Unfallakte

Große Dichtehöhe, schwachmotorisierte Maschine: Absturz einer Cessna F 150 M in Saanen, Schweiz

Wie bereitet man Piloten auf Gebirgsplätze vor? Indem man die Herausforderungen während der Ausbildung anspricht? Wird bereits getan, und trotzdem stürzen Flugzeuge an hoch gelegenen Plätzen ab. Schweizer Unfallexperten können sich gut vorstellen, eine Einweisung zur Pflicht zu machen. Vielleicht hätte das einem Pilotenneuling das Leben gerettet …

Von Redaktion
Temporausch: Bei großer Dichtehöhe ist die wahre Geschwindigkeit trotz gleicher Fahrtmesseranzeige viel höher – im Anflug irritiert die vorbei rasende Landschaft

Nein, es funktioniert einfach nicht. Immer wieder fliegen sie nach dem Start die gleiche Strecke ab, nur um festzustellen, dass es das Flugzeug nicht über die Talenge schafft. Klar, man könnte ein wenig am Gewicht drehen, weniger Sprit in die Tanks packen, vielleicht auch den Passagier am Boden lassen. Sogar an der Temperatur ließe sich was ändern, man könnte sie wie die Windstärke reduzieren. Machbar wäre eigentlich so gut wie alles. Bis hin zum Betätigen des „Freeze“-Buttons, mit dem man das Geschehen einfach einfriert und von vorn anfängt – hier am Simulator, in der virtuellen Cessna über computergenerierter Landschaft.

Doch es gilt, sich an die Realität zu halten: Start in einer vollbesetzten Cessna F 150 M in 28 Grad Celsius warmer Luft und einer Dichtehöhe von 5484 Fuß, bei Wind aus Nordost mit 6 bis 9 Knoten und Spitzen um 15 Knoten. Der Unterschied zwischen diesen Tatsachen und jeder Simulationsvariante könnte größer nicht sein: Während die Untersucher den Computer nach getaner Arbeit ausschalten und nach Hause gehen, endete jener Trip des Hochdeckers in den Schweizer Bergen fatal.
Am Morgen des 8. August 2003 startet ein Schweizer um kurz vor neun vom Flugplatz Lommis, Thurgau, Richtung Saanen im Kanton Bern. Mit an Bord der Cessna 150 eine Passagierin, der Sprit reicht für vier Stunden. Um kurz nach halb elf landet der Hochdecker auf dem östlich des Genfer Sees gelegenen Platz.

Start in einer vollbesetzten Cessna F 150 M in 28 Grad Celsius warmer Luft

Am Nachmittag machen sich die beiden auf den Rückflug. Um 15.40 Uhr quält sich die Einmot von der „08“ des Platzes: 28 Grad Celsius warme Luft schraubt die Druckhöhe von 3132 Fuß auf eine Dichtehöhe von 5484 Fuß. Große Steigraten sind da nicht mehr drin. Laut Betriebshandbuch der Cessna kann der Pilot auf einer Höhe von 5000 Fuß bei Standardbedingungen mit einer Steigrate von 440 Fuß pro Minute rechnen. Interpoliert auf die effektive Flughöhe reduziert sich dieser Wert auf 390.
Nach dem Abheben fliegt der 38-Jährige eine Rechtskurve und leitet noch vor der Ortschaft Gstaad eine Linkskurve ein.

Seine Absicht: den Steigflug direkt Richtung Schönried fortsetzen. Augenzeugen fällt die geringe Geschwindigkeit und der starke Anstellwinkel der Maschine auf. Das Gelände unter ihr steigt steiler an als die Cessna darüber Höhe gewinnen kann. Noch wäre eine vorsorgliche Landung nicht aussichtslos. Doch den unausweichlichen Crash vor Augen entschließt sich der Pilot zu einem halsbrecherischen Manöver: Umkehrkurve, und das dicht am Stall!

