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Handley Page: Aufstieg und Niedergang in Krieg und Frieden

Sechs Jahrzehnte kann sich Handley Page Ltd. auf dem Markt behaupten, über zwei Weltkriege hinweg. HP, so das Firmenlogo, zählt zum Urgestein des britischen Großflugzeugbaus und wird einer der führenden Luftfahrtkonzerne Großbritanniens. Sein Ende ist bitter und absehbar.

Von Stefan Bartmann
Überstrapaziert
Überstrapaziert: Der Erstling "Bluebird" (oben) scheint schon am Boden den Anforderungen nicht gewachsen zu sein. Bruch beim Einfliegen im Jahr 1910 kann die Karriere von Frederick Handley Page (rechts) nicht stoppen. 1942 wird der Konstrukteur in den Adelsstand erhoben. Bild: Foto: Handley Page

Die meisten Flugzeuge von Handley Page muten anrührend britisch an – etwas behäbig und traditionell wie der Fünf-Uhr-Tee. Aber sie erfüllen ihren Zweck. Berühmt wird HP-Gründer Frederick Handley Page im Ersten Weltkrieg für seine mehrmotorigen Bomber, was ihm den martialischen Beinamen „Vater der Schweren Bomber“ einträgt. Noch Fragen zum Kerngeschäft? Dabei hat es doch so harmlos angefangen, mit ein paar Gleitern und motorsierten Luftsprüngen in Essex.

Schon früh entwickelt der Elektroingenieur einen Spleen für den Flugzeugbau. Seit 1907 ist er Mitglied der vornehmen Royal Aeronautical Society, ab 1909 baut er Flugzeuge – für sich und andere. Seinen privaten Erstling „Bluebird“ hat er mit gummiertem blau-grauen Leinen bespannt, daher der Name. Der Apparat ist im Frühjahr 1910 flugbereit. Ein Foto zeigt den 24-jährigen Konstrukteur in dem allzu schwach motorisierten Eindecker kauern, die Schirmmütze verwegen nach hinten gedreht.

Handley Page: Auf den Bluebird folgen elegante Eindecker

Da hat Handley Page bereits seine Firma gegründet und ein eigenes Testfluggelände gefunden: eine weitläufige Marschlandschaft in der Grafschaft Essex. Seine ersten Aufträge – ein Gleiter in Entenkonfiguration und ein Motorflugzeug, das bloß sieben PS hat, erweisen sich als bodenständig. Auch sein „Bluebird“ hüpft im Mai 1910 nur ein paar Mal geradeaus. Als der Pilot, ohne jede Flugerfahrung, erstmals eine Kurve einleitet, geht der Vogel in Trümmer (und endet als bestauntes Übungsobjekt in einer Ingenieursschule).

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Auf „Bluebird“ folgen elegante Eindecker mit vogelähnlicher Flügelform. Handley Page setzt aber frühzeitig auf richtige Querruder statt bloßer Flügelverwindung. Als 1912 die ersten Militäraufträge eintreffen, arbeiten nur eine Handvoll Leute für HP am Standort Cricklewood, zu dem ein Werksflugplatz in Londons industriellem Norden gehört.

Antwort auf die Zeppeline: Die Royal Navy gibt einen Bomber in Auftrag

Schon bald nach Kriegsbeginn tritt die Royal Navy an Handley Page heran und erteilt einen Entwicklungsauftrag für einen zweimotorigen Bomber, um die Luftschiffhäfen in Norddeutschland plattzumachen; Rache für die Bombardierung Londons durch Zeppeline. Was dabei herauskommt, nennt sich Typ 0/100 (oder HP.11) und fliegt erstmals im Dezember 1915. Ein ausbaufähiges Erfolgsmodell, das über die 0/400 zur V/1500 führt, dem größten britischen Bomber des Ersten Weltkriegs. Es ist eine gigantische Viermot mit knapp 40 Metern Spannweite und gut dreizehn Tonnen Abflugmasse, die mit den deutschen Riesen-Flugzeugen von Zeppelin-Staaken konkurrieren kann. Die V/1500 sollte Berlin bei Nacht bombardieren; durch den Waffenstillstand bleibt den Berlinern diese Erfahrung erspart.

VergeltungswaffeVergeltungswaffe
Vergeltungswaffe: Die O/400 wird im Ersten Welt- krieg gegen Luftschiffhäfen in Norddeutschland eingesetzt – Rache für die Bombardierung Londons.

In den vier Kriegsjahren ist HP zu einem frühen Giganten in der Branche gewachsen. Noch 1914 arbeiteten lediglich zwölf Leute in Cricklewood, 1918 sind es mehr als 5000. Das Kriegsende setzt also enorme Kapazitäten frei. Der HP-Chef will selbst den Markt ankurbeln und gründet im Juni 1919 Handley Page Transport – für Fracht und Passagiere. Zu diesem Zweck entwickelt man die bewährten 0/400-Bomber weiter. Die kleine Fluglinie wird 1924 in der großen Imperial Airways aufgehen (siehe fliegermagazin #7.2021).

