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Im toten Winkel: Zusammenstoß von DV-20 Katana und AS 332 „Super Puma“
Sehen und gesehen werden – besonders bei VFR-Flügen in Platznähe ist beides überlebenswichtig. Wer sich darauf verlässt, dass die anderen alles im Blick haben, hat schon den ersten Schritt auf dem Weg zur Katastrophe getan

Wer nicht sieht, was um ihn herum los ist, hat bei VFR-Flügen schlechte Karten. Ein hindernisfreier Blick aus dem Cockpit gehört deshalb in modernen Flugzeugen zum Sicherheitsstandard. So ist die Rundumsicht im Heli-Cockpit fast schon sprichwörtlich. Auch Flächenflugzeuge bieten heute in der Regel ein großes Blickfeld. Aber selbst moderne Tiefdecker mit vollverglaster Cockpithaube und auch die Kanzel eines Drehflüglers haben ihre Achillesfersen. Dazu gehört das trügerische Gefühl des absoluten Durchblicks.
Es ist vielleicht dieses Gefühl, mit dem zwei Piloten an einem sonnigen Vorfrühlingstag im März 2007 ihre Maschinen startklar machen. Am österreichischen Flugplatz Zell am See lässt der Pilot einer DV 20 Katana um 9.46 Uhr den Rotax 912 seiner Maschine warmlaufen. Der 49-Jährige will nach Lienz in Osttirol fliegen. Etwa zur gleichen Zeit startet ein Helikopter des Typs AS 332 „Super Puma“ von einem Heliport nahe Kaprun. Sein Ziel ist das oberbayerische Berchtesgaden. An Bord sitzen außer dem Piloten sechs Geschäftsleute. Für den Vormittag sind in der Region sehr gute Sichten und nur wenige hohe Wolkenfelder vorhergesagt. Erst am Nachmittag wird von Westen eine Kaltfront und in den Abendstunden Regen erwartet. In den Kammlagen warnt der Wetterdienst vor Turbulenzen.
Die DV 20 Katana startet in Zell am See
Um 9.49 Uhr steht die Katana am Rollhalt der Piste 08, wenige Augenblicke später hebt sie ab. Der Hubschrauberpilot ist zu dieser Zeit bereits in der Luft und meldet der Flugbetriebsleitung in Zell am See seine Position und die Absicht, den Flugplatz in Richtung Norden zu überqueren. Der Flugleiter weist den 37-Jährigen auf die gerade startende Katana hin. Sonst gibt es zu dieser Zeit keinen Verkehr im Bereich des Platzes. Kurz darauf meldet der Helikopter, die Katana im Querabflug in Sicht zu haben. Wenig später erreicht der Tiefdecker das Südufer des Zeller Sees und dreht nach links, um den Pflichtmeldepunkt November 2 zu überfliegen. Dort gibt der Pilot jedoch keine Positionsmeldung ab. Die Katana dreht anschließend nochmals nach links und folgt dann der Hangkante am Rand des Tals Richtung Südwest.
Der Helikopter überfliegt in diesem Moment im Horizontalflug mit etwa 120 Knoten den Zeller Ortsteil Bruckberg in Richtung Nord-Nordost. Die Piloten ahnen nicht, in welcher Gefahr sie sich befinden: Beide Maschinen sind jetzt unmittelbar auf Kollisionskurs, die Katana etwas unterhalb des Helis, aber noch immer im Steigflug. Vermutlich erst im letzten Moment erkennen die Piloten die jeweils andere Maschine, für ein Ausweichmanöver ist es jedoch zu spät. Um 9.53 Uhr krachen die DV 20 und der Hubschrauber etwa 850 Fuß oberhalb der Hangkante, südwestlich von Zell am See, ineinander. Beide Maschinen werden beim Aufprall auseinandergerissen, dabei kommt es zu einer heftigen Explosion. Der gesamte vordere Rumpf des Tiefdeckers dringt in das Cockpit der Super Puma ein. Die Kabine des Hubschraubers wird samt Heckausleger hinter dem Cockpitdurchgang abgerissen. Alle sieben Insassen des Helikopters und der Pilot der Katana kommen bei dem Zusammenstoß ums Leben.
