Unfallakte

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Falsch konfiguriert im Go-around: Stall einer Cessna 172 RG in Dittingen, Schweiz

Schwierige Landeplätze anzufliegen ist eine Sache. Korrekt durchzustarten eine andere. Ein Cessna-Pilot war damit offenbar vollkommen überfordert – trotz Einweisung

Von Redaktion

Das Flugfeld Dittingen in der Schweiz, 15 Kilometer südwestlich von Basel, ist topografisch ein schwieriges Terrain. Nicht nur, weil der unscheinbare Grasplatz aus der Luft schwer auszumachen ist. Die eigentliche Herausforderung für anfliegende Piloten besteht in der Landung und – wenn nötig – im Go-around. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Die mit 530 Metern relativ kurze Piste 29 beginnt kurz hinter einer Geländekante auf einem Hochplateau – stark ansteigend. Manche Piloten sprechen daher auch vom „Landen auf einem Flugzeugträger“. Das Pistenende liegt knapp 22 Meter höher als der Pistenanfang. Auch bei Rückenwind ist die „29“ die einzig zugelassene Landebahn, da sie bergauf verläuft. Zu guter Letzt: Das Bahnende ist von einer 27 Meter hohen Baumreihe umgeben.

Diese Faktoren machen deutlich, warum Dittingen (LSPD) erst nach einer gründlichen Einweisung durch einen ortskundigen und geübten Piloten angeflogen werden darf. In der Schweizer AIP sind absichtlich keine Daten über den schwierigen privaten Landeplatz veröffentlicht. Für auswärtige Flugzeuge ist das Flugfeld ohne Einweisungsflug sogar gesperrt. Auch das Fehlanflugverfahren hat’s in sich: Nach einem Drittel der Bahn führt es im Anschluss an eine Linkskurve über eine wesentlich niedrigere Baumreihe als jene, die am Bahnende steht. Dass das Verfahren hinsichtlich Flugweg und Konfiguration keine Fehler verzeiht, wurde einem Cessna-Piloten und seinem Fluggast am 19. Juni 2005 zum Verhängnis. Am frühen Nachmittag telefoniert der 49- jährige Pilot mit dem Tower von Dittingen, um sich für den gleichen Tag auf dem PPR-Platz anzukündigen. Vom Lotsen erhält er die Information, dass eine Landung derzeit schwierig sein könnte, da eine starke Bise wehe – ein bei Hochdruckwetterlage typischer Nordostwind im Schweizer Mittelland.

Flugplatz Dittingen in der Schweiz: Für auswärtige Flugzeuge ist das Flugfeld ohne Einweisungsflug gesperrt

Die Piste 29 kann dann nur mit mehr oder minder starker Rückenwindkomponente angeflogen werden. Dennoch will der Pilot sein Vorhaben durchziehen und startet um 14.45 Uhr mit einer Cessna 172 RG (mit Verstellpropeller und Einziehfahrwerk) und einem Passagier in Basel-Mülhausen. Und das, obwohl er bei seinem Einweisungsflug in Dittingen zwei Wochen zuvor ermahnt wurde, den Platz beim ersten Mal auf jeden Fall allein und nicht mit Rückenwind anzufliegen. Auch eine weitere Warnung schlägt der Pilot zunächst in den Wind: Der Dittinger Flugdienstleiter rät ihm beim ersten Funkkontakt wegen der momentan vorherrschenden Windbedingungen von einer Landung ab: Am Platz wehe Ostsüdostwind mit 6 bis 10, in Böen 15 Knoten.

Ein ortskundiger Segelflugpilot, der erst kurz zuvor gelandet war, bestätigt die ungünstigen Windverhältnisse. Trotzdem will der Cessna-Pilot einen Anflug wagen. Über Funk räumt er die Möglichkeit ein, im Falle einer unsicheren Landung ja noch durchstarten zu können. Ein Pilot der Segelfluggruppe Dittingen beobachtet, dass der Hochdecker bereits im Queranflug ungewöhnlich tief ist und sich „auf unüblichem Flugweg“ dem Endteil der „29“ nähert. Mit dem Überschießen des Finals nimmt der verkorkste Anflug seinen Lauf. Zwar trifft die 172 noch einigermaßen die Pistenachse, doch mittlerweile ist das zur Landung konfigurierte Flugzeug schon zu weit über die Schwelle hinaus, um sicher aufsetzen zu können.

Der Hochdecker ist bereits im Queranflug ungewöhnlich tief

Jetzt startet der Pilot zwar durch, fliegt aber noch ein Stück geradeaus, statt sofort eine Linkskurve einzuleiten, wie es das Fehlanflugverfahren vorsieht, und meldet erst wertvolle Sekunden später über Funk: „Ich gehe links.“ Zu spät für den Ausweg über die niedrige Baumreihe. Jetzt ist 27 Meter hoher Wald im Weg. Mit ausgefahrenem Fahrwerk und gesetzten 30-Grad-Klappen quält sich die 172 RG bei einer Lufttemperatur von 27 Grad mit letzter Kraft über die Wipfel. Wenige Sekunden später stallt das Flugzeug, schlägt auf einem Feld auf und brennt aus. Beide Insassen kommen bei dem Unfall ums Leben.

Den Untersuchungen des schweizerischen Büros für Flugunfalluntersuchungen zufolge war die Cessna für den Go-around überhaupt nicht konfiguriert worden. In ihren Ergebnissen teilt die Behörde mit, dass der Pilot zwar eine Vertrautmachung mit dem Flugfeld Dittingen absolviert hatte und das Flugzeug technisch völlig in Ordnung gewesen war. Auch Masse und Schwerpunkt waren zum Unfallzeitpunkt innerhalb der zulässigen Grenzen. Was die Experten aber stutzig machte, war die Tatsache, dass der Pilot nichts unternommen hatte, um die Klappen eine Stufe einzufahren und die Propellerverstellung auf maximale Drehzahl zu bringen. Auch das Fahrwerk wurde erst Sekunden nach dem Durchstartmanöver eingefahren. Den Grund, warum hier soviel schief gelaufen war, sehen die Untersucher letztlich darin, dass der Pilot mit der schnellen Entwicklung der Ereignisse überfordert war.

Vom Einleiten des Durchstartmanövers bis zum Überfliegen der Baumwipfel vergingen immerhin 13 Sekunden

Nachfolgende Berechnungen, denen Webcam-Bilder und das Geländeprofil sowie Daten aus dem Flughandbuch zugrunde liegen, belegen, dass das Flugzeug selbst die hohe Baumkante in Verlängerung der Pistenachse sicher überwunden hätte, wäre die richtige Go-around-Konfiguration rechtzeitig eingeleitet und die Cessna mit einer Steiggeschwindigkeit von 63 Knoten geflogen worden. Vom Einleiten des Durchstartmanövers bis zum Überfliegen der Baumwipfel vergingen immerhin 13 Sekunden. Dabei stieg der Hochdecker bei einer Geschwindigkeit von 70 Knoten mit 300 Fuß pro Minute – nur halbsoviel, wie in korrekter Konfiguration und Speed möglich ge- wesen wäre. Hätte der Pilot die erforderliche Linkskurve sofort eingeleitet und wäre er über die niedere Baumreihe oder gleich über das Flugplatzrestaurant geflogen, hätte die Cessna auch in falscher Konfiguration mit eingeschränkter Leistung noch einen Ausweg gefunden.

fliegermagazin 11/2007

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