Unfallakte

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Kollision mit Schleppseil: Robin DR 400 in Bad Neuenahr-Ahrweiler

Rückspiegel, Außenspiegel, Schulterblick – Routine für jeden umsichtigen Autofahrer. Auch in einer Robin DR 400 kann der Blick in den Rückspiegel für Pilot und Fußgänger lebensrettend sein – falls denn einer vorhanden ist

Von Redaktion

Anflugzone freihalten, Lebensgefahr“ steht in großen Lettern auf den Warnschildern am Zaun. Zwar ist der Schriftzug am Sonderlandeplatz Bad Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz stark verblasst. Die Buchstaben sind aber ins Blech geprägt und vom Feldweg, der am Flugplatzgelände vorbeiführt, noch zu erkennen. Dessen ungeachtet laufen am Nachmittag des 11. Oktober 2003 zwei Spaziergänger am Zaun entlang. Sie kennen das Areal und wissen um den Flugverkehr, mit dem hier zu rechnen ist. Dass aber höchste Lebensgefahr droht, ahnen beide nicht.

Zur gleichen Zeit dreht eine Robin DR 400/ 180R nordöstlich des Platzes vom rechten Gegenanflug zur Piste 29 in den Queranflug ein. Die Schleppmaschine hat kurz zuvor ein Segelflugzeug auf 2000 Fuß Höhe gezogen und ist anschließend wieder in die Platzrunde zurückgekehrt. Jetzt hat der Pilot die Landeklappen in die erste Stufe gefahren und den elektrischen Tastschalter zum Einziehen des 50 Meter langen Schleppseils gedrückt. Das Kontrolllämpchen leuchtet zur Bestätigung rot auf. Die Robin kurvt bereits ins Endteil ein, als der Tastschalter automatisch in die Ausgangsposition zurückspringt und das rote Lämpchen erlischt. Für den Piloten das Zeichen dafür, dass das Schleppseil vollständig eingezogen ist – ein fataler Irrtum, wie sich zeigen sollte.

Die Robin ist bereits tief und geht in den Abfangbogen über – in direktem Anflug auf die Spaziergänger

„Seil hängt noch draußen“, meldet der Startleiter Sekunden später über Funk. Die Warnung kommt zu spät. Die Robin ist bereits tief und geht in den Abfangbogen über – in direktem Anflug auf die Spaziergänger. Starr vor Schreck sehen der Mann und die Frau den Tiefdecker mit heraushängendem Schleppseil auf sich zuschießen. Beide schaffen es nicht mehr, sich aus der Gefahrenzone zu retten, und werden von dem frei schwingenden Stahlseil erfasst. Die junge Frau zieht sich dabei schwere Verletzungen zu, ihr Begleiter kommt mit leichten Schürfwunden davon. Das Seil reißt dabei in einer Länge von knapp 48 Meter ab. Nur Augenblicke später setzt die Robin dicht hinter der Schwelle auf.

Bei ihren Nachforschungen stellen die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) fest, dass die Seileinzugsvorrichtung der DR 400 keineswegs defekt war, sondern einwandfrei funktionierte. Was aber war geschehen? Licht ins Dunkel bringt ein Blick in die Betriebsanweisungen der Robin. Dort heißt es: „Der Seilzug wird durch einen Tastschalter ausgelöst. Eine rote Kontrolllampe zeigt den Betrieb der Einziehwinde an. Nach dem Auflaufen schaltet der Tastschalter automatisch ab.“ Doch weder am automatischen Tastschalter noch an dessen Kontrollleuchte konnte der Pilot erkennen, ob das Seil tatsächlich eingezogen war. Die Schalterstellung „On“ und das leuchtende Lämpchen zeigten lediglich an, dass die Winde mit Strom versorgt wurde.

