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Fataler Strukturbruch beim Kunstflug: Flächenbruch einer Siat 223 K1
Triebwerkstörungen oder -ausfälle sind harmlos – im Vergleich zu einem Strukturbruch. Wie kann ein solcher Schaden entstehen und ist er überhaupt vermeidbar?
Es gibt Situationen, da nützt auch bestes Pilotentraining nichts, um einen Notfall zu managen und einen Unfall abzuwenden. Zum Beispiel, wenn ein Flugzeug schlagartig eine Fläche verliert und nicht mehr flugfähig ist – so etwas wie der Super-GAU. Was kann man da noch tun, wenn plötzlich die Extremität fehlt, die das Flugzeug in der Luft hält? Nichts geht mehr. Allenfalls ein Rettungssystem kann eine solche Situation noch glimpflich beenden – wenn man es noch rechtzeitig aktiviert oder mit Fallschirm aus dem Flugzeug rauskommt. Ein derartiger Alptraum widerfuhr der Besatzung einer Kunstflugmaschine am 23. April 2005 nahe der Ortschaft Straelen in Nordrhein-Westfalen an der niederländischen Grenze.
Bei wolkenlosem Himmel und Sichten bis zum Anschlag startet am Mittag vom Flugplatz Grefrath-Niershorst (EDLF) eine Kunstflugmaschine des Typs Siat 223 K1. An Bord ein 56-jähriger Pilot, Inhaber einer Kunstflug- und Lehrberechtigung, sowie ein flugunerfahrener Passagier. Der Pilot gilt mit 4000 Flugstunden als erfahren. 400 Stunden Kunstflug sind in seinem Flugbuch verzeichnet, 250 davon auf der Siat. Die Akromaschine ist ein einmotoriger freitragender Tiefdecker aus Metall. Das Flugzeug stammt aus den ehemaligen Siebel-Werken bei Donauwörth und trägt die Werknummer 018. Der Oldtimer hat 2715 Betriebsstunden auf dem Buckel und ist 37 Jahre alt. Die Maschine hat eine Zulassung als Normal-, Nutz- und Kunstflugzeug. Seit der letzten Grundüberholung war sie 817 Stunden in der Luft. Die letzte Jahresnachprüfung einschließlich 100-Stunden-Kontrolle liegt 36 Stunden zurück.
Start bei wolkenlosem Himmel: Kunstflugzeug des Typs Siat 223 K1
Der Flug verläuft zunächst reibungslos. Nach acht Minuten erreicht die korrekt beladene Maschine das vorgesehene Zielgebiet in der Nähe der Ortschaft Straelen, wo der Pilot seinem Gast diverse Kunstflugmanöver vorführen will. Zur Gewöhnung an die bevorstehenden Figuren dreht er den Zweisitzer in 4000 Fuß zunächst mit einer halben Rolle in Rückenlage. Beide Insassen sind fest angeschnallt und tragen einen Rettungsfallschirm. Für den unerfahrenen Fluggast ist die Upside-down-Lage eine Mischung aus Gaudi und Nervenkitzel. Nach einer Weile dreht der Pilot die Maschine wieder in die Normallage und steigt auf 4500 Fuß, nachdem er den von Langen Radar zugewiesenen Transpondercode 0027 gerastet hat.
Das eigentliche Kunstflugprogramm beginnt mit einem Looping. Die Siat beschleunigt auf 140 Knoten und zieht in gleichmäßigem Steigflug himmelwärts. Das kreisförmige Manöver gelingt problemlos. Gleich im Anschluss an den Loop will der Pilot einen Immelmann (Aufschwung) fliegen. Diese Kunstflugfigur beginnt im Horizontalflug und endet nach einem halben Looping mit einer halben Rolle. In dem Moment, als der Pilot das Höhenruder zum zweiten Looping zieht, geschieht das Unfassbare: Die linke Tragfläche reißt abrupt aus der Verankerung und zertrümmert dabei die linke Seite der Cockpithaube. Das amputierte Flugzeug ist sofort manövrierunfähig und trudelt aus 3600 Fuß wie ein Ahornsamen zur Erde – nur schneller. Der Pilot kann seinen Gurt lösen und wird durch die Fliehkräfte aus dem Cockpit geschleudert.
Reflexartig, wie er später zu Protokoll gibt, zieht er die Reißleine seines Fallschirms und überlebt das Unglück mit schweren Verletzungen. Sein Fluggast, der zuvor in die Bedienung des Rettungsgeschirrs eingewiesen worden war, kann zwar noch die Sitzgurte lösen, schafft es aber nicht mehr, die einseitig zertrümmerte Haube zu entriegeln. Er stirbt, als die Maschine auf freiem Feld aufschlägt. Wie kann es sein, dass bei einer zertifizierten Kunstflugmaschine plötzlich eine Fläche abmontiert? Hatte der Pilot bei seinen Manövern die Belastungsgrenzen der Siat missachtet? Oder ist das Unglück auf schlampige Wartung zurückzuführen? Der Unfallverlauf wirft viele Fragen auf.
