Praxis

/

Langsamflug

Schnell wollen Viele, langsam können Wenige richtig gut – dabei kommt es in zahlreichen Situationen darauf an, dass ein Pilot 
seine Maschine im unteren Geschwindigkeitsbereich sicher beherrscht

Von Redaktion
Mit wenig Fahrt zum Aufsetzpunkt: Wer das beherrscht, kann sich gefahrlos an eine geeignete Stelle heranpirschen

Ein Flugplatz mit hindernisfreiem Anflug. Und eine Cessna 172, die hinter der Bahn im Graben steckt – mit eingeknicktem Bugradfahrwerk. War der Platz zu kurz?

Falsche Anfluggeschwindigkeit

Nein: Die Piste ist 400 Meter lang. Was nicht gestimmt hat, war die Anfluggeschwindigkeit; die Maschine kam zu schnell rein. Dabei hätte sie nur 170 Meter zum Ausrollen gebraucht, wenn der Pilot lagsam genug angeflogen wäre, in diesem Fall mit 55 Knoten. Doch er war von seinem asphaltierten 1000-Meter-Heimatplatz verwöhnt, an dem es nie auf eine kurze Landerollstrecke ankam. Auch nicht darauf, gleich hinter der Schwelle aufzusetzen. 65 Knoten im Endanflug waren für den Piloten selbstverständlich. Landungen auf ganz normalen Plätzen können gefährlich werden, wenn der Pilot aus Angst vor dem Langsamflug beim Aufsetzen zu schnell ist.

LESEN SIE AUCH
Wissen

Landen auf schwierigen Plätzen

Erst recht gefährlich ist dann eine erzwungene Landung auf einem wirklich kurzen Notlandefeld. Ob man hinterher irgendwo wieder rausstarten kann, sollte unerheblich sein, wenn es darum geht, unbeschadet zur Erde zurückzukehren. Dafür reichen bei einer Cessna 172, die langsam angeflogen wird, knapp 200 Meter Rollstrecke. Wer den Langsamflug nie übt, denkt sofort ans Runterfallen, wenn er sich der Minderstfahrt nähert. Ein Flugzeug am unteren Ende seines Geschwindigkeitsspektrums sicher zu beherrschen, kann aber in vielen Situationen äußerst nützlich sein. Kurze Plätze und Notlandung – eh klar.

Langsamfliegen ist nicht gefährlich: Wer’s beherrscht, erhöht seine Sicherheit

Aber auch enge Kurven sind nur möglich, wenn man keine Geschwindigkeit vergeudet. So kann es in einem engen Gebirgstal wichtig sein, auf kleinstem Raum umzukehren, falls nach oben kein Fluchtweg besteht. Wie groß ist bei einer bestimmten Geschwindigkeit und Querneigung das Sicherheitspolster zur Stallspeed? Diese Frage muss ein Pilot auch beantworten können, wenn er langsame Kurven zur Bodenbeobachtung fliegt. Fotografieren und Filmen sind wohl die häufigsten Zwecke, zu denen mit möglichste kleinem Radius um einen Punkt am Boden gekreist wird. Die berüchtigte Verwandtenbesuchskurve, die im Strömungsabriss endet, weil die Maschine beim Kreisen überm Haus von Tante Berta überzogen wurde – sie wäre nie zum stehenden Begriff geworden, wenn der Langsamflug (mit Schräglage) für jeden Piloten ein vertrauter Flugzustand wäre.

Immer die volle Kontrolle

Ebenso sollte man jederzeit sicher in der Lage sein, den Landeanflug stark zu verlangsamen, sofern die Verkehrssituation dies erfordert, zum Beispiel bei Massenanflügen auf ein Fly-in. Schnell mal raus aus der „Spur“ und einen Kreis drehen: Das würde eine enorme Kollisionsgefahr erzeugen, wenn ein Schwarm von Maschinen dicht gestaffelt das gleiche Ziel ansteuert.

