Unfallakte

/

Misslungener Anflug im Doppeldecker Bücker 131 APM Jungmann

Ob mit oder ohne Klappen, slippend oder „normal“ – der Wind beeinflusst den Gleitpfad. Zieht er unbemerkt Knoten von der Wetter-„Front“ ab, kann der Glidepath schnell aus den Fugen geraten. Dann hilft manchmal nur Durchstarten – wenn man die Situation rechtzeitig erkennt

Von Redaktion

Der Slip ist ein gängiges Manöver, um Höhe abzubauen, ohne dabei schneller zu werden. Für klappenlose Flugzeuge ist es das einzige. Nicht jeder Pilot beherrscht dieses Verfahren, denn es gehört nicht grundsätzlich zur Ausbildung: Bei vielen Flugzeugmustern untersagt das Handbuch den Seitengleitflug explizit, zumindest mit ausgefahrenen Flaps. Seine Durchführung stellt keine besondere Herausforderung an den Piloten dar. Aber gemütlich ist der Slip auch nicht: Wer ihn die ersten Male ausprobiert, empfindet die ungewöhnliche Fluglage – schiebend mit hängender Fläche – als bedrohlich. Je nach Flugzeugmuster entstehen aufgrund der gestörten Strömung an der Stau- und Statikdruckmessung größere Fehler bei der Geschwindigkeitsanzeige.

Es braucht schon etwas Erfahrung, um die Anfluggeschwindigkeit in Abhängigkeit vom Schiebewinkel und der Bahnneigung auch bei unzuverlässiger Geschwindigkeitsanzeige konstant zu halten. Beim Ausleiten des Slips muss das Flugzeug um alle Achsen wieder in die Normalfluglage zurückgesteuert werden. Beim „Zurechtrücken“ ist jedoch ein ruhiges Händchen vonnöten, das Manöver erfordert viel Übung und sollte anfangs in ausreichender Höhe geflogen werden, um sich ein Polster für eventuelle Korrekturen zu bewahren. Dabei ermöglicht der Slip Taildrager-Piloten zusätzlich zum aerodynamischen Effekt eine ungehinderte Sicht nach vorn, willkommen vor allem bei Tandemsitzern, die von hinten gesteuert werden. Wie beispielsweise die Bücker 131 APM Jungmann, geflogen von einer 25-Jährigen am Flughafen Grenchen. Die junge Frau ist Fluglehrer-Aspirantin und steigt an einem Oktobertag mit einem Kollegen in den Doppeldecker.

Junge Fluglehrer-Aspirantin: Im Tandemsitzer Bücker 131 APM Jungmann

Der 55-Jährige ist mit knapp 4200 Stunden sehr erfahren, 600 Stunden auf der Jungmann weisen ihn als alten Hasen auf dem Klassiker aus. Heute soll er der Pilotin, die von ihren knapp 500 Stunden nur gute sechs im Cockpit der Bücker verbracht hat, vom vorderen Sitz aus beim Kunstflugtraining auf die Finger schauen. Nach der dritten Übung am Nachmittag schickt die Flugleitung den Tandemsitzer aus dem Trainingsraum direkt in den äußeren Queranflug zur „25L“. Am frühen Nachmittag herrschen am Platz Turbulenzen und kräftige Böen. Deshalb wählt die Schülerin bei den ersten beiden Landungen eine größere Anflughöhe. Bis zu ihrem dritten Anflug hat sich der Wind allerdings abgeschwächt, sodass die Maschine zu hoch kommt. Das zwingt die Pilotin zu einem sehr langen Slip, um die Schwelle noch zu ereichen.

Dabei erhöht sie den Anstellwinkel des Zweisitzers. Aufgrund der Widerstandszunahme steigt die Sinkgeschwindigkeit, wie gewünscht, markant an. Doch im letzten Teil des Approaches nähert sich der Anstellwinkel dem kritischen Bereich. Kurz vor der Schwelle zur Runway „25“ hievt die Frau die Bücker aus ihrer Schieflage – und merkt, „…dass die Maschine nicht so fliegt, wie sie es tun sollte“, wie sie später sagen wird. Ein Go-around soll die prekäre Lage retten – das sieht der Fluglehrer genauso, gleichzeitig schieben beide das Gas rein. Zu spät: Zuschauer, die nahe am Geschehen stehen, sehen den Doppeldecker mit hoher Sinkrate auf die Graspiste prallen. Zuviel für das Fahrwerk, es bricht ein, der Holzpropeller zerhackt sich im weichen Untergrund, die Jungmann kommt nach einigen Metern Schlittern zum Stehen. Die Insassen entsteigen der schwer beschädigten Maschine unverletzt.

Die Zuschauer sehen den Doppeldecker mit hoher Sinkrate auf die Graspiste prallen

Ermittler des Büros für Flugunfalluntersuchungen formulieren die Ursache so: „Das Fahrwerk kollabierte … infolge der hohen Sinkgeschwindigkeit nach einer spät ausgeleiteten Glissade (Slip, Anm. d. Red.). Die hohe Sinkgeschwindigkeit resultierte aus dem großen Anstellwinkel und der geringen Fluggeschwindigkeit am Ende der Glissade …“.
Schon ein Jahr vor dem Unfall musste diese Bücker aus dem Flugbetrieb genommen werden – nach einer Bruchlandung stand die Maschine den ganzen Winter in der Werkstatt.

Text: Markus Wunderlich, fliegermagazin 1/2007

Schlagwörter
  • Unfallakte
  • aerodynamischer Effekt
  • Misslungener Anflug
  • Bücker 131 APM Jungmann
  • DoBüAPM-131 Jungmann
  • BU31
  • Seitengleitflug
  • hängende Fläche
  • Stau- und Statikdruckmessung
  • gestörte Strömung
  • ungewöhnliche Fluglage
  • Schiebewinkel
  • Normalfluglage
  • Anfluggeschwindigkeit
  • Geschwindigkeitsanzeige
  • Widerstandszunahme
  • Glissade
  • Fahrwerk kollabiert
  • Dornier
  • Europa
  • Taildragger
  • Doppeldecker
  • Tandemsitzer
  • Schweiz
  • Holzpropeller
  • Grenchen
  • ‎LSZG
  • BFU
  • Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung
  • hohe Sinkrate
  • Anstellwinkel
  • geringe Geschwindigkeit
  • Slip
  • Turbulenzen
  • Schieflage
  • Sinkgeschwindigkeit
  • kräftige Böen
  • ausleiten