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Landen um jeden Preis: Geländekollision in Zell am See

Der Flugplatz Zell am See ist ein VFR-Platz, verfügt aber über ein IFR-Verfahren zum Wolkendurchstoß. Wer dessen enge Grenzen nicht beachtet, begibt sich in tödliche Gefahr. Wie dieser Fall samt ausführlicher Unfallanalyse zeigt.

Von Martin Schenkemeyer
Unfallstelle
Unfallstelle am Hang: Der stark zerstörte Rumpf der Cirrus lag nach dem Crash auf dem Rücken in schwer zugänglichem Gelände. Die Helfer mussten das Wrack mit Spanngurten gegen Abrutschen sichern. Foto: Sicherheitsuntersuchungsstelle des Bundes

Etliche kleinere Flugplätze in Österreich (und anderswo in Europa) verfügen über eine Art von Instrumentenanflugverfahren, die von deutschen Behörden bislang strikt abgelehnt wird. Zell am See (LOWZ) zählt dazu. Der Flugplatz ist ein reiner VFR-Platz; er hat mit 780 Metern Asphalt, von denen zur Landung 660 Meter verfügbar sind, eine vergleichsweise kurze Bahn. Sie ist unbeleuchtet, es gibt auch keine Gleitpfadbefeuerung (PAPI oder VASI).

Dennoch hat dieser Sichtflugplatz einen IFR-Anflug zum Wolkendurchstoß (auf Englisch cloud breaking). Folgt der Pilot einem solchen Verfahren, bei dem Abstände zu Hindernissen und Gelände sorgfältig vermessen sind, dann ist das bei schlechtem Wetter oft sehr viel sicherer als eine Annäherung an den Platz nach Sichtflug – gerade in schwierigem Gelände. Auch ist der Übergang vom Flug im IFR-System zur Sichtfluglandung unmissverständlich festgelegt.

IFR-Anflug auf VFR-Pisten: Grenzen verletzt

Das funktioniert allerdings nicht, wenn man die klar definierten Grenzen und Regeln für einen solchen Anflug verletzt, wie der Unfall eines deutschen Piloten nahe Zell am See am 21. Dezember 2019 zeigt.

Der 66 Jahre alte Pilot möchte die anstehenden Weihnachtsfeiertage mit seiner Familie im Salzburger Land in Österreich verbringen – wahrscheinlich lastet ein entsprechend hoher Erwartungsdruck auf ihm. Vom Heimatplatz Bonn-Hangelar (EDKB) startet er in seiner Cirrus SR22T um 11.46 Uhr UTC gemeinsam mit seinen beiden kleien Töchtern Richtung Alpen. An den Tagen zuvor hatte er sich intensiv mit der Wetterlage rund um Zell am See beschäftigt und den Flug aufgrund der Wetterprognose kurzerhand um einen Tag vorgezogen.

Fehlanflugverfahren: Der Pilot muss sicher sein, den Platz unter VFR-Bedingungen zu erreichen

Der IFR-Flug verläuft anfangs ereignislos. Innsbruck Approach fragt den Cirrus-Piloten schließlich, ob er den auf GPS basierenden RNP-Anflug (RNP = Required Navigational Performance) in Zell am See plane. Er antwortet mit „Affirmative, via NANIT“.

AnflugkarteAnflugkarte
Eigentlich sicher: Das IFR-Verfahren führt von NANIT (oben links) zum Punkt WZ803. Von dort muss man nach VFR zum noch relativ weit entfernten Platz LOWZ fliegen.

An diesem Initial Approach Fix (IAF) beginnt in 10 000 Fuß MSL der Anflug, der ins Salzachtal und nach Osten weitergeht (siehe Karte oben), wobei nach genauen Vorgaben gesunken wird. Am Missed Approach (MAPt) namens WZ803 darf die Cirrus nicht tiefer als 4690 Fuß MSL sein – 2220 Fuß über der Platzhöhe und immer noch 4,2 Nautische Meilen von der Schwelle der Piste 08 in Zell entfernt. 

An diesem Punkt greift die besondere Strenge eines Wolkendurchstoß-Verfahrens: Eine Fortsetzung des Anflugs ist ausschließlich nach VFR möglich. Der Pilot muss also entweder im Fehlanflugverfahren sofort wieder steigen oder absolut sicher sein, den Platz aus 4,2 Meilen Entfernung und 2220 Fuß Höhe AGL unter Sichtflugbedingungen erreichen zu können: im Luftraum G frei von Wolken, mit Erd- und 1,5 Kilometer Flugsicht.

Geschlossene Wolkendecke: VFR-Anflug unmöglich

Doch genau das erscheint an diesem Tag unmöglich: Der Zielflugplatz meldet eine geschlossene Wolkendecke in 400 Fuß über Grund sowie eine Sicht von nur 4,7 Kilometern und leichten Schneefall, was dem Piloten auch mitgeteilt wird. Trotzdem entscheidet sich der Familienvater, den Anflug fortzusetzen.