Auf Kollisionskurs: Die Insassen von Helikopter und Kleinflugzeug haben keine Chance
Die österreichische Flugunfalleruntersuchungsstelle nimmt bereits kurz nach der Sicherung der Wracks die Ermittlungen auf. Die Arbeit der Experten wird von den zuständigen Justizbehörden zunächst massiv behindert. Unter anderem verweigert man den Ermittlern den Zugang zum Unfallort. Die Behinderungen erschweren und verzögern die Untersuchungen. Trotzdem können die Unfallermittler die entscheidenden Minuten vor dem Zusammenstoß und die Hintergründe der Katastrophe genau rekonstruieren. Zwei Faktoren zeichnen sich dabei als wesentlich für den Ablauf des Unglücks ab: mangelhafte Kommunikation und schwierige Sichtverhältnisse.
Bei Letzterem kommen gleich mehrere Schwachstellen zusammen: Trotz der eigentlich hervorragenden Sicht sowohl aus der Kanzel des Hubschraubers als auch durch die vollverglaste Cockpithaube der DV 20 offenbart die Rekonstruktion des Geschehens, dass die visuelle Wahrnehmung vor dem Zusammenstoß für beide Piloten deutlich eingeschränkt war. Die Maschinen bewegten sich in derart unglücklichen Flugbahnen aufeinander zu, dass sie für den jeweils anderen entweder nur am Rande seines Blickfelds auftauchten oder sogar durch das Panel beziehungsweise durch Rahmenteile der Helikopter-Kanzel verdeckt waren (siehe Grafik oben). Beide flogen gewissermaßen im totem Winkel des anderen. Das im Türfenster des Hubschraubers reflektierende Sonnenlicht dürfte die Sicht des Heli-Piloten zusätzlich eingeschränkt haben.
Beide Piloten fixierten vermutlich das ansteigende Gelände an der Hangkante
Außerdem zeigten mehrere Versuchsflüge ein erstaunliches Phänomen: Piloten, die am Rand des Tals unterwegs sind, neigen dazu, das ansteigende Geländ zu fixieren. Die Probanden konnten den Blick dabei längere Zeit nicht von der Hangkante abwenden. Die Wahrnehmung anderer Reize wie zum Beispiel entgegenkommende Flugzeuge wurde deutlich reduziert. Erschwerend kommt hinzu, dass weder die Katana noch der Helikopter den Landescheinwerfer eingeschaltet hatte. Dadurch wären beide Maschinen wesentlich besser erkennbar gewesen. Darüber hinaus waren beide Luftfahrzeuge durch ihre vergleichsweise unauffällige Lackierung gegenüber dem Gelände nur schwer auszumachen. Diese Verkettung unglücklicher Umstände hätten die Piloten durch eine klare Kommunikation vermutlich durchbrechen können.
Allein das Bewusstsein dafür, durch Missverständnisse und durch den Verzicht auf Informationsaustausch in eine gefährliche Situation geraten zu können, fehlte offenbar. Wahrscheinlich hatte der Katana-Pilot die Funkmeldung des Hubschraubers und dessen Absicht, den Zeller Flugplatz in Richtung Norden zu kreuzen, nicht gehört. Seinerseits gab er beim Überflug des Pflichtmeldepunkts November 2 keine Positionsmeldung ab. Im Heli-Cockpit könnte das zu der irrtümlichen Annahme geführt haben, der Tiefdecker sei entsprechend dem Verfahren am Platz weiter östlich von November 2 unterwegs, um über den Pflichtmeldepunkt November 1 den Nahverkehrsbereich zu verlassen. Auch die Verkehrsregeln am Zeller Flugplatz offenbaren eine gefährliche Schwachstelle: das An- und Abflugverfahren. Eine strikte Trennung sowohl des an- und abfliegenden als auch des kreuzenden Verkehrs hätte die Piloten wohl nicht so nahe zusammen gebracht.
Flugplatz Zell am See: Schwachstelle An- und Abflugverfahren
Auf ein weiteres Glied in der Kette unglücklicher Umstände stießen die Unfallexperten in den Dokumenten des Hubschrauberpiloten. Seine Flugplanung basierte vermutlich auf einer Anflugkarte von Zell am See, in der eine festgelegte Platzrundenhöhe von 3500 Fuß eingetragen war. Laut AIP, die der Katana-Pilot für seine Planung verwendet hatte, gilt jedoch eine Mindestflughöhe von 3500 Fuß MSL – ohne Obergrenze. Während der Flächenpilot also über die 3500-Fuß-Marke gestiegen war, hatte sich der Pilot der Super Puma vermutlich in der trügerischen Sicherheit gewogen, oberhalb dieser Höhe keinen Platzrundenverkehr anzutreffen
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 4/2010
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