Kollisionsgefahr im An- und Abflug: Ungewollte Nähe
Geschwindigkeitsunterschiede zwischen Verkehrsteilnehmern lassen die Abstände oft stärker schrumpfen als erwartet. Wie und wann schafft der Pilot genügend Luft zwischen sich und anderen?
Zusammenstoß mit einem anderen Flugzeug – eine Horrorvorstellung für Piloten. Selbst für solche, deren Luftfahrzeug ein Rettungssystem hat: Eine Kollision kann es nutzlos machen, wenn der Pilot handlungsunfähig ist oder das System seine rettende Funktion nicht erfüllt – weil es zu spät ausgelöst wird, weil der Ausschuss misslingt, weil sich die beiden Maschinen miteinander verkeilten oder der Schirm sich irgendwo verfängt.
Viele Piloten beunruhigt das Szenario, vollkommen ahnungslos mit einem anderen Verkehrsteilnehmer zusammenzustoßen, irgendwo unterwegs, trotz Einhaltung der Halbkreisflugregeln, ohne sich gesehen oder auch nur voneinander gewusst zu haben. Es stimmt ja auch: Luftfahrzeuge wie ULs oder Segelflugzeuge brauchen keinen Transponder, ohne korrespondierende Kollisionswarner bleiben Annäherungen unbemerkt, und die FIS-Lotsen geben lediglich Verkehrshinweise, nur in Luftraum C wird VFR- von IFR-Verkehr gestaffelt. Doch ist die Gefahr deshalb genauso diffus wie bei einem Verbrechen, das im Verborgenen lauert?
Viele Kollisionen passieren am Tag
Tatsächlich passieren die meisten Kollisionen unter anderen Bedingungen: bei guter Sicht, am Tag und dort, wo alles geordnet erscheint – bei Start und Landung, im An- und Abflug, in der Platzrunde. Häusliche Gewalt sozusagen, oft unterschätzt.
Bei anfliegendem Verkehr beginnt die kritische Phase schon weit vor dem Flugplatz. Im Funk nennt ein Pilot Rufzeichen, Flugzeugtyp, Position und die Absicht zu landen. Mithörende, die am Platz oder in Platznähe sind, können anhand dieser Informationen abschätzen, wann der gemeldete Verkehr wo sein wird. Also auch: wie nah bei mir. »Delta-Kilo« … verrät, dass es sich um einen Motorsegler handelt, in der Regel also um ein langsames Flugzeug. Auch auf einige Delta-Mike-Muster trifft das zu, viele bewegen sich aber auf dem Geschwindigkeitsniveau der Echo-Klasse.
Wer »Delta India …« hört, kann hingegen davon ausgehen, dass sich die mehrmotorige Maschine deutlich schneller nähert als ein E-Klasse-Vertreter; selbst im Endanflug wird sie nicht langsamer als 90 Knoten sein. Wichtig ist diese grobe Unterteilung dann, wenn der Flugzeugtyp unbekannt ist. Bei »Piper PA-18« vermag jeder die Speed einzuschätzen – aber bei »Brditschka HB-207«, vielleicht ohne Klassenhinweis, weil mit ausländischem Rufzeichen?
Sehr kollisionsträchtig ist die Kombination Hochdecker-Tiefdecker
Vor allem Piloten von unbekannteren Typen sollten sich nicht mit »fünf Minuten westlich Ihres Platz« melden, weil daraus kaum jemand eine Position ableiten kann, sondern mit der tatsächlichen Entfernung vom Flugplatz, der Höhe und der Himmelsrichtung bezogen aufs Ziel. Zumindest kennen dann alle den Flugweg, auch wenn für den Einen oder Anderen unklar bleibt, wann der Anfliegende wie viel davon zurückgelegt haben wird.
Besonders kollisionsträchtig ist die Kombination Hochdecker-Tiefdecker. Im Geradeausflug sieht der Hochdecker-Pilot nicht nach oben, der Tiefdecker-Pilot nicht nach unten; in Kurven ist dem einen die Sicht nach innen versperrt, dem anderen nach außen. Deshalb empfiehlt es sich, in der Platzrunde immer wieder kurz die Querneigung zu verändern, um sich einen Überblick zu verschaffen. Die Alarmglocken müssen angehen, wenn jemand im Funk eine Position meldet, die der eigenen entspricht: nichts wie weg! Aber nicht kopflos irgendwo hin: Erst schauen, ob die andere Maschine querab fliegt oder gerade dabei ist zu überholen. Tiefdecker ziehen im Zweifelsfall hoch, weil dort der Luftraum im Blickfeld liegt, Hochdecker sinken, wenn unten alles frei ist und die Flughöhe es erlaubt.