Das Schleppseil ist nicht eingezogen: Kollision mit Spaziergängern

Es war also durchaus möglich, dass trotz dieser Anzeige das Seil im Heck der Robin blockierte. Darauf weist auch das Flughandbuch hin: „Es kann vorkommen, dass sich im Schleppseil Kringel bilden. Das Seil kann dadurch nur bis zu dieser Stelle eingezogen werden, und der Tastschalter schaltet automatisch ab.“ Der Windenantrieb deaktiviert sich demnach im Falle einer Störung nach vier bis sechs Sekunden, dabei springt der Tastschalter in die „Off“-Position zurück. Der Pilot kann das Windengetriebe nach einer solchen Störung aber sofort wieder einschalten. Der Einzug des Schleppseils wird dann einfach fortgesetzt. Um zu überprüfen, ob das Seil beim Erlöschen der Kontrollleuchte tatsächlich eingezogen ist, würde ein Blick in den Rückspiegel genügen. Doch ein solcher wurde bei der Unfallmaschine nie montiert. Brisant dabei: Das Defizit war bei der letzten Jahresnachprüfung offensichtlich weder bemerkt noch beanstandet worden.

Immerhin ist für den Betrieb der Schleppseilwinde ein Rückspiegel auf der linken Tragfläche ausdrücklich vorgeschrieben. Ein Sicherheitsverfahren, das auf den fehlenden Rückspiegel abgestimmt war, gab es nicht. Warum das Windengetriebe blockiert hatte und wieviel Seil tatsächlich aus dem Heck der Maschine heraushing, konnten die BFU-Ermittler nicht klären. Tatsache ist, dass das Stahlseil in fast voller Länge abgerissen war. Für den Fall einer Störung im Landeanflug gab die Betriebsanweisung vor: „Sollte das Schleppseil nicht oder nicht ganz eingezogen sein, so kann bei ausreichender Platzlänge mit Seil gelandet werden. Nur in Notfällen oder bei Hindernissen müsste das Schleppseil aus Sicherheitsgründen gekappt werden.“ Aus der niedrigen Anflughöhe und dem frühen Aufsetzen der Robin lässt sich schließen, dass der Pilot tatsächlich bis kurz vor der Landung davon ausging, das Schleppseil vollständig eingezogen zu haben.

Der Robin-Pilot ging bis kurz vor der Landung davon aus, das Schleppseil vollständig eingezogen zu haben

Darüber hinaus existieren keine Aufzeichnungen über den Anflug und die Landung. Auch die Umstände des Seileinzugs konnten die Experten nur eingeschränkt beurteilen. Nach Angaben des Piloten flog die Schleppmaschine innerhalb der zulässigen Geschwindigkeit. Kurz vor dem Aufsetzen hatte er lediglich „mehrere Ruckbewegungen“ bemerkt. Den Spaziergängern wäre es zwar durch aufmerksames Beobachten des Flugverkehrs möglich gewesen, die Gefahr zu erkennen, so die Unfallermittler. Jedoch suggerierten ihnen die Warnschilder, die innerhalb des Flugplatzgeländes mit der Rückseite zur Piste aufgestellt waren, dass der Feldweg außerhalb der Gefahrenzone liege. Zudem kam die Schleppmaschine im Endanflug mit gedrosselter Motorleistung an und war daher kaum zu hören. Die Fußgänger wurden demnach von der Robin und dem herabhängenden Seil offensichtlich völlig überrascht.

Als Hauptursache des Unfalls werten die Ermittler aber die trügerische Annahme des Piloten, das Schleppseil eingezogen zu haben. Die Einsicht, dass ein einfacher Rückspiegel diesen Irrtum hätte verhindern können, kam bei Piloten und Prüfern zu spät: Erst nach dem Unglück wurde der fehlende Spiegel auf der linken Tragfläche angebracht. Eine Nachlässigkeit, die angesichts einer unscheinbaren Notiz im Flughandbuch umso unverständlicher erscheint: Dort hatte jemand jene Stelle, in der die Verwendung des Rückspiegels beschrieben wird, nachträglich mit mehreren Ausrufezeichen am Seitenrand versehen – den Schlepppiloten und den verantwortlichen Prüfern war auch das offensichtlich entgangen.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 5/2007

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