Unfallakte

/

Kurioser Zweimot-Crash: Piper PA-34-220T landet wegen Spritmangel auf der Autobahn

Beim Fliegen gibt’s unangenehme und angenehme Geräusche. Das Schwappen
von Sprit im Tank nach der Landung gehört definitiv zu den angenehmen. Riskant wird es hingegen, wenn das Flugzeug noch im Flug wieder Durst bekommt

Von Redaktion

Es gibt bestimmte Konstellationen, da lassen Piloten die Spritkalkulation für ihren Flug schlichtweg unter den Tisch fallen. Wozu auch bei einer Cessna auf die Leiter steigen und den Stand des Treibstoffs kontrollieren, wenn man seinem Clubkameraden zugesehen hat, wie er die Maschine vollgetankt hat? Es stehen ja nur ein paar Platzrunden an. Und auch für den einen oder anderen Überlandflug, der zu einem nahgelegen Nachbarplatz führt, wird die Spritberechnung Pi mal Daumen durch einen Blick in die Tanköffnung erledigt.

Jedoch weiß trotz aller Laxheit das Gros der Piloten, dass niemand bei diesem Thema Spaß versteht. Eine Notlandung mit leergeflogenen Tanks bringt den verantwortlichen Piloten nicht nur gegenüber der Luftfahrtbehörde mächtig ins Schwitzen. Auch die Versicherung hat manch peinliche Frage parat. Trotzdem schaffen es immer wieder Luftfahrzeugführer mit einer Laisser-faire-Haltung bei der Treibstoffberechnung in die Untersuchungsberichte der Flugunfallexperten. Kraftstoffmangel-bedingte Abstürze machen einen nicht unerheblichen Teil der Arbeit von Flugunfalluntersuchern aus. Gelegentlich entnehmen diese Sprit aus den Tanks verunglückter Luftfahrzeuge in Tröpfchenmengen.

Am Vortag wurden 110 Liter Benzin in die Tanks einer Piper PA34-220T gefüllt

Berlin-Tempelhof am 23. November 2006. Nachdem am Vortag 110 Liter Benzin in die Tanks einer Piper PA34-220T gefüllt wurden, macht sich der Pilot am frühen Nachmittag auf den Weg zurück nach Essen-Mülheim. An Bord der Twin zwei Passagiere; der Trip ins Zentrum des Ruhrgebiets soll nach Instrumentenflugregeln stattfinden. Am Ziel ist eine Landung nach Sicht auf die Runway 25 geplant. Um kurz nach 14 Uhr hebt der Tiefdecker von der Piste des Berliner Stadtflughafens ab. Doch der Flug quer durch Deutschland endet nicht auf dem Asphalt des Flugplatzes Essen-Mülheim, sondern auf dem der Autobahn A 52. Denn als die Piper die Reiseflughöhe verlässt und sich mit ausgefahrenem Fahrwerk im Endanflug der Landebahn nähert, fallen kurz hintereinander beide Triebwerke aus. Dem Piloten bleibt gerade noch etwas Zeit, die Luftaufsicht über seine Notlandung zu informieren.

Ein Lkw-Fahrer, der auf der A 52 Richtung Dortmund unterwegs ist, sieht, wie ihm die tieffliegende Maschine auf der rechten Seite der Autobahn entgegenkommt. Nach einer Kurve ist die Zweimot über der Gegenfahrbahn, rasant verliert die antriebslose Twin an Höhe und kracht, nachdem sie mehrere Hindernisse berührt hat, vor den Laster des Augenzeugen. Ein Kleintransporter und Personenwagen können nicht mehr ausweichen und kollidieren mit der Piper. Deren Insassen überleben nicht nur den Absturz, sondern auch den folgenden Zusammenstoß. Herbeieilende Autofahrer helfen den Passagieren aus dem Blechknäuel, der Pilot kann allein aussteigen. Die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung bringen das Flugzeugwrack zum Flugplatz Essen-Mülheim. Aus der Krafttoffanlage können sie gerade mal 80 Milliliter Sprit ablassen …

Rasant verliert die antriebslose Twin an Höhe und kracht vor den Laster des Augenzeugen

Um den an der Unfallstelle ausgelaufenen Kraftstoff abzuschätzen, errechnet man anhand der im Bordbuch eingetragenen Flug- und Blockzeiten die Verbrauchsmenge. Nach den Aufzeichnungen wurde das Flugezug am 22. November morgens vollgetankt. Die Flugzeit bis zum Unfall betrug fünf Stunden und 28 Minuten. Die Blockzeiten addierten sich auf 55 Minuten. Berücksichtigt man, dass in Berlin 110 Liter getankt wurden, standen für Flug- und Blockzeiten insgesamt 576 Liter bereit. Laut Vercharterer verbrauchten die Triebwerke der Piper etwa 100 Liter pro Stunde. Als zusätzliche Infomation geben die Experten im Untersuchungsbericht an, dass bei Nachfragen auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof folgende „wesentliche Sachverhalte“ herauskamen:

  • Auf dem Standplatz des Flugzeugs äußerte der Pilot gegenüber dem Tankwart zunächst, dass er volltanken möchte.
  • Der Pilot erfuhr, dass nur Diners-Kreditkarten beziehungsweise Bargeld akzeptiert werden.
  • Daraufhin fragte er nach dem Literpreis des Kraftstoffs und entschied sich, für 200 Euro zu tanken.
  • Die Tanks der Piper wurden mit 110 Liter Sprit gefüllt, 55 auf jeder Seite.

