Unfallakte

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Einflug in den Bodennebel: Absturz eines Robinson R44

Als ein Helipilot durch eine Kaltfront fliegt und die Sicht immer schlechter wird, entscheidet er sich für den Weiterflug – mit fatalem Ausgang

Von Redaktion
bitte das Kennzeichen für die Unfallakte rauslöschen, danke! M.

Mit dem Hubschrauber kannst du auf jedem Supermarktparkplatz landen oder zur Not in Nachbars Garten!“ Solche Sätze hört man früher oder später in jeder Diskussion zum Thema Sicherheit und Fliegen. Trotz komplexer Technik gelten Helis gemeinhin als sicher und zuverlässig. Flächenflugzeugen scheinen sie in mehrerlei Hinsicht sogar deutlich überlegen zu sein: in der Luft „stehenbleiben“, senkrecht starten und landen, auf der Stelle drehen oder sich rückwärts bewegen – in manchen Situationen ein unschätzbarer Vorteil. Auf diese Fähigkeiten setzt vermutlich auch ein junger Helipilot am 9. Juni 2012.

Erst wenige Wochen zuvor hat er seine PPL-H mit Musterberechtigungen für den Zweisitzer Cabri G2 und den Viersitzer R44 Raven erhalten. Der 26-Jährige hat an diesem Frühsommertag einen Überführungsflug mit einem R44 vom rheinland-pfälzischen Worms über Augsburg nach Salzburg geplant. Von dort will er mit einem Heli vom Typ Cabri zurück nach Augsburg fliegen. Es ist sein erster Passagierflug mit dem viersitzigen Raven, drei Freunde sind mit an Bord. Am frühen Nachmittag hebt der Hubschrauber in Worms ab. Bis zur Zwischenlandung in Augsburg verläuft alles planmäßig. Nach dem Stopp fliegt die Maschine auf südöstlichem Kurs weiter Richtung Traunstein, vorbei an der bayerischen Landeshauptstadt München. Der Hubschrauber nähert sich nun rasch einer Kaltfront mit Wolkenuntergrenzen zwischen 1000 und 2000 Fuß. Zwar ist die Sicht mit acht Kilometern noch gut, doch im ansteigenden Gelände des Voralpenlandes muss der Pilot mit aufliegender Bewölkung rechnen.

Die Sicht schwindet: Überführungsflug des Robinson R44

Südlich des Chiemsees meldet er sich beim Tower-Lotsen von Salzburg Airport. Dessen Anweisung „Follow the motorway to Whiskey, next report Whiskey“ wiederholt er sinngemäß, fliegt jedoch nicht wie angeleitet zunächst im flacheren Gelände Richtung Osten zum Meldepunkt bei Teisendorf, sondern dreht bei Traunstein direkt nach Süden ab. Da dem Piloten die Gegend aus seiner Ausbildung bekannt ist und der Heli den Stützpunkt der Traunsteiner Rettungshubschrauber direkt überfliegt, ist kaum anzunehmen, dass er aus Versehen eine andere Route wählt. Die absinkende Wolkendecke der Kaltfront zwingt ihn im Folgenden, in niedriger Höhe weiterzufliegen.

Nachdem der Lotse die überraschende Kursänderung des R44 auf seinem Radarschirm sieht, weist er ihn erneut an, Kurs auf den Meldepunkt Whiskey zu nehmen. Der R44 hat gerade die Autobahn 8 erreicht und folgt ihr in geringem seitlichen Abstand. Die Sicherheitsmindesthöhe von 150 Metern über Grund beziehungsweise 300 Metern über dicht besiedeltem Gebiet hat er zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich unterschritten. Die letzte Kurskorrektur in Richtung Meldepunkt Whiskey führt die Maschine direkt auf den nahen Teisenberg zu. Was dann geschieht, ist nicht nur für Hubschrauberpiloten schwer nachvollziehbar: Trotz Regenschauern und teilweise aufliegender Bewölkung an den Bergen ringsum setzt der Pilot den Flug fort. Um 17.11 Uhr verschwindet der R44 in den Wolken, die wie ein zäher, milchiger Brei auf dem Wald liegen.

Überraschende Kursänderung: Der R44-Pilot fliegt nicht zum Meldepunkt

Durch die Triebwerksgeräusche werden Zeugen auf einem nahe gelegenen Bauernhof auf den Hubschrauber aufmerksam – sehen können sie ihn jedoch nicht. Dann schlägt die Maschine krachend im Wald ein. Der Aufschlag ist verheerend: Pilot und Passagiere werden aus dem Hubschrauber hinausgeschleudert, keiner von ihnen überlebt den Absturz. Von der ersten Baumberührung in etwa 10 bis 13 Meter Höhe bis zum Wrack zieht sich über 55 Meter eine Trümmerschneise durch den Wald. Teile der Rotorblätter stecken in den Stämmen der eng aneinander stehenden Nadelbäume, Wrackteile bedecken den Waldboden. Heckrotor und Heckrotorgetriebe hängen im Geäst. Rotormast, Heckausleger und Triebwerk sind auf dem Weg zum Hauptwrack verteilt.

Das Bild der Zerstörung lässt auch die Ermittler der Bundestelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) ratlos zurück; nicht zuletzt, da der Hubschrauberpilot diesen Ausgang leicht hätte verhindern können. Die Gefahr von aufliegenden Wolken im Bereich einer Kaltfront war in der Flugwettervorhersage für das östliche Alpenvorland angekündigt. Dem ansteigenden Gelände hätte der Pilot ohne größere Umstände ausweichen können; Sprit war ausreichend im Tank. Es gab keinen Termindruck, denn der Hubschrauber wurde in Salzburg nicht erwartet, und bis zum Sonnenuntergang war mehr als genug Zeit. Vor allem aber hatte der junge Pilot entlang der letzten Kilometer bis zum Einflug in die Wolken zahlreiche Optionen für eine Sicherheitsaußenlandung – noch dazu mit der Möglichkeit, ohne großen bürokratischen Aufwand wieder zu starten. All das tat er jedoch nicht.

Optionen für Sicherheitslandungen

Offenbar, so die Beurteilung der BFU-Ermittler, hatte der 26-Jährige alle diese Möglichkeiten schlicht nicht wahrgenommen. Zum verstellten Blick hätten vermutlich die erhöhte Arbeitsbelastung durch das für den Piloten neue Muster und die Situation mit Passagieren sowie die anspruchsvolle Navigation beigetragen. Aufgrund seiner geringen Flugerfahrung, so vermuten die BFU-Experten, habe er die vielfältigen Handlungsalternativen und deren Notwendigkeit nicht erkannt. Für ihn schien die Fortsetzung des Flugs offenbar alternativlos – mit katastrophalem Ausgang.

Eine Kamera, die an der Unfallstelle gefunden wurde und vermutlich einem der Passagiere gehörte, dokumentiert den dramatischen Flugverlauf mit Fotos und Videomaterial. Zuletzt ist der Flug entlang der Autobahn mit tief hängenden Wolken zu sehen, schließlich nur noch der milchige Wolkenvorhang am Waldrand. Dann bricht die Aufzeichnung ab.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 4/2013

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