Gelöste Verschraubung: Absturz einer Turbo-Otter in Friday Harbour
Ein Wasserflugzeug vom Typ DHC-3 Turbo-Otter stürzt auf einem kommerziellen Passagierflug von Friday Harbour nach Renton ins Wasser. Alle Insassen sterben – wegen eines winzigen Bauteils. Eine Unfallanalyse.
Als die Einmot, die nachträglich mit einer Turboprop-Triebwerk ausgerüstet wurde, am 4. September 2022 um 14.50 Uhr Ortszeit bei unproblematischen Wetterverhältnissen in Friday Harbour im US-Bundesstaat Washington startet, sieht zunächst alles nach einem Routineflug aus. Für den Piloten am Steuer der Otter ist es der zweite Flug an diesem Tag. Er hat neun Passagiere an Bord.
Radardaten zeigen, wie der Hochdecker in Höhen zwischen 650 bis 975 Fuß zum Ziel Renton fliegt, einem Vorort von Seattle. Die Geschwindigkeit liegt bei 115 bis 125 Knoten. Um 15.08 Uhr geht die Turboprop in einen leichten Steigflug über und erreicht eine Höhe von 1125 Fuß. Kurz darauf beobachten Augenzeugen, wie sie in einen Sturzflug übergeht, der mit einem fatalen Aufprall auf dem Wasser endet.
Unfalluntersuchung: Was sagt der Zwischenbericht?
Inzwischen wurden circa 85 Prozent des Wracks geborgen und die weitere Suche eingestellt. Die US-Unfalluntersuchungsbehörde NTSB hat bereits einen bemerkenswerten Zwischenbericht veröffentlich. Die Ermittler haben festgestellt, dass sich die Verbindung zwischen dem Mechanismus zur Höhenruder-Trimmung und dem Höhenruder gelöst hatte. Dort gibt es eine Schraubverbindung, die durch einen Drahtring gesichert wird. Nach Verschraubung der Bauteile wird ein Loch durch die Verbindung gebohrt, in dem dann das um 90 Grad abgewinkelte Ende des Sicherungsrings steckt.
So wird verhindert, dass sich die Schraubverbindung ungewollt lösen kann. Im Wrack fehlte der Ring an der Verbindung, er war auch nicht auffindbar. Ob das kleine Bauteil bereits beim Abflug fehlte oder sich während des Unfalls gelöst hat, kann noch nicht abschließend festgestellt werden. Hinweise für einen Bruch oder eine Lösung der Verschraubung durch außergewöhnlich starke Kräfte wurden nicht gefunden. Insgesamt fanden die Ermittler fünf Löcher, die in die Verschraubung gebohrt wurden. Drei davon waren derart verschlissen, dass das Ende des Sicherungsringes keinen Halt gefunden hätte. Das NTSB stellt fest, dass dies bei einer visuellen Inspektion schwer zu erkennen ist.
Bei der Otter verstellt der Trimm-Mechanismus, auch Aktuator genannt, den Einstellwinkel des gesamten Höhenleitwerks, das hinten an einem Scharnier drehbar gelagert ist. Nur die Verbindung zum Aktuator hält das Höhenleitwerk in einer definierten Position. Versagt die Verbindung, bewegt sich das Höhenleitwerk frei in der Luftströmung – was laut NTSB zum Kontrollverlust führen kann.
Letzt Inspektion nur wenige Tage vor dem Unglück
Die letzte Überholung des Mechanismus erfolgte am 21. April 2022. Die letzte 100-Stunden-Inspektion des Flugzeugs fand wenige Tage vor dem Unglück statt. Hierbei wurden auch Arbeiten an der Höhenrudersteuerung und der Höhenruderflosse durchgeführt. Die Unfalluntersucher stellen in ihrem Zwischenbericht bislang allerdings keinerlei Verbindung zwischen den Wartungsereignissen und dem Absturz her.
Der Musterbetreuer der Otter, Viking Air, hat am 26. Oktober 2022 einen Service Letter (SL) veröffentlicht. Darin empfiehlt Viking Air allen Betreibern der DHC-3, die Verbindung und den Sitz des Sicherheitsrings vor dem nächsten Flug visuell zu überprüfen. Darauf aufbauend sah sich das NTSB am selben Tag ebenfalls dazu gezwungen, eine dringliche Sicherheitsempfehlung an die Luftfahrtbehörden FAA und Transport Canada herauszugeben, in der sie von allen Betreibern eine verpflichtende Überprüfung der Verbindung fordert.
Eine gründliche Vorflugkontrolle ist immer wichtig
Der beschriebene Vorfall zeigt, wie wichtig die Sicherungen von (Schraub-)Verbindungen und deren Kontrolle auch im Rahmen der Vorflugkontrolle sind, wenn diese einsehbar sind. An vielen Kleinflugzeugen werden extrem wichtige Verbindungen mit eingesteckten Splinten gesichert. Dazu zählen zum Beispiel oft die Ansteuerungen von Steuerund Trimmflächen. Besonders bei Seiten- und Höhenrudern sind diese Sicherungen oft gut sichtbar.
Hier kommen häufig Bolzen und Kronenmuttern mit Sicherungssplinten zur Anwendung. Entscheidend ist, dass der Splint durch die dafür vorgesehene Öffnung geführt wurde und die Enden so gebogen sind, dass sich weder der Splint selbst noch die Schraubverbindungen lösen können. Zu typischen Sicherungen zählen außerdem sogenannte Fokkernadeln, die an vielen Segelflugzeugen und Motorseglern zur Anwendung kommen. Neben Ruderanschlüssen werden auch Bolzen für die Verbindung der Flügel mit dem Rumpf durch Fokkernadeln gesichert.
Ähnlicher Unfall in 2018
Der tragische Absturz eines Segelflugzeugs in Braunschweig 2018 verdeutlicht, wie wichtig die korrekte Überprüfung des Sitzes von Fokkernadeln ist. In diesem Fall war die Nadel nicht durch die dafür vorgesehenen Löcher im Sicherungsbolzen des Querruderanschlusses geführt worden. Das hatte zur Folge, dass sich ein Ruderanschluss lösen konnte und die Ansteuerung der Querruder blockierte. Dadurch kam es schließlich zum Kontrollverlust mit anschließendem Absturz. Weitere häufig zu findende Möglichkeiten, Verbindungen zu sichern, sind Sicherungslack, Sicherungsmuttern, Sicherungsdrähte oder Sprengringe.
Doch egal, welche Art von Sicherung am Flugzeug verbaut ist: Eine gewissenhafte Kontrolle vor dem Abflug, vor allem nach Wartungsereignissen, kann im Zweifel Schlimmeres verhindern. Dieser Punkte sollte nicht vernachlässigt werden. Allerdings zeigt der Zwischenbericht zum Unfall der DHC-3 auf tragische Weise, dass selbst die visuelle Überprüfung bei manchen Verbindungsarten an ihre Grenzen kommen kann, insbesondere wenn diese mangelhaft sind.
Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.
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