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Hugo Hübner: Die Wiederentdeckung seiner Flugmaschine

Besucher, die im Eingangsbereich des Technik Museums Sinsheim ein Ticket lösen, werfen selten einen längeren Blick auf das bemerkenswerte Exponat, das über ihnen baumelt. Sollten sie eigentlich!

Von Stefan Bartmann
Hübner Typ II von 1912 mit Einflieger Paul Senge. Der Karlsruher besitzt erst seit einigen Monaten das »Flugzeugführerzeugnis«. Noch im gleichen Jahr macht er mit der Maschine Bruch.

Ein paar Jahrzehnte rieselte Staub auf Rumpf und Flächen dieses nahezu vergessenen Aviatik-Überbleibsels, dem erst Zufälle zu neuer Wertschätzung verhalfen. Heute sieht der verspannte schlanke Eindecker so makellos aus wie ein gelungener Nachbau. Tatsächlich ist das vierte Motorflugzeug aus der Produktion des badischen Brauereidirektors Dr. Hugo Hübner eines der weltweit höchst seltenen Originale aus den aufregenden Pionierjahren bis 1914.

So vergessen wie Hübners letztes Flugzeug war auch der Erbauer selbst. Erst mit der Entdeckung und Restaurierung des Hübner-Eindeckers Typ IV besann man sich wieder auf den Pionier aus Mosbach am Neckar. Hugo Hübner, Jahrgang 1882, hat Maschinenbau studiert und 1907 als Chemiker promoviert. Als er 1910 aus reiner Begeisterung in den Flugzeugbau einsteigt, herrscht noch sein Vater über die große Mosbacher Brauerei. Dort wird Hugo Hübners aviatischer Nachlass wieder auftauchen wird.

Nach einer aviatischen Pause bringt Hübner 1935 diesen gefälligen Motorsegler hervor.

Konstruktionen auf Tauglichkeit testen: Crash

Die Brauerei verfügt damals über eine komplett ausgestattete Werkstatt. Hübner Junior kann ein paar Mitarbeiter aus der Belegschaft für den Flugzeugbau interessieren. Eine Weile hat er sich selbst als Pilot betätigt und seine Konstruktionen auf ihre Tauglichkeit hin erprobt. Doch mit seinem Erstling kommt er nicht weit. Der Eindecker holpert bei Mosbach herum, bis ihm ein Birnbaum im Weg steht: Bruch.

Ab 1911 schafft und fliegt Hübner auf dem weitläufigeren Mannheimer Exerzierfeld. Dort hat er sich einen Schuppen samt Werkstatt aufstellen lassen, was auf zielgerichtetes Arbeiten schließen lässt. Als er sich beim nächsten Crash mit seinem neuen Doppeldecker verletzt – komplizierter Knöchelbruch –, glaubt sein Vater ein Machtwort sprechen zu müssen. Gezwungenermaßen verabschiedet sich der Sohn von der aktiven Fliegerei. Vom Flugzeugbau einstweilen nicht.

Hugo Hübner: Zusammenschluss mit Piloten Paul Senge

Auf der Suche nach einem anderen Einflieger findet Hugo Hübner den erst 22-jährigen Paul Senge aus Karlsruhe. Senge ist ein beherzter Pilot, der selbst nicht allzu viel Flugerfahrung hat. Erst im Mai 1912 erfüllt er die Voraussetzungen für das »Flugzeugführerzeugnis«, und zwar auf Hübners neuem Eindecker, später Typ I genannt.

Das nächste Hübner-Modell, Typ II/1912, erhält den 50-PS-Vierzylinder von Argus, einen richtigen Flugmotor. Damit steigern sich die Flugleistungen beträchtlich. Ein kurzer Erfolg. Am Ende eines Überlandflugs macht Paul Senge aus dem Typ II bei der Landung in Pforzheim einen Trümmerhaufen.

Zweitverwendung von Komponenten: Neustart als Chef

Man darf davon ausgehen, dass auch Hübner und seine Mitarbeiter ein damals gängiges Verfahren praktiziert haben. Die Zweitverwendung von Komponenten, die sich bewährt haben – ganze Rümpfe, Tragflächen, Triebwerke –, um daraus ein neues Flugzeug zu zimmern. So erklärt sich, dass bereits wenige Monate später der Typ III aufs Flugfeld gerollt werden kann.

Noch im Sommer 1912 nehmen Hübner und Senge mit diesem Flugzeug, das auf selbst konstruierten Schwimmern dümpelt, am »Ersten deutschen Wasserflugmaschinen-Wettbewerb« in Heiligendamm an der Ostsee teil. Doch der Apparat kommt nicht mal aus dem Wasser – für einen Trostpreis reicht es.

Jahrelange Pause mit Flugzeugbau: Hugo Hübner

Im finalen Typ IV, der im Winter 1912/13 entsteht, findet der 100-PS-Argus des Vorgängers erneute Verwendung. Kaum ist der Neuling abflugbereit, verbietet Hübner Senior dem Sohn weitere kostspielige Experimente in der Luftfahrt. Es ist für lange Jahre das Ende des Hübner’schen Flugzeugbaus. Heute kann niemand mehr sagen, ob der Typ IV noch erprobt wurde.

Der Erste Weltkrieg geht über die fliegerischen Ambitionen des Badeners hinweg. Im Jahr 1926 übernimmt er die väterliche Brauerei, und bald flackert seine Leidenschaft für die Fliegerei wieder auf; diesmal widerspricht ihm niemand.