Ein Fehler, den Umsteiger auf schnellere Muster gelegentlich machen, ist zu viel Fahrt im Anflug. Über Land flott unterwegs, berücksichtigen sie in der Platzrunde nicht, dass sie die Geschwindigkeit stärker reduzieren müssen als mit ihrem vertrauten langsameren Muster – und überschießen jede Kehre. Wie langsam ist „langsam“? Jeder Flug hat zwei Phasen, in denen die Geschwindigkeit weit unter Reiseniveau liegt: Start und Landung. Beidesmal bewegt man sich allerdings in sicherem Abstand zum Strömungsabriss. Nach dem Abheben wird in der Regel auf das 1,4-fache der Stallspeed (Vs) beschleunigt, bevor der Steigflug beginnt. Für den Landeanflug hat sich 1, 3 mal Vs bewährt. In böiger Luft wird die halbe Differenz zwischen Windgeschwindigkeit und Böenspitze hinzugezählt (siehe auch Seite 67, Intensiv-Training im Winter) – so bleibt ein Fahrtpolster, falls eine Böe mal aus der falschen Richtung kommt, nämlich von hinten oder von oben.

Minimal Control Speed

Die Geschwindigkeit, bei der ein Pilot die Maschine noch sicher im Griff hat, heißt „minimal control speed“. In böenfreier Luft beträgt sie das 1,25-fache der Stallspeed. In diesem Geschwindigkeitsbereich sind auftriebserhöhene Vorkehrungen eine willkommene Hilfe. Sie ermöglichen es, ohne Auftriebseinbuße langsamer zu fliegen. Sofern Landeklappen nicht als reine Bremsklappen ausgelegt sind, erhöhen sie entweder nur die Profilwölbung – wie Wölbklappen und Spalt-/Doppelspaltklappen – oder sie vergrößern zusätzlich die auftriebserzeugene Fläche.

Mit und ohne Flaps: Schnelle Flugzeuge brauchen komplexe Auftriebshilfen

Solche Fowlerklappen fahren nach hinten unten aus, von Schienen geführt oder um eine tiefe Drehachse rotierend. Vorflügel wie bei einer Morane, beim Fieseler Storch oder der Me-108 gehören zu den Ausnahmen. Sie können fest vor dem Flügel montiert sein, automatisch ausfahren, wenn der Staupunkt mit zunehmendem Anstellwinkel nach unten wandert, oder vom Piloten aktiviert werden. Immer aber geht es darum, dass Luft durch einen Schlitz zwischen Vorflügel und Profilnase strömt, beschleunigt wird und die Grenzschicht auf der Profiloberseite stabilisiert. Dadurch ist ein größerer Anstellwinkel möglich, also bei gleichem Auftrieb weniger Fahrt.

Widerstand ist willkommen

Obwohl alle auftriebserhöhenden Systeme auch den Widerstand erhöhen, ist dieser Effekt durchaus erwünscht. Mehr Widerstand muss zwar mit mehr Motorleistung ausgeglichen werden. Doch so erhöht die vom Propeller beschleunigte Luft einerseits den Auftrieb, was eine weitere Fahrtreduzierung ermöglicht, andererseits werden auch die Leitwerksruder schneller angeströmt. Das kommt der Ruderwirkung zugute, die andernfalls im Langsamflug noch schlechter wäre. Sogar Bauteile oder Konturverläufe, die bei größerem Anstellwinkel nichts zur Auftriebssteigerung beitragen und nur erhöhten Widerstand produzieren, sind im Langsamflug willkommen, weil sie ein höheres Powersetting zulassen, ohne dass die Maschine Fahrt zulegt und steigt. Offene Fahrwerksschächte oder Streben, deren Stirnfläche sich bei Erhöhung des Anstellwinkels vergrößert, gehören zu solchen willkommenen Leistungseinforderern. Ein steil angestellter Rumpfboden hingegen wird zwar ebenfalls zur Bremse, erzeugt aber auch Auftrieb. Warum sind Buschflugzeuge niemals „clean“? Weil Widerstand bei kurzen Landungen willkommen ist – sofern man mit viel Motorleistung gegen ihn anblasen kann!