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Praxis Tipp: Landen unter schwierigen Bedingungen

Die Cirrus fliegt über WZ803 hinaus und sinkt weiter – jetzt nach VFR, aber aller Wahrscheinlichkeit nicht in VMC (visual meteorological conditions) und entsprechend vorschriftswidrig. Ob er den Direktanflug auf die Piste 08 plant, auf der bei vier Knoten Rückenwind Schneematsch liegt, ist unklar. 

Zu hoch für eine normale Landung: Der Pilot schaltet den Autopiloten ab

3,9 Nautische Meilen nach Passieren von WZ803 schaltet der Pilot den Autopiloten in einer Höhe von 1441 Fuß über Grund ab – er ist viel zu hoch für eine normale Landung. In den vorangegangenen 13 Minuten hat er insgesamt 17 Mal den vertikalen Modus des Autopiloten verändert. Möglicherweise wartete er darauf, dass ihm die Avionik einen so genannten „Advisory Glidepath“, also einen empfohlenen Gleitpfad zur Schwelle anzeigt. Bei einem Anflug, der nicht direkt auf eine Piste führt, wird dieser jedoch nicht dargestellt.

Das Flugzeug befindet sich inzwischen 300 Meter südlich der verlängerten Pistenmittellinie. Querab der Schwelle zur Piste 08 erhöht sich die Sinkgeschwindigkeit auf 2634 Fuß pro Minute und wird kurz darauf auf 1500 Fuß pro Minute reduziert. Der Tiefdecker sinkt nun weiter bis auf eine Höhe von nur noch 450 Fuß über Grund. Der Pilot leitet eine Linkskurve ein, als ob er in den Queranflug zur „26“ eindrehen wolle. Allerdings ist es dafür schon sehr spät, vor ihm erheben sich Berge. Kurz darauf korrigiert er den Kurs nach rechts. Doch der Platz reicht nicht für eine Kurve zurück ins Salzachtal, falls das die Absicht gewesen sein sollte.

Alle Warnungen ignoriert: Die Maschine prallt gegen einen Berg

Es folgt ein mehrfacher Wechsel von Steig- und Sinkflügen, bei dem die Überziehwarnung mehrmals anschlägt. Auch das verbaute Terrain Awareness and Warning System (TAWS) dürfte Alarm schlagen. Doch es ist zu spät: Mit einer Steiggeschwindigkeit von 732 Fuß pro Minute und maximaler Motorleistung prallt die Cirrus um 13.47 Uhr gegen einen bewaldeten Berg östlich des Flugplatzes auf dem Gebiet der Gemeinde Fischhorn.

Absicht des PilotenAbsicht des Piloten
Späte Entscheidung: Wollte der Pilot noch zur „26“ und entschied sich dann anders? Die Rechtskurve vor dem Crash ist rätselhaft.

Als die Retter den Unfallort erreichen, lebt der Pilot noch, ist aber im Wrack eingeklemmt. Er stirbt an der Unfallstelle. Seine beiden minderjährigen Töchter überleben zunächst schwer verletzt. Doch fünf Tage nach dem Unfall erliegt auch die ältere Tochter ihren Verletzungen im Krankenhaus. 

Ausweichflugplatz Salzburg: Der Pilot gab an einen Notfallplan zu haben

Warum der Familienvater den Anflug über den Fehlanflugpunkt WZ803 hinaus trotz widrigster Bedingungen fortsetzte, bleibt unklar. Bereits am Morgen hatte der Flugplatzbetriebsleiter dem Piloten telefonisch mitgeteilt, dass das Wetter nicht gut sei und am Nachmittag schlechter werde. Der Pilot gab an, dass er einen Anflug versuchen wolle und erwähnte, dass er einen Plan B und C parat habe. Als Ausweichflugplatz war im Flugplan Salzburg angegeben. Die Wetterbedingungen hätten dort eine Landung zum Beispiel per ILS zugelassen.

Von seinen Ausbildern und seinem Umfeld wurde der Privatpilot als gewissenhaft und eher vorsichtig beschrieben. Wettervorhersagen habe er konservativ interpretiert. Die Auswertung seines iPads ergab, dass er zwischen 17. und 21. Dezember 2019 unzählige Male Wetterdaten, Wetterkarten und Webcam-Bilder abgerufen hatte. Auch in der Luft dürfte er über ein satellitenbasiertes System im Flugzeug mehrfach aktuelle Wetterinformationen empfangen haben. Die schlechten Wetterbedingungen am Zielort und die Wetterentwicklung waren dem Piloten also hinlänglich bekannt.

Keine technischen Mängel: Der Flugplatz war dem Piloten unter Sichtflugbedingungen bekannt

Auch den Flugplatz Zell am See kannte er: Zwischen 2015 und dem Unfallflug flog er den Platz insgesamt elfmal an. Hierbei herrschte allerdings immer gutes Sichtflugwetter. Technische Mängel am Unfallflugzeug konnten nicht festgestellt werden.

So dürfte dem Piloten und seinen Töchtern letztlich der unbedingte Wille die Landung in Zell am See durchzuführen, zum Verhängnis geworden sein. Die Tragik gerade dieses Unfalls mit Kindern kurz vor Weihnachten macht umso deutlicher, was bei Risikoabwägungen in der Luftfahrt wirklich auf dem Spiel steht.

Text: Martin Schenkemeyer

Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

Schlagwörter
  • Geländekollision
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