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Gewitter: Absturz einer Jodel im Schulungsflug
Piloten sind gut beraten, Gewitter weiträumig zu umfliegen. Nahezu unsichtbar, aber nicht minder gefährlich, sind die vorauseilenden Böenfronten. Eine solche wurde der Besatzung einer Jodel D11-2 in der Schweiz zum Verhängnis.
Der 33-jährige Fluglehrer und sein 40 Jahre alter Flugschüler starten um 17.40 Uhr auf der Piste 30 in Speck-Fehraltorf (LSZK) nahe Zürich. Ziel des Flugs, der im Rahmen einer Privatpilotenausbildung stattfindet, ist zunächst, den Schüler nach einer längeren fliegerischen Pause wieder mit dem Tiefdecker vertraut zu machen. Dafür verlässt die Jodel den Platzbereich. Anschließend fliegen Lehrer und Schüler zwei Platzrunden in Speck-Fehraltorf mit Landungen bis zum vollständigen Stillstand der Maschine.
Das Wetter ist zu diesem Zeitpunkt bestens für Platzrunden geeignet. Der Wind weht schwach aus variablen Richtungen und bei einer Außentemperatur von 31 Grad herrschen CAVOK-Bedingungen.
Gewitter vorhergesagt: Die Piloten behalten das Wetter genau im Auge
Für den Abend sagt der Wetterbericht die Möglichkeit von Gewittern mit böigen Winden vorher. Die beiden Piloten behalten das Wetter daher genau im Auge. Zwar verdunkelt sich der Himmel in Richtung des Zugersees, aber die vorgelagerte Albiskette ist weiterhin gut sichtbar – eine wesentliche Sichtverschlechterung ist nicht zu erkennen. Auch das Bild des Niederschlagsradars auf dem Smartphone des Fluglehrers zeigt keine unmittelbare Gefahr.
Und so brechen die beiden zu einer weiteren Platzrunde auf. Beim Eindrehen in den Querabflug wird die Jodel nun plötzlich von heftigen Turbulenzen gebeutelt. So heftig, dass der Flugschüler die Kontrolle an den Fluglehrer übergibt. Dieser fliegt zunächst über den Flugplatz und erkennt, dass der Wind inzwischen aus Südosten kommt. Er entscheidet sich daher für eine verkürzte Platzrunde mit Landung auf der 625 Meter langen Graspiste 12. Im Endanflug schwankt die Geschwindigkeit zwischen 85 und 150 km/h. Als das Holzflugzeug den Pistenanfang erreicht, erkennt der Fluglehrer, dass die Landung zu lang gerät, und startet über der Pistenmitte aus niedriger Höhe durch.
Durchstarten: Starker Rückenwind erfasst das Flugzeug
Er versucht nun, mit einer angezeigten Geschwindigkeit von 80 km/h zu steigen, und dreht in nur 60 Fuß über Grund in den Querabflug und damit auf ansteigendes Gelände zu. Plötzlich erfasst starker Rückenwind das Flugzeug. Dies führt dazu, dass die Jodel die Höhe nicht mehr halten kann und in den Sinkflug übergeht. In Ermangelung an Alternativen entscheidet sich der Fluglehrer zur Notlandung auf einem Feld links des Flugwegs. Nach dem Einleiten einer leichten Linkskurve rollt das Flugzeug schlagartig nach links und kracht nahezu in Messerfluglage in ein Rapsfeld. Der Zweisitzer kommt auf dem Rücken liegend in einer Hofzufahrt zum Stillstand. Beide Insassen überleben das Unglück schwer verletzt.
Die Unfalluntersucher der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) untersuchten zunächst den technischen Zustand der Maschine. Dabei konnten keine Mängel festgestellt werden, die zum Unfall beigetragen haben. Die beiden Besatzungsmitglieder machten ebenfalls keine technischen Probleme geltend.
Starke Turbulenzen: Rund zwei Stunden vor dem Unfall bildeten sich Gewitter
Schnell gerieten nun die meteorologischen Bedingungen zum Unfallzeitpunkt in den Fokus der Ermittler. Die Analyse von Radarbildern sowie der Großwetterlage ergab, dass sich rund zwei Stunden vor dem Unfall im Berner Oberland Gewitter bildeten, die nach Nordosten und damit in Richtung des Unfallorts zogen. Die dabei entstandene Kaltluft kanalisierte sich durch das Überfließen von Senken im Gelände und erreichte das Unfallgebiet als Böenfront. Solche Böenfronten können einem Gewitter mehr als zwanzig Nautische Meilen vorauseilen und zu starken Turbulenzen und Windscherungen führen.
Die schwierigen Bedingungen wurden auch von Aussagen anderer Piloten bestätigt: Kurz vor dem Absturz erreichte eine Gruppe von drei Leichtflugzeugen Speck-Fehraltorf. Aufgrund der starken Turbulenzen im Anflug entschied sich das Trio schnell zum Ausweichen auf einen anderen Flugplatz. Der Pilot des Rettungshelikopters, der kurz nach dem Unfall von Dübendorf zur Unfallstelle flog, erlebte auf dem Flug und bei der Landung heftige Scherwinde und Böen.
Riskanter Flugweg
Aus Sicht der BFU haben außerdem mehrere Entscheidungen des Fluglehrers zur Entstehung des Unfalls beigetragen. So bestand nach Auffassung der Ermittler keine Notwendigkeit, unmittelbar nach Auftreten der Turbulenzen im Querabflug wieder zu landen. Die Besatzung hätte alternativ die Wettersituation aus der Luft zunächst beobachten oder eine Ausweichlandung an einem anderen Flugplatz durchführen können. Nachdem der Luftfahrzeugführer die Entscheidung zur Landung getroffen hatte, flog die Jodel in eine verkürzte Platzrunde ein. Ein längerer Endanflug hätte der Crew laut den Ermittlern mehr Zeit geboten, den Anflug zu stabilisieren.
Auch die Entscheidung zum Durchstarten hätte der Pilot möglicherweise früher treffen können, wenn derEndanflug länger gewesen wäre. Warum er das Flugzeug nach dem Durchstarten mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h und nicht mit Vx (95 km/h) oder gar Vy (110 km/h) flog, erschließt sich der BFU nicht. Hinzu kommt, dass die Flugmasse auf dem Unfallflug nur knapp unterhalb des höchstzulässigen Werts von 620 Kilogramm lag. So erforderte die eher schwach motorisierte Jodel (90 PS) bei der hohen Dichtehöhe am Unfalltag (3976 Fuß) ein vorausschauendes Handeln. Das ansteigende Gelände im Bereich des Querabflugs und die im Lee eines benachbarten Waldgebiets verwirbelte Luft brachten den Zweisitzer bei der gegebenen Großwetterlage schließlich in eine ausweglose Situation und führten zum Strömungsabriss beim Einleiten der Linkskurve.
Tückische Wettererscheinungen
Und so bleibt als zentrale Erkenntnis, dass Böenfronten tückische Wettererscheinungen sind. Als Pilot sollte man die meteorologischen Bedingungen auch in der Nähe von Gewittern genau beobachten und auftretende Turbulenzen auf keinen Fall unterschätzen. Im Zweifel ist die Landung auf einem Ausweichflugplatz eine sichere Alternative.
Text: Martin Schenkemeyer
Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.
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