Der Abstand zum Vorausfliegenden ist manchmal kleiner als erwartet
Jeder kennt das: Bei vollkommen übersichtlicher Verkehrssituation ist man in der Platzrunde die Nummer zwei, der Abstand zum Vorausfliegenden scheint groß genug, doch irgendwann, vielleicht erst im Endanflug wird er zu klein. Die Nummer eins ist langsamer als erwartet oder rollt ewig, bis sie die Piste verlässt. Als Aufrückender verharrt man jetzt gern im Kontinuum des eigenen Anflugs – und unterschreitet den Sicherheitsabstand:
Das reicht schon. Oder man reduziert die Anflugspeed unter das vertretbare Minimum, was den Strömungsabriss in gefährliche Nähe rückt.
Auch eine S-förmige Flugbahn, mit kleinen wendigen Flugzeugen verlockend, ist Stall-trächtig: Sie verlängert zwar die zurückgelegte Distanz, erhöht aber bei Schräglage die Stallspeed, und wenn das Querruder nach unten ausschlägt, kann der Flügel in diesem Bereich den kritischen Anstellwinkel erreichen.
Kollisionsgefahr: Piloten weichen von der erwarteten Flugbahn ab
Die Idee, eine kurze Landung zu machen, ist ebenfalls keine Lösung. Wie auch immer sie ausfällt – der Abstand zur Nummer eins mag dennoch nicht ausreichen. Unter Umständen verlässt sie die Piste ja gar nicht, ihr Motor könnte stehenbleiben, oder sie macht einen Landeunfall. Nie darf der Abstand zum Vorausfliegenden so klein sein, dass man nur dann sicher runterkommt, wenn der Andere kooperiert.
Hilfsbereitschaft kann auch kontraproduktiv sein. Gelegentlich wähnt sich jemand in der Platzrunde als »Bremser«, wenn die Positionsmeldungen des nachfolgenden Verkehrs darauf hindeuten, dass er sich rapide nähert. Dann kommt schon mal das Angebot einer langen Landung. Das ist entgegenkommend gemeint, aber keine Garantie dafür, dass der Abstand auf diese Weise groß genug bleibt. Oder Beflissenheit führt zu Abweichungen von der erwarteten Flugbahn mit schwer abzuschätzenden Folgen: »Ich mach einen Vollkreis.« Vor allem wenn sich der langsame Ausscherer wieder in den Verkehr einfädelt, kann die Kollisionsgefahr zunehmen, denn niemand rechnet auf einem Anflugschenkel damit, dass jemand von der Seite kommt. Wer sich vor dem Einflug in die Platzrunde ein Bild vom Verkehr macht, kann zumindest nach vorn einen hinreichend großen Puffer schaffen.
Frühzeitiges Durchstarten im Endanflug entzerrt die Situation
Im Endanflug entzerrt frühzeitiges Durchstarten die Situation. Warten bis kurz vor der Schwelle kann zu spät sein, denn zunächst schwindet die Höhe weiter: Vergaservorwärmung rein, Vollgas geben, Fahrt aufnehmen, Klappenstellung reduzieren – erst dann sind die Voraussetzungen für den Steigflug erfüllt. Zuvor kann es notwendig sein, die Pistenachse zu verlassen, um der Nummer eins seitlich auszuweichen, sinnvollerweise auf der »toten Seite« außerhalb der Platzrunde. Dichtes Überfliegen verbietet sich: Was ist, wenn der vertikale Abstand nicht ausreicht? Vielleicht startet der Andere ja aus einem Grund durch, mit dem man nicht gerechnet hat.
Doch so weit sollte es gar nicht erst kommen. Dicht aufgeschlossen ist man den Wirbelschleppen des Vorausfliegenden ausgesetzt. Das erschwert die Kontrolle des Flugzeugs bis hin zu ungewolltem Höhenverlust, der in Bodennähe fatal sein kann.
Bei Fly-ins kann es besonders schwierig werden
Auch im Abflug schlagen Wirbelschleppen zu. Viel Gas und großer Anstellwinkel – da hält man tunlichst Abstand. Wer von hinten aufschließt, sollte eine Flugbahn oberhalb des Vordermanns wählen, sofern die Steigleistung es erlaubt. Wenn nicht, fliegt man seitlich weit versetzt.
Bei Fly-ins ziehen euphorisierte Piloten manchmal dicht an einer zuvor gestarteten Maschine vorbei, um ihre überlegene Performance zu demonstrieren. Oder es kommt zu Überholmanövern, weil alle die gleiche Abflugroute wählen, etwa von einer Insel zum nächstgelegenen Punkt des Festlands. (Für Anflugrouten gilt dasselbe.) Von Wirbelschleppen ganz abgesehen – woher weiß der Überholer eigentlich, dass der Überholte nicht im nächsten Moment seine Flugrichtung ändert? Kommunikation ist das Mindeste, was vom Schnelleren zu erwarten ist, während er sich annähert und solange er davon ausgehen kann, dass der Langsamere noch auf der Flugplatzfrequenz ist: »Blauer Hochdecker im Abflug von der Piste xy, passiere Sie auf Ihrer rechten Seite.« Größeren Abstand zu halten wäre sicherer.
Text & Zeichnungen: Helmut Mauch, Peter Wolter / Illustrationen: Eric Kutschke
Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.
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