Low speed hoch über Grund

Zur Übung von Flugzuständen am unteren Ende des Geschwindigkeitsbereichs wählen wir eine sichere Höhe, mindestens 2000 Fuß über Grund, und einen Luftraum mit wenig Verkehr. Meistens wissen Piloten, wo in der weiteren Umgebung ihrs Heimatplatzes wenig los ist. Nach zwei Kreisen zur Vergewisserung, dass man wenigstens zu Beginn der Übung alleine ist, wird ein Referenzpunkt am Horizont ausgesucht. Zunächst steht Verlangsamung im Geradeausflug auf dem Programm. Dazu bringen wir die Maschine in Landekonfiguration. Je nach Komplexität heißt das: Tankwahlschalter auf den volleren Tank, Kraftstoffpumpe ein, Vergaservorwärung ein, Propeller auf flachste Steigung, Gas zurück, bis die Fahrt in den weißen Bereich der Geschwindigkeitsanzeige sinkt, Landeklappen auf Stellung 1 (zirka 10 bis 15 Grad) und Fahrwerk raus.

Fahrt raus, Flaps raus, Nase hoch: Mit dem Seitenruder gleicht der Pilot die Antriebseffekte aus

Wenn wir jetzt die Landeklappen weiter ausfahren, müssen wir Leistung nachschieben, um die Höhe halten zu können. Die meisten Flugzeuge werden auf diese Veränderung der Konfiguration mit Kopf- oder Schwanzlastigkeit reagieren. Das gleichen wir noch nicht sofort mit der Trimmung aus. Erst wenn 1,3 mal Vso anliegt und die Leistung so eingestellt ist, dass die Höhe konstant bleibt, nehmen wir mit der Trimmung den Ruderdruck raus. In ruhiger Luft kann man sogar bis zum 1,25-fachen der Stallspeed verlangsamen und den Flugzustand erneut austrimmen.

LESEN SIE AUCH
Wissen

Strömungsabriss

Dazu gehört auch, mit den Pedalen die Kugel der Libelle zu zentrieren. Durch den hohen Anstellwinkel bei relativ viel Gas machen sich die Antriebseffekte Slipstream, Torque und P-Faktor (siehe fliegermagazin #9.2010) deutlich bemerkbar, letzterer tritt überhaupt erst auf, wenn die Propellerebene nicht senkrecht zur Bewegungsrichtung steht, sondern geneigt. Dann haben die Propellerblätter auf der abwärts drehenden Seite des Propellerkreises mehr Anstellwinkel und als auf der aufwärts drehenden. Bei einer Maschine mit „Rechtsläufer“ zieht die Luftschraube rechts stärker als links. Korkenziehereffekt und Rückdrehmoment wirken in die gleiche Richtung – das Flugzeug braucht also Druck aufs rechte Pedal. Wer den Langsamflug mit weit ausgefahrenen Klappen und viel Power sicher beherrscht, wird kein mulmiges Gefühl haben, wenn er mit Schleppgas auf ein kurzes Landefeld zukriecht. Buschpiloten machen das mit 1,1 mal Vso.

Je steiler, desto schneller

Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Wahrnehmung ändert, je länger der Langsamflug dauert. Die reduzierten Windgeräusche können anfangs so beunruhigend sein, dass man glaubt, jeden Moment runterzufallen: Da fehlt doch was! Doch mit der Zeit wird die Akustik normal, und Entspannung kehrt zurück.

Strömungsdschungel: 
Verwirbelungen, Slipstream und asymmetrischer Schub verlangen präzisen Rudereinsatz

Von den Motordaten sollte in diesem Flugzustand vor allem die Zylinderkopftemperatur aufmerksam beobachtet werden. Durch die geringe Geschwindigkeit und den hohen Anstellwinkel funktioniert die Luftkühlung nicht so gut. Nähert sich die Zylinderkopftemperatur ihrem Grenzwert, tut man gut daran, den Langsamflug zu beenden. Auch bevor wir Kurven mit wenig Fahrt fliegen, checken wir, ob der Luftraum frei ist. Je größer die Schräglage, desto mehr Gas muss nachgeschoben werden, weil die projizierte auftriebserzeugende Fläche immer weiter abnimmt. Der Anstellwinkel kann ja nahe am Strömungsabriss nicht mehr erhöht werden, um das Auftriebsdefizit auszugleichen.