Pilot der Piper PA-34: Auf den letzten Cent getankt

Das war’s. Damit endet der Bericht, eine konkrete Absturzursache wird nicht genannt. Hintergrund der BFU-Knappheit: Immer mehr Flugunfälle werden summarisch abgeschlossen, das heißt ausschließlich mit Darstellung der Fakten. Die Behörde beruft sich bei dieser Vorgehensweise auf den Paragraph 18 Abs. 4 Flugunfalluntersuchungsgesetz. Dort steht: „Unfälle und Störungen, deren Untersuchungsergebnisse nicht von besonderer Bedeutung für die Flugsicherheit sind, werden mit einem summarischen Untersuchungsbericht abgeschlossen“. Wie auf Nachfrage zu erfahren war, wolle die BFU „die vorhandenen limitierten Kapazitäten auf Untersuchungen mit besonderer Bedeutung für die Flugsicherheit konzentrieren“. Wir werden in einer der nächsten Ausgaben über diese Entwicklung berichten, die weit reichende Folgen für die Gefahrenanalyse in der Allgemeinen Luftfahrt (AL) Deutschlands hat.

Somit bleibt im vorliegenden Fall nur übrig, Vermutungen anzustellen. Eine davon könnte lauten: Der 46-jährige Pilot mit 250 Stunden Gesamterfahrung hat sein letztes Bargeld zusammengekratzt, um den Sprit für den Rückflug zu bezahlen. Zwar sind die Werte, die Tankanzeigen in den meisten Flugzeugen der AL aufgrund ihres mechanischen und elektrischen Aufbaus wiedergeben, mit erheblichen Toleranzen behaftet. Aber es ist tödlicher Leichtsinn, im Flug knapp bis an die Grenze des nichtausfliegbaren Sprits zu gehen. Denn eines verlangen die Bauvorschriften für AL-Flugzeuge: Die Instrumente der Spritvorrats-Messung müssen bei Erreichen dieses Wertes „Null“ anzeigen. So dürfte es ziemlich wahrscheinlich sein, dass dem Piloten schwahnte, welches Vabanquespiel er da trieb. Reine Ironie ist, dass die Zweimot nach ihrem Crash ausgerechnet vor einem Tanklastzug zum Stehen kam.

Tipps zum Kraftstoffmanagement

  • Tankanzeigen sind meist ungenau und können eine realistische und gründliche Berechnung des Kraftstoffverbrauchs auf keinen Fall ersetzen.
  • Planen Sie stets eine ausreichende Menge Sprit ein. Die Reserve sollte für eine Flugzeit von 45 Minuten reichen.
  • Betrachten Sie märchenhafte Verbrauchsangaben anderer Piloten mit Vorsicht, auch deren „spezielle Leantechnik“.
  • Beachten Sie Hinweise im Flughandbuch. Noch besser: Erfliegen Sie sich nach Möglichkeit exakte Verbrauchswerte.
  • Denken Sie bei überschlägigen Berechnungen von Verbrauchswerten stets daran, dass in vielen Flughandbüchern Endurance-Diagramme nur für einen Flug gelten. Bei mehreren kurzen Flügen ist der tatsächliche Verbrauch in der Regel wesentlich höher.
  • Überprüfen Sie während des Fluges wiederholt den tatsächlich verbrauchten Kraftstoff für jeden einzelnen Streckenabschnitt. Wieviel bleibt für die Reststrecke übrig? Müssen Sie die Reserve ankratzen?
  • Beim geringsten Zweifel, dass der Zielplatz mit dem verbleibenden Sprit nicht erreicht werden kann, sollte man zwischenlanden und nachtanken.

Text: Markus Wunderlich, fliegermagazin 4/2007

Schlagwörter
  • Unfallakte
  • Autobahn
  • Piper PA34-220T
  • Essen-Mühlheim
  • ‎EDLE
  • EDDI
  • Spritberechnung
  • Tanköffnung
  • Nachbarplatz
  • Spritkalkulation
  • Literpreis
  • Endurance-Diagramme
  • Verbrauchsangaben
  • Leantechnik
  • Kraftstoffverbrauch
  • Grenze des nichtausfliegbaren Sprits
  • Vabanquespiel
  • Toleranzen
  • letztes Bargeld
  • Gefahrenanalyse
  • Bargeld
  • Kreditkarte
  • Berlin-Tempelhof
  • Treibstoff
  • Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung
  • BFU
  • Instrumentenflugregeln
  • Twin
  • Notlandung
  • Zweimot
  • Motorausfall
  • Kollision
  • Überlandflug
  • Tiefflug
  • Cessna
  • Sprit
  • Allgemeine Luftfahrt
  • Tiefdecker
  • Piper
  • Vercharterer
  • Luftaufsicht
  • Piper PA-34
  • Verbrauchswerte
  • antriebslos
  • Reiseflughöhe
  • PA34
  • summarisch abgeschlossener Untersuchungsbericht
  • Tanks
  • vollgetankt
  • Zusammenstoß
  • Kraftstoff
  • Benzin
  • Flughandbuch
  • Tankanzeige
  • Triebwerksausfall
  • Ruhrgebiet