Zeugen beobachten eine schnelle Drehbewegung um die Hochachse nach links, anschließend sei das Flugzeug „wie ein Sack Kartoffeln“ abgesackt und mit einem dumpfen Knall auf den Boden geprallt. Die beiden Insassen sterben, nach wenigen Sekunden bricht Feuer aus.
Schon die rechnerische Rekonstruktion offenbart die Chancenlosigkeit der Cessna, über den Talrand hinwegzusteigen: Die Maschine hätte auf einer Distanz von vier Kilometern einen Höhenunterschied von 1228 Fuß (inklusive minimaler Sicherheitshöhe von 500 Fuß) packen müssen. Bei einer geschätzten Flugzeit von zweieinhalb Minuten zur Überwindung dieser Distanz mit einer Geschwindigkeit von 61 Knoten hätte die Einmot mindestens 490 Fuß pro Minute aufbauen müssen.

Die beiden Insassen sterben, nach wenigen Sekunden bricht Feuer aus

Und als ob es weiterer Hürden bedurft hätte: Um der Einmot den direkten Weg aus dem Talkessel zu versperren, stellt sich auch noch der Wind gegen die Cessna. Ein erfahrener Schlepp-Pilot berichtete, dass zum Unfallzeitpunkt der Wind aus Osten mit etwa 20 Stundenkilometer wehte. Die tendenziell böige und turbulente Luft floss über den Taleinschnitt von Schönried in das Gstaader Becken hinunter. Unterm Strich vermochte die Cessna durchschnittlich nur 270 Fuß Höhe pro Minute zu bezwingen – das Doppelte wäre nötig gewesen.
Große Dichtehöhe, schwachmotorisierte Maschine – Punkte, die bei einem erfahrenen Piloten im Sicherheitsfilter hängen geblieben wären –, das schien der Unfallpilot nicht richtig eingeschätzt zu haben. Wohl auch, weil er ein fliegerischer Frischling war: In insgesamt 68 Stunden lässt sich eben nicht viel Erfahrung erwerben, seinen eingeschränkten PPL bekam der Schweizer zehn Monate vor dem Crash ausgehändigt. Achteinhalb Stunden hatte er am Steuer der Cessna F 150M gesessen.

Nicht mehr klären konnten die Unfallunterucher, wie umfangreich die Flugvorbereitung des Piloten war; mitgeführte Unterlagen sind im Flugzeug verbrannt. Immerhin war es sein erster Alleinflug auf einen Gebirgslandeplatz. Saanen hatte er auf einem früheren Flug nur als Passagier kennengelernt. Während seiner Ausbildung war der Schweizer im Rahmen der Gebirgsflugeinweisung in Samedan gelandet. Sein Fluglehrer gab an, dass die Problematik der Dichtehöhe bei der Flugvorbereitung und in den Theoriestunden behandelt wurde.

Große Dichtehöhe, schwachmotorisierte Maschine – Punkte, die bei einem erfahrenen Piloten im Sicherheitsfilter hängen geblieben wären

Wie lassen sich solche Unfälle vermeiden, die sich in trauriger Regelmäßigkeit wiederholen? Das Büro für Flugunfalluntersuchungen richtet zwei Empfehlungen an das Bundesamt für Zivilluftfahrt: Sichtanflugkarten für anspruchsvolle Plätze sollten daraufhin überprüft werden, ob sie sich nicht zweckmäßiger gestalten lassen. Beispielsweise könnten Abflugwege genannt werden, die sich besonders eignen, und Hinweise auf Leistungsbeschränkungen bei hohen Temperaturen oder gefährliche Windverhältnisse eingefügt werden. Zusätzlich sollte geprüft werden, ob diese Plätze auf der ICAO-Karte eine spezielle Markierung bekommen.


Der zweite Punkt nimmt Piloten direkt an die Hand: Das Bundesamt sollte überprüfen, für welche Flugplätze eine Einweisung mit einem Fluglehrer empfohlen oder vorgeschieben werden sollte. Derart sensibilisiert hätte der Unfallpilot – wie in der Karte vorgesehen – den Talkessel zum Höhemachen genutzt und die Talenge locker unter sich gelassen.
So hingegen ließ er sich dazu verleiten, direkt Kurs auf die Heimat zu nehemen. Denn eilig hatte es der Pilot auch – um 17 Uhr wollte er zurück in Lommis sein …

Text: Markus Wunderlich, fliegermagazin 9/2005

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