Kunstflugprogramm: Nach einem Looping reißt die Tragfläche ab
BFU, LBA sowie Vertreter der technischen Universität Braunschweig und der EADS haben den Fall untersucht. Der EADS-Konzern ist als Nachfolger der Siebel ATG im Besitz der Musterzulassung. Den Fokus ihrer Untersuchungen legten die Experten auf die Bruchstelle des Hauptholms an der Flügelwurzel der linken Tragfläche. Dieser Holm ist das wesentliche tragende Element zur Aufnahme der Kräfte am Übergang vom Flügel zum Rumpf. Der Holm ähnelt einem doppelten T-Träger mit Ober- und Untergurt. An den Befestigungsstellen treten bei Manövern wie Loopings und selbst bei harten Landungen enorme Belastungen auf. Aber auch durch Windböen, Kurvenflug oder Abfangmanöver sind diese Stellen starken Kräften ausgesetzt, die jedoch zum ganz normalen Belastungsspektrum gehören.
Schon mit bloßem Auge erkannten die Untersucher an einer Nietbohrung am Rand des Untergurts Spuren eines Schwingungsrisses. Die Bedeutung dieser Bezeichnung kann man sich in etwa so vorstellen: Wo ständig Zug- und Druckkräfte wirken, kann das Material mit der Zeit ermüden. Erst bilden sich, abhängig von der Anzahl der Lastfälle, mikroskopisch kleine (Schwingungs-)Risse, die jedoch mit der Zeit größer werden können und irgendwann bestimmten Belastungsspitzen nicht mehr standhalten. Ähnlich einem Stück Blech, das immer wieder hin und her gebogen wird, bis es bricht. Dabei ist es gleichgültig, welches Baujahr ein Flugzeug hat. Schwingungsrisse können auch bei modernen Konstruktionen auftreten, egal, ob es sich um ein Flugzeug, ein Schiff, ein Fahrzeug oder eine Brücke handelt.
Eine rastermikroskopische Untersuchung der Bruchstelle am Untergurt zeigte, dass der Bruch durch zwei kurze Schwingungsrisse beidseits der Nietbohrung eingeleitet worden war. Nach diesem Anfangsbruch verabschiedete sich der Rest der Holmbefestigung schrittweise, wie eine Seite Papier, die man aus einem Spiralblock reißt. Auch am rechten Tragflügelholm zeigten sich an gleicher Stelle dieselben Symptome: An der spiegelsymetrisch angeordneten Nietbohrung auf der anderen Seite fanden die Experten nach der mikroskopischen Untersuchung einige kurze Schwingungsanrisse. Offenbar war der Kunstflugpilot völlig ahnungslos mit einer tickenden Zeitbombe in die Luft gegangen.
Auch das Material selbst wurde unter die Lupe genommen. Eine metallurgische Untersuchung brachte jedoch keine Mängel ans Licht: Zum Bau des Holms wurde genau das in der Stückliste aufgeführte Metall verwendet. Zusätzlich überprüfte man die den Konstruktionsunterlagen der Maschine zugrunde liegenden Lastannahmen und Berechnungen. Auch hier wies der Flieger nach den damals geltenden Vorschriften keine Unregelmäßigkeiten auf. Die Berechnungen entsprachen den Lufttüchtigkeitsforderungen nach FAR 23 ein- schließlich Amendment 23.1 und 23.2. Die Musterzulassung der Siat erfolgte nach einer ergänzenden Musterprüfung vom August 1968.
Die Siat 223 hat bereits in der Kategorie Normalflugzeug ihre sogenannte Lebensdauergrenze überschritten!
Erst als sich die Ermittler die Konstruktion des Flugzeugs hinsichtlich Ermüdung und Bruchmechanik nach heutigem Wissensstand vornehmen, kommen sie zu einem überraschenden Ergebnis: Die Siat 223 hat bereits in der Kategorie Normalflugzeug ihre sogenannte Lebensdauergrenze überschritten! Für die anspruchsvolleren Kategorien Nutz- und Kunstflugzeug stellte man bislang gar keine weiteren Untersuchungen an, da deren Lebensdauergrenze vermutlich noch deutlicher überschritten gewesen wäre. Als das Flugzeug gefertigt wurde, entsprach die Dimensionierung der Bauteile dem damaligen Entwicklungsstandard. Auch die zu jener Zeit (1968) geltenden Bauvorschriften waren erfüllt worden; man hatte das Flugzeugmuster damals ohne Lebensdauerbegrenzung zugelassen. Erst ein Jahr später gelangte die Prüfung von Ermüdungszuständen in die Bauvorschriften der FAR 23.
40 Jahre später ist die Forschung ein ganzes Stück weiter. Nach heutigen Erfahrungen hatte die Siat in der Kategorie Normalflugzeug eine Lebensgrenze von 1900 Betriebsstunden; 815 Stunden weniger, als die Unfallmaschine tatsächlich geflogen war. Da die im Wartungshandbuch des Musters angegebenen Sichtprüfungsverfahren nicht zur Entdeckung besagter Vorschädigungen taugen, arbeitet die EADS an einem Wirbelstromverfahren, um Materialermüdung rechtzeitig zu entlarven. Materialdefekte führen dabei zu einer lokalen Änderung der elektrischen Leitfähigkeit. Als Sofortmaßnahme hatte die BFU eine Sicherheitsempfehlung ans LBA weitergeleitet, das daraufhin eine LTA herausgab.
BFU-Sicherheitsempfehlung
Das Luftfahrt-Bundesamt, zuständig für die Musterbetreuung der Siat 223 K1, sollte für alle in Betrieb befindlichen Baureihen des Musters eine Lebensdauerbegrenzung festlegen sowie adäquate Prüfverfahren und Maßnahmen zur Lebensdauerverlängerung mit dem Halter der Musterzulassung abstimmen. LTA-Nr.: D-2005-200, EADS M Service Bulletin 223-05/05
fliegermagazin 7/2008
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