich null angezeigt wird.
- Vor Antritt des Fluges absolute Klarheit über die vorhandene Treibstoffmenge schaffen. Dazu die Flüge seit der letzten Betankung nachvollziehen und den verbrauchten Kraftstoff anhand des Flughandbuchs bestimmen oder die für den Flug erforderliche Spritmenge nachtanken beziehungsweise volltanken.
- Bei Berechnungen des Verbrauchs daran denken, dass Diagramme in den Flughandbüchern nur für einen Flug gelten. Der tatsächliche Verbrauch ist bei mehreren kurzen Flügen in der Regel wesentlich höher.
Sicherheitsempfehlung
Vor dem ersten Alleinflug mit einem unbekannten Flugzeug sollte der Pilot die Betriebsunterlagen auch dann studieren, wenn er schon Flugerfahrung auf baugleichen Mustern hat. So kann er sich mit Abweichungen bei der Bauausführung, Zusatzausrüstung, Betriebsverfahren etc. vertraut machen. (Vom Baumuster Cessna P210N gibt es beispielsweise Ausführungen mit unterschiedlichen Tanksystemen.) Bei der Führung des Bordbuches sollte auf einheitliche und vollständige Betankungsaufzeichnungen geachtet werden. Obwohl die Kraftstoffvorratsanzeigen als Präzisionsinstrumente anzusehen sind, unterliegen sie aufgrund ihres mechanischen und elektrischen Aufbaus erheblichen Toleranzen und sind daher ungeeignet, verbindliche Aussagen über den verbleibenden Restkraftstoff zu liefern.
fliegermagazin 12/2007
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