Misslungene Notfallübung: Absturz einer C42 beim Übungsflug
Realistische Notfallübungen haben einen großen Lerneffekt. Sie bergen aber auch Risiken, wie der Absturz eines ULs nahe Gelnhausen (EDFG) zeigt. Eine Unfallanalyse!
Die Simulation von Notfällen ist fester Bestandteil jeder Flugausbildung. Diese Übungen sind wichtig, zugleich haben sie aber auch Risiken. Zumindest, wenn kein Simulator zur Verfügung steht und Notsituationen im Ausbildungsflugzeug unter realen Bedingungen erflogen werden. Dann ist es Aufgabe des Fluglehrers, das Risiko kalkulier- und kontrollierbar zu halten. Gelingt das nicht, kann dies schwerwiegende Folgen haben, wie beim Unfall eines Ultraleichtflugzeugs 2021.
An einem Dienstag im Juni verabreden sich der 67-jährige Fluglehrer sowie ein 53 Jahre alter Scheininhaber am Flugplatz Gelnhausen (EDFG), um mit einer Comco Ikarus C42 B zum Übungsflug für die Verlängerung der Berechtigung aufzubrechen. Der Fluglehrer hat an diesem Tag bereits Flüge mit zwei Flugschülern durchgeführt, als sein dritter Schützling das Flugzeug für das anstehende Flugvorhaben betankt. Beide kennen sich seit der Ausbildung des Piloten, die dieser einige Jahre zuvor bei ihm absolviert hat. Der Himmel ist bedeckt, die Sicht beträgt 8000 Meter und der Wind weht schwach aus nordöstlichen Richtungen. Kein Traumwetter, aber gut genug, um Platzrunden zu fliegen.
Bedingungen sind nicht ideal für die Notlandeübung
Um 14.24 Uhr Ortszeit hebt der Hochdecker auf der Piste 07 des Verkehrslandeplatzes ab. Nach dem Anfangssteigflug dreht das Flugzeug nach rechts in den Querabflug und fliegt in Richtung Südosten. Ein Zeuge beobachtet nun vom Boden aus, dass die Motordrehzahl plötzlich abnimmt. Die Höhe über Grund beträgt zu diesem Zeitpunkt nur zirka 100 Meter. Anschließend fliegt die C42 eine Linkskurve, kippt nach links ab und stürzt nahezu senkrecht in ein Waldstück. Beide Insassen kommen bei dem Absturz ums Leben.
Für die Unfallermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) liegt aufgrund der Zeugenaussagen nahe, dass es bei dem Ultraleichtflugzeug zu einem Strömungsabriss mit anschließendem Kontrollverlust kam. Doch warum nahm die Motordrehzahl im Querabflug plötzlich ab? Ein Indiz hierfür lieferte die Aussage des örtlichen Flugleiters. Dieser gab an, dass der Fluglehrer ein „Standardprogramm“ hatte, zu dem eine simulierte Notlandeübung im Querabflug gehörte. Der Motorausfall wurde dabei offenbar durch Herausziehen des Leistungshebels in den Leerlauf simuliert.
Starke Verringerung der Fluggeschwindigkeit in kürzester Zeit
Die im Rahmen der Ermittlungen ausgewerteten Daten aus dem Kollisionswarngerät des Unfallflugzeugs zeigen im Bereich des rechten Querabflugs jedenfalls eine starke Verringerung der Fluggeschwindigkeit in kürzester Zeit. So nahm die Geschwindigkeit über Grund um 25 auf geringe 80 km/h ab, während die C42 nur sehr langsam zu sinken begann. Die Stellung der Landeklappen entsprach zu diesem Zeitpunkt höchstwahrscheinlich der Stellung 1 für Start und Landung. Sie wurde bis zum Aufprall auch nicht mehr verändert.
Die Überziehgeschwindigkeit in dieser Konfiguration gibt Hersteller Comco Ikarus mit etwa 70 km/h an. Diese Abrissgeschwindigkeit variiert mit der Abflugmasse. Das UL war zum Unfallzeitpunkt um ungefähr 20 Kilogramm überladen, der Schwerpunkt lag jedoch im zulässigen Bereich. Technische Mängel konnten die Ermittler nicht finden. Der Motor wies lediglich durch den Aufprall verursachte Schäden auf und schien zum Unfallzeitpunkt einwandfrei zu laufen.
Keine Eindeutigen Beweise für eine Notlandeübung
Die Unfalluntersucher der BFU kommen zu der Schlussfolgerung, dass der Flugverlauf tatsächlich auf eine Notlandeübung hindeutet, auch wenn es keine eindeutigen Beweise dafür gibt. Die Reaktion des Piloten auf eine Reduzierung der Motorleistung durch den Fluglehrer war vermutlich zu langsam. Der Lehrer griff aber nicht rechtzeitig ein, um einen Strömungsabriss zu verhindern.
Die BFU verweist darauf, dass die geringe kinetische Energie aufgrund der geringen Masse von Ultraleichtflugzeugen bei einem Motorausfall eine schnelle Reaktion des Luftfahrzeugführers erfordert, um die Fluggeschwindigkeit aufrecht zu erhalten. Dazu wäre ein zügiges Nachdrücken des Höhenruders nötig gewesen, um die für die C42 B sichere Gleitfluggeschwindigkeit von 100 km/h einzunehmen. Die vom Augenzeugen beobachtete Linkskurve kurz vor dem Absturz ist mutmaßlich auf einen Querruderausschlag oder das Kreuzen der Ruder im überzogenen Flugzustand zurückzuführen, was zu einem einseitigen Strömungsabriss mit Abkippen führte.
Notlandeübungen immer in ausreichend großer Höhe durchführen
In ihrem Abschlussbericht geht die BFU auf die für das Üben von Notverfahren gültigen (Ausbildungs-)Vorschriften ein. Weder die Luftfahrtverbände noch der Gesetzgeber fordern, dass Notlandeübungen in geringer Höhe durchzuführen sind. Der Deutsche Aero Club (DAeC) und der Deutsche Ultraleichtflugverband (DULV) empfehlen im Gegenteil, sämtliche Manöver in Höhen von mindestens 2000 Fuß über Grund zu fliegen. Verboten sind sie in geringeren Höhen jedoch nicht.
Die BFU verweist in diesem Zusammenhang auf die Eigenverantwortlichkeit des Fluglehrers für den Realitätsgrad solcher Übungen. Letzterer sinkt naturgemäß mit steigenden Sicherheitsreserven. Die Ermittler zitieren außerdem aus der Flugunfallinformation V11 aus dem Jahr 1983, in der es heißt: „Die Schwierig keit beim Simulieren von Notfällen liegt in der Wahl des Zeitpunktes ihrer Beendigung. … Wird er zu früh gewählt, gehen wertvolle Erfahrungen verloren, bei zu später Wahl werden Mensch und Luftfahrzeug gefährdet.“
Ausführliches Notfall-Briefing unumgänglich
Es gibt also offensichtlich kein Patentrezept für die richtige Mischung aus Sicherheitsreserven und Realitätsgrad bei einer Notfallübung. Hier sind Augenmaß und Erfahrungswerte des Fluglehrers gefragt. Fest steht, dass der Motorausfall kurz nach dem Abheben eines der gefährlichsten und unfallträchtigsten Szenarien in der motorisierten Fliegerei ist. Eine realitätsnahe Simulation dieser Situationen ist für die Erhöhung der Flugsicherheit unerlässlich.
In jedem Fall erfordern derartige Übungen aber ein vorheriges Notfall-Briefing, in dem die erforderlichen Handlungen besprochen werden. Außerdem ist maximale Wachsamkeit des betreuenden Fluglehrers nötig. Es scheint außerdem sinnvoll, die Höhe, in der die Übung durchgeführt wird, an den Übungsstand des Flugschülers anzupassen. Inwieweit diese Aspekte bei dem beschriebenen Unfall zum Tragen kamen, bleibt aufgrund des äußerst tragischen Endes des Ausbildungsflugs unklar.
Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.
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