Origineller Blickfang: Historisch bedeutendes Fluggerät

Ab 1929 ist Hübner im Segelflug rund um Mosbach aktiv. Er konstruiert und baut zwei Gleitflugzeuge und einen Motorsegler-Doppeldecker, der von einem 18 PS schwachen Kroeber-Zweizylinder angetrieben wird. Ein kleines, feines Flugzeug ohne amtliche Verkehrszulassung, mit dem Hübner gern herumfliegt. So viel privates Engagement sieht der durchorganisierte NS-Staat nicht gern. 1936 wird der harmlose Motorsegler nach Behördenanweisung gegroundet.

Wohl bis 1938 sieht man den alten Typ IV noch gelegentlich auf Flugtagen – als originellen Blickfang. Weshalb das historisch bedeutende Fluggerät keinen Platz in der 1936 eröffneten »Deutschen Luftfahrt-Sammlung« in Berlin findet, weiß heute niemand. 1938 stirbt Dr. Hugo Hübner, nur 54 Jahre alt.

Entdeckung im Halbdunkel: Hugo Hübners Fluggerät

Eine Postkarte wie diese führt auf die Spur des fast vergessenen Pionierflugzeugs in Mosbach.

Sein Typ IV wird in den Räumlichkeiten der Brauerei eingelagert und verschwindet von der Bildfläche. Bald weiß nur noch die Familie Hübner von dem Erbstück in der Mälzerei. Als zu Beginn der sechziger Jahre das Dach repariert werden muss, hebt man den längst verstaubten Apparat vom Erdgeschoss eine Etage höher, auf den Dachboden.

Es dauert bis 1980, als ein Postkartensammler eine vergilbte Postkarte an Land zieht, die Hübners Typ II im Flug zeigt. Der Hinweis auf der Rückseite deutet nach Mosbach. Eine Nachfrage ergibt, dass die Brauerei von Dr. Hübner nicht mehr existiert – eines seiner Flugzeuge aber durchaus: eingemauert unterm Dach.

Als der Typ IV 1980 wiederentdeckt wird, fehlen nur wenige Teile.

In gutem Zustand: Flugzeug auf dem Dachboden gefunden

Eine entsprechende Meldung im SWR-Radio alarmiert den Luftfahrthistoriker und angehenden Vermessungsingenieur Peter Cohausz, der das Objekt sogleich in Augenschein nimmt. Walter Hübner, ein Sohn des Pioniers, führt ihn auf den Dachboden der stillgelegten Mälzerei. Dort oben im Halbdunkel, mit fingerdickem Staub eingepudert, präsentiert sich das Flugzeug in einer Vollständigkeit, wie sie selbst in den größten europäischen Luftfahrtsammlungen selten vorzufinden ist.

Auf dem trockenen Dachboden der stillgelegten Mälzerei ist der Argus-Motor erstaunlich gut erhalten geblieben.

Außer den Speichenrädern, dem Falltank unterm Spannturm und dem Steuerrad fehlt praktisch nichts, und das nach all den Jahrzehnten! Die Stahlrohre haben Rost angesetzt, und die Bespannung ist etwas zerfleddert. Die Flügel lehnen an der Wand. Das reichlich verwendete Holz ist dank des trockenen Raumklimas in erstaunlich gutem Zustand.

Hugo Hübners Flugzeug: Verleihung an Technik Museum Sinsheim

Im April 1983 holt ein Kran den Oldie aus seinem Dämmerschlaf in der ehemaligen Brauerei. Den schweren Motor hat man zuvor abgebaut.

Als Kenner des frühen deutschen Motorflugs fällt Cohausz die Zuordnung zur einst populären Tauben-Bauart (mit Flügelverwindung) leicht. Auch ein paar Gene des Harlan-Eindeckers aus Berlin-Johannisthal sind wohl mit eingeflossen. Die Konstruktion des Typ IV spiegelt die oft pragmatische Bauweise der Pioniere, die auf keine genormten Teile aus dem Flugzeugbau zurückgreifen konnten. So fand allerlei Kleinkram des täglichen Bedarfs bisweilen den Weg in die ersten Flugapparate – gewöhnliche Küchenstühle mit Armlehnen beispielsweise. Auch bei Hübners Typ IV.

Fürs Museum wird der Zweisitzer in Kornwestheim wieder aufgebaut. Wie sich zeigt, hat er die lange Wartezeit gut überstanden.

Die historische Bedeutung dieser Entdeckung ist Cohausz sofort klar. Kaum hat er die Sache publik gemacht, greift das Regionalfernsehen im Februar 1981 die erstaunliche Dachboden-Geschichte auf. Dann meldet sich bei den Hübners das soeben gegründete Auto- und Technikmuseum Sinsheim (heute: Technik Museum Sinsheim). Walter Hübner und sein Bruder Gerhard denken lange darüber nach, ehe sie das Objekt leihweise zur Verfügung stellen. Einzige Bedingung: eine fachmännische Restaurierung.

Historisch bedeutsam: Seit vier Jahrzehnten ausgestellt

Hübners Typ IV im Technik Museum Sinsheim. Erst ab 1913 werden die verwindbaren Flügel der »Tauben«-Muster unmodern.

Die Bergung des sperrigen Objekts im April 1983 sorgt für spektakuläre Bilder. Mitglieder der Fliegergruppe Kornwestheim bringen den Typ IV wieder in vorzeigbaren Zustand. Schon im Herbst 1983 kann der badische Oldie nach Sinsheim transportiert werden. Dort baumelt Dr. Hübners Vermächtnis nun seit bald vier Jahrzehnten. Man sollte das Ausnahme-Exponat aufmerksamer betrachten.

Text: Stefan Bartmann

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