Je nach Anstellwinkel der Flächen verändert sich die Geschwindigkeit

Da hilft nur Speed. Beträgt die Überziehgeschwindigkeit im Geradeausflug beispielsweise 50 Knoten, so ist sie bei 30 Grad Querneigung auf 53,7 Knoten angewachsen, bei 45 Grad auf 59,4 Knoten und bei 60 Grad auf beachtliche 70,5 Knoten. Mit dem Seitenruder darf der Pilot im Langsamflug nur behutsam umgehen, denn  Bewegungen um die Hochachse könnten am verlangsamten Flügel die Strömung abreißen lassen. Dicht an der Stallspeed werden aber auch die Querruder mitunter zu Auftriebskillern.

LESEN SIE AUCH
Wissen

Blockiertes Seitenruder: Cessna 152 prallt in Zaun einer Besuchertribüne

Wer eine sinkende Flügelseite durch einen entgegengesetzten Querruderausschlag anheben will, riskiert genau durch diese Maßnahme einen Strömungsabriss. Das nach unten ausschlagende Ruder erhöht den effektiven Anstellwinkel – über den Wert hinaus, bei dem die Strömung der Profilkontur noch folgen kann. Im Langsamflug Höhe halten und koordinierte Kurven fliegen. Wer das geübt hat und stets weiß, wie groß sein Geschwindigkeitspuffer zur jeweiligen Stallspeed ist, wird es genießen, seine Maschine auf engstem Raum durch einen imaginären Slalomkurs zu dirigieren. Das macht nicht nur Spaß – bei einer schwierigen (Not-)Landung kann das Gelingen davon abhängen, ob der Pilot in der Lage ist, im Anflug Hindernissen auszuweichen und mit Mindestfahrt aufzusetzen. Ohne einen Meter zu verschenken.

Praxis Tipp: Problemlos Öl nachfüllen

Jeder Pilot kennt das: Entweder hat man gar keinen Trichter zum Nachfüllen von Motoröl dabei, oder man versaut sich Gepäckfach, Kleidung und Hände mit dem ölverschmierten Ding. Oft genügt zudem eine Böe, um den Ölstrahl auf dem Weg von der Flasche in den Trichter quer über die Cowling zu pusten. Oder beim Einfüllen aus der Plastikflasche kommt das Öl in plötzlichen Stößen aus dem Stutzen, weil nicht gleichmäßig Luft in die Flasche nachströmen kann.

Ganz ohne Trichter: Am Peilstab läuft das Öl ohne Kleckern und Verschütten in den Motor. Der oben liegende Stutzen der Ölflasche lässt Luft nachströmen

fliegermagazin-Leser Jan-Peter Fischer aus Schönhagen hat die Lösung für beide Probleme. Zum einen hält er die Flasche so, dass deren Stutzen beim Ausgießen oben liegt. So kann jederzeit Luft hinein. Zum anderen kommt er ganz ohne Trichter aus, selbst bei stärkerem Wind. Er zieht den Ölpeilstab mit einer Hand halb heraus, legt mit der anderen Hand den Stutzen der Ölflasche daran an und lässt das zähflüssige Öl am Stab in den Motor herablaufen. Die Haftung des Öls am Peilstab ist selbst bei größerer Menge erstaunlich zuverlässig.

Text und Zeichnungen: Helmut Mauch, Illustrationen, Eric Kutschke fliegermagazin 01/2011

Schlagwörter
  • Langsamflug
  • Langsamflugeigenschaften
  • Anfluggeschwindigkeit
  • Stallspeed
  • Landeklappen
  • Minimal Control Speed
  • Seitenruder