Flugsicherheit im Vordergrund: Spalte hinter Flügelnase wirken dem Stall entgegen

Flugsicherheit war immer ein Anliegen von Frederick Handley Page, vor allem in Sachen Strömungsabriss. Schon im Ersten Weltkrieg tüftelt er an dem Problem, auch in Hinblick auf zivile Konstruktionen. Als zündende Idee erweisen sich Slots, also Spalte in Spannweitenrichtung dicht hinter der Flügelnase. Sie ermöglichen einen größeren Anstellwinkel, bevor die Strömung abreißt, und damit eine geringere Mindestfahrt. Denselben patenfähigen Gedanken hat zur selben Zeit auch der deutsche Aerodynamiker und Pilot Gustav Lachmann. Statt sich vor Gericht zu raufen, kommen die beiden Herren zu einer gütlichen Einigung. Und so wird Lachmann zunächst Berater von HP, später Chefkonstrukteur und schließlich Leiter der Forschungsabteilung.

STOL-QualitätenSTOL-Qualitäten
STOL-Qualitäten: Die HP.39 hat effektive Vorflügel. 1919 nimmt das Einzelstück in den USA am Guggenheim-Wettbewerb teil, bei dem die Flugsicherheit zählt.

Großzügige Slots finden sich im Querruderbereich der HP.42, die 1930 herauskommt. Seit diesem Jahr fertigt HP am Standort Radlett nördlich von London. Der viermotorige Doppeldecker ist exklusiv für Imperial Airways konstruiert und gebaut worden. Sein Aluminumrumpf bietet Platz für 24 Passagiere. Von dem Muster werden nur acht Stück gebaut, dennoch gerät es zum HP-Klassiker.

Betriebssicheres Flugzeug: Die HP.42 kommt auf 16 Millionen Flugkilometer

Die HP.42 ist ein betriebssicheres Flugzeug, das auf insgesamt 16 Millionen Flugkilometer kommt. Ihre lange Karriere ist nahezu unfallfrei. Das Ende des Typs kommt im März 1940, als die „Hannibal“ (G-AAGX) über dem Golf von Oman spurlos verschwindet; das Rätsel bleibt ungelöst. Zwei Monate später zieht Imperial Airways das Muster vom Linienflugdienst zurück.

KlassikerKlassiker
Klassiker: Die HP.42 verbindet das britische Empire. Die insgesamt acht gebauten Exemplare bringen es gemeinsam auf 16 Millionen Flugkilometer.

Im Zweiten Weltkrieg stammt der berühmteste britische Bomber von AVRO: die Lancaster. Doch an zweiter Stelle steht die HP.57 Halifax, die über 6000-mal gebaut wird. 1942 wird Frederick Handley Page in den Adelsstand erhoben, seiner Bedeutung für die Kriegswirtschaft entsprechend. Er ist ein erstaunlicher Konzernherr: charismatisch, an allem interessiert, hochverehrt von seinen Handwerkern und Ingenieuren.

Trendwende: HP stellt V-Bomber für den Abwurf von Atombomben her

Nach dem Krieg kommt der Chef auf einen Gedanken zurück, den er schon 1919 gehabt hatte: den Umbau von Bombern zu Passagierflugzeugen. So wird aus der Halifax die Halton. Mehr Erfolg hat HP mit der Hermes-Typenfamilie. Die aus der alten Imperial Airways entstandene B.O.A.C. setzt die Hermes viel ein, ehe die epochale (und von tragischen Unfällen überschattete) De Havilland Comet die Trendwende zum Jet einleitet.

V-BomberV-Bomber
„V-Bomber“: Ab 1952 atmet die HP.80 Victor die Luft des Kalten Kriegs – sie soll Atombomben abwerfen. Im Falklandkrieg und noch bis 1993 dient sie als Tanker.

Mit dem futuristisch anmutendenen Bomber HP.80 Victor, der 1952 erstmals fliegt, kehrt HP zu seiner Kernkompetenz zurück. Inzwischen ist Großbritannien eine Atommacht, und die HP.80 gehört neben der Vickers 667 Valiant und der AVRO 698 Vulcan zu den sogenannten V-Bombern, die für den Abwurf von Atombomben vorgesehen sind. 1964 warten 39 Victors auf ihren Vergeltungseinsatz, der nie kommt.

Vehemente Eigenständigkeit: Handley Page möchte seine Firma nicht zusammenschließen

Als sich in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren der britische Luftfahrtmarkt zu konsolidieren beginnt, wird es eng für die Traditionsfirma. Die Regierung übt einigen Druck auf HP und andere Hersteller aus, sich zu größeren Einheiten zusammenzuschließen. Doch mit seiner typischen Zähigkeit verficht der Patriarch die Eigenständigkeit von Handley Page Ltd – anders als seine langjährigen Konkurrenten; Ende der Sechziger bleiben hauptsächlich Hawker Siddeley und die British Aircraft Corporation (BAC) übrig.

HermesHermes
Konvertiert: Aus dem Truppentransporter HP.67 Hastings ist die HP.81 Hermes entstanden, die bis zu 63 Sitze hat. Die britische Fluglinie B.O.A.C. benutzt das Muster bis 1954.

Sir Frederick Handley Page hat das bittere Ende von HP nicht mehr erlebt; er stirbt im April 1962. Sieben Jahre später ist die Firma erledigt, im folgenden Jahr wird sie liquidiert. Handley Page Ltd. geht nicht in einer anderen Firma auf – sie verschwindet lautlos in die Geschichtsbücher.

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Stefan